von Kristoffer Leitgeb, 03.12.2016
Manch dunkler Aura und unerwarteter Emotion kommt unweigerlich der Konjunktiv in die Quere.
Ein zeitliches Dilemma... Eine Präsidentenwahl steht an - wieder einmal - und während noch vor der vielleicht endlich endgültigen Gewissheit über den Ausgang getippt wird, wird das rezensorische Endprodukt erst im Nachhinein wirklich veröffentlicht. Nun gut, Wahlappelle erledigen sich damit immerhin. Gehts mir also ruhig am Oasch und wählts den Hofer. Es kommt ja ohnehin auf die inneren Werte an, egal, worum es geht. Ich plädiere daher schon seit Monaten dafür, man solle doch gefälligst den mit den besseren Leberwerten zum Bundespräsidenten machen. Aber hört wer auf mich?! Also außer dem Salzamt.
Um doch noch Madame Rihanna die Ehre zu geben, könnte man auch über ihre inneren Werte reden. Also die anderen, die mit den Gedanken und Gefühlen. In Anbetracht dessen, was sie bisher so veröffentlicht hat, läuft man allerdings Gefahr anzunehmen, sich die falsche Sängerin herausgepickt zu haben. Um es zu umschreiben: Wenn stille Wasser tief sind, Rihanna aber dann doch ganz gern einmal laut ist... Spätestens als mit "Good Girl Gone Bad" der Superstarstatus errungen war und zwar mit im Endeffekt inhaltslosem Material, war eine gewisse Leere zu erahnen, wo Botschaften zu finden sein sollten. Doch dann kam Chris Brown.
Wobei er jetzt nicht nur aufgetaucht ist, dieses charakterlich verunstaltete Individuum passierte eher und die aus unerfindlichen Gründen mit ihm liierte Rihanna geriet ins Kreuzfeuer. Die Folge waren eine Anklage wegen Missbrauch, eine erzwungene Trennung und als kreatives Ventil schließlich "Rated R". Nun ist Rihanna bei allem Respekt keine Frau großer, gehaltvoller Worte und scheint auch musikalisch kaum einen wirklich gefühlvollen Modus zu kennen. Doch aus dieser scheinbaren Diskrepanz erwächst das bis zum damaligen Zeitpunkt sicher mutigste und vielschichtigste Album der Barbadierin. Wann immer die Zeit mit Brown in Form düster schwelender Songs durchzubrechen scheint, kommt auch die neue Qualität Rihannas zum Vorschein. Nicht umsonst dürfte das unheilvoll pulsierende Russian Roulette veröffentlicht worden sein, immerhin ist in der zeitweise aufs Allernötigste reduzierten Ballade wenig vom früheren Stil übrig. Stattdessen regiert die gespenstische Leere um den Beat, nach dem kurzen Gitarrenintro gerade noch von minimalsten Synth- und Klaviereinsätzen begleitet. Und das schafft Raum für eine Sängerin, die zwar offenkundig nie soweit sein wird, einen Song dieses Kalibers in lichte Höhen zu tragen, die aber trotzdem bisher nicht für möglich gehaltene Qualitäten entwickelt. Wenn es schon technisch nicht zur Perfektion reicht, so liegt in ihrer Stimme trotzdem die Mischung aus kühler Grandezza und geprügelter Verletzlichkeit, die der Track braucht.
Es liegt nahe, dass es so nicht weitergeht. "Rated R" will und darf im Sinne der notwendigen Charttauglichkeit kein Konglomerat solcher Balladen sein. Rihanna gewinnt allerdings typischerweise sowieso eher durch aktiveres Material. Und so bleibt auch in der durchwegs unfreundlichen ersten Hälfte den für sie typischen Dance-R&B-Hybriden noch genug Platz. Das bedeutet jetzt für das kantige Intro Mad House noch eher weniger, auch weil die eiskalte Elektronik und das selbstbewusste Gesumme gar nicht viel hergeben sollen außer einer passenden Türöffnung. Die gelingt, führt ohnehin zum gelungenen Doppel aus Wait Your Turn und Hard, beide mit einer starken Mischung aus rhythmischen Anleihen an Dancehall und Hip-Hop und drückend-aggressivem Elektronikgewand. Das bedingt eine Rückkehr des altbekannten Sprechgesangs, was man unweigerlich goutieren muss, wenn man das ideal abgestimmte Gesamtpackage des effektiven Poser-Tracks Hard hernimmt. Der profitiert von unheilvollen Bläser- und Klavier-Parts genauso wie von der nicht zu leugnenden Harmonie zwischen Rihanna und Rapper Young Jeezy, dessen Auftritt ganz schnell jeden abgeschmackten Gastpart von Jay-Z auf ihren Songs in den Schatten stellt. Und diese Harmonie, dieser selbstsichere Umgang mit dem unterkühlten Sound lässt auch die eher dürften lyrischen Ergüsse bald unwichtig werden, selbst wenn einem die Zeile "Da wait is ova" in Wait Your Turn eindeutig zu oft entgegenkommt.
In diesem Sinne könnte "Rated R" bald einmal ihr bestes Album sein. Könnte, es kommt aber nicht dazu. Denn merkwürdige Entscheidungen bleiben auch hier nicht aus. Die Playlist gestaltet sich unvorteilhaft zerrissen, weil der komplett wirkungslose Spot von Gitarrist Slash im träge rockigen Rockstar 101 für nichts gut ist. Da mangelt es dann einfach musikalisch an Qualitäten, um die unbeweglichen Synthie-Riffwände und den miesen Text zu entschuldigen. Überhaupt ist nicht so ganz klar, warum genau ein Schritt hin zum Stadion-Rock opportun erscheinen sollte. Fire Bomb ist zwar sicherlich stimmiger, versinkt aber trotzdem in einer mäßigen Nichtigkeit, die Katy Perry in Erinnerung ruft. Was ebenso deutlich wird, ist ein suboptimales Missverständnis der Beteiligten. Dass die düstere Aura, die die LP umgeben soll, tatsächlich durch tempolose, abgehackte Beats am besten umzusetzen wäre, diese Theorie hat ein paar Schwächen. Zumindest sollte man nicht den Fehler begehen, ein bisschen was von allem zusammenzumixen und so G4L weder zu Fisch, noch zu Fleisch werden zu lassen. Also es muss schon recht viel stimmen, damit die Sache wirklich gut geht, auch das plötzliche Auftauchen von will.i.am hilft nur wenig, selbst wenn er sich auf Photographs für seine Verhältnisse wohltuend zurückhalt, nur in einem kurzen Breakdown die Kontrolle übernimmt.
Wenig überraschend bei der Masse an Songwritern und Produzenten - so nebenbei: Rihanna und die Briten von Chase & Status harmonieren beeindruckend wenig - mangelt es der LP auch an einem roten Faden. Was schade ist, denn gerade in diesem Fall, wo durchaus von bedeutungsvollen Songs die Rede sein kann, wäre mehr davon in durchgehender Ausführung nicht ungern gesehen. Deswegen holpert alles ein wenig. Was jedoch eine Nähe zu Rihannas Geschichte besitzt, gelingt. Selbst das kitschig-dramatische Stupid In Love gerät dank ihrer hingebungsvollen Performance sehr ordentlich. Erst zum Ende hin kommt allerdings wieder etwas von der Emotionalität auf, die im Sinne der Leadsingle authentisch und kraftvoll wirkt. Es spricht für die Sängerin, dass das in letzter Minute aufgenommene, versöhnliche The Last Song da dazu gehört, doch der Haupttreffer wartet kurz davor. Cold Case Love besteht als einer der wenigen Einblicke in ihre verletzliche, wirklich gefühlvolle Seite, behutsam und wunderbar organisch instrumentiert rund um Klavier, sanfte Claps und leichte Streicher. Anstatt dabei stimmliche Schwächen zu offenbaren, läuft auch Rihanna zur Höchstform auf, drückt dem Song unmissverständlich ihren Stempel und eine eindringliche Atmosphäre auf. Nicht zu vergessen unerwartet starke Zeilen:
"On my roof
Dark and I'm burning a rose
I don't need proof
I'm torn apart and you know
What you did to me was a crime
Cold case love"
Mehr davon wäre wünschenswert, vielleicht sogar ohne längliches Instrumentaloutro. Das spielt es aber zumindest hier nicht. So wie "Rated R" ihr charakterstärkstes Album ist, so sehr erkennt man auch eine verpasste Chance, wann immer man den starken Minuten begegnet. Denn damit wäre sehr viel möglich gewesen, hätte Rihanna den Mut oder die Inspiration gefunden, in diese Richtung weiterzumachen. Wobei man nicht einmal von einer reinen Richtungsfrage sprechen kann, auch der ein oder andere Club-Banger funktioniert in seiner leicht düsteren Art. Doch Ausfälle kommen vor und mit ihnen geht auch das Album ein bisschen baden. Schade drum, denn aus den Untiefen, die Rihanna 2009 durchschreiten musste, sind starke Minuten entstanden. Vielleicht noch nicht genug, um einen vollends von ihren inneren Werten zu überzeugen, aber ein guter Grundstein wäre allemal gelegt.