von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 20.02.2016
Stimmgewalt und musikalische Exzentrik als gemeinsamer Nenner von Trivialität und Tiefgründigkeit.
Mit das Schwierigste, was einem Reviewer so begegnet, sind Interpreten, die den Eindruck erwecken, sie würden sich selbst ein Bein stellen. Die, bei denen die Genialität regelmäßig ums Eck schaut, nur um eigenhändig wieder verscheucht zu werden. Regina Spektor dürfte man wohl dort einordnen, vielleicht muss man es sogar. Ihre ambitionierten Konglomerate aus sprunghaft-melodramatischen Piano-Melodien, mittlerweile oft verstärkt durch diverse andere Instrumente mit Hang zur quirligen Unruhe; ihre ständigen grenzwertigen Anmaßungen, die sie sich mit ihrer bezaubernden Stimme erlaubt; ihr Zwiespalt zwischen Texten verschrobener Lächerlichkeit mit Fragezeichen und der Fähigkeit, Emotionen auch in den alltäglichsten und schrägsten Geschehnissen aufzuspüren. Spektor ist ein wandelnder Widerspruch mit leichter Tendenz zur Nervigkeit, auf ihrer sechsten LP nicht viel weniger als früher.
Wobei ihr vielleicht die kurze Laufzeit entgegenkommt, stechen doch dabei die obligatorischen Beweise ihres musikalischen Genies etwas eher heraus. All The Rowboats ist für selbiges wohl der bisher überzeugendste, paart eine Thriller-Atmosphäre verbreitende Untermalung, geprägt von grazilen Klavier-Dissonanzen und dem einem Uhrwerk gleichen Beat, mit der wahrlich kunstvollen Dramatik, die sie mit ihrem unbeeindruckten Gesang der Geschichte um die Hoffnungslosigkeit legendärer Gemälde verleiht. Das Geordnete des Songs macht ihn aus, selbst eigenwilligere Passagen wie ihr altbekanntes Beatboxen zum Ende werden fein säuberlich portioniert, zerreißen das rundum schlüssige Ganze nicht.
Ähnlich erfüllend ist nichts sonst auf der Platte, was lohnende Minuten nicht ausschließt. Der erfrischend zurückhaltende Akustik-Closer Jessica bietet mit die angenehmste und gefühlvollste Vorstellung ihrer Karriere, Ballad Of A Politician behält sich die dezent unheimliche Aura des großen Höhepunkts und Firewood fängt in seinen gesetzten Akkorden gekonnt die Natur friedlichen Wehmuts ein.
Doch je mehr Spektor mit ihrer Musik wirklich zu spielen beginnt, desto ferner ist der Fokus, desto schwieriger wird der Genuss, desto fragwürdiger wird auch schlicht die Intention der Songs. Das beängstigende Open entgeht dem mit seiner brillanten Klavier-Darbietung noch, verkörpert auch in Phasen szenischer Größe eher Einsamkeit als irgendwas sonst und vertieft das mit theatralischem Keuchen. Doch die penetrante, fast schon zerfressende Freundlichkeit und 'Poppigkeit' von Don't Leave Me (Ne Me Quitte Pas) ist auch dank beeindruckend deplatzierter Elektronik-Brocken zu viel, genauso wie das übertrieben dramatisierende und trotzdem fade How. Vielleicht machen es auch die ewigen Stilsprünge - auch bedingt durch die Natur der LP als Sammelsurium längst geschriebener Stücke -, dass man sich als Hörer phasenweise fast überfordert zeigt von der abgehackten Melodie von Patron Saint oder dem Marching Band-Sound in The Party. Kontinuität ist ihre Stärke nicht, an der will sie aber wohl auch gar nicht anstreifen.
Es liegt allerdings zumindest nicht an den künstlerischen Fertigkeiten der gebürtigen Russin. Denn ihre Kompositionen sprühen vor Ideen, vor Grazie und dem Gefühl für geniale Melodien. Doch an anderen Plätzen warten bereits wieder die von Spektor liebgewonnenen Belanglosigkeiten und Schrägheiten des Alltächlichen, an denen andere Menschen (zu Recht) vorbeisehen, verpackt in teils beeindruckende, teils plumpe klangliche Größe, die zwar Anerkennung verlangt, aber nicht immer Genuss ermöglicht. "What We Saw From The Cheap Seats" entbehrt dahingehend der intimeren und musikalisch reduzierten Form ihrer früheren Alben. Das Resultat sind größtmögliche Abwechslung und eine anspruchsvolle Herausforderung für geordnete, dem Verspielten ferne Gemüter.
K-Rating: 7 / 10
Der sechste Streich als affektiertes Allerlei - zwischen Übermut und Frust ist jede Emotion gestattet.
In einer Welt, in der Individualismus als Ideal ungefähr so fern liegt wie
Chancengleichheit oder Nächstenliebe, bedarf es freilich einem Hauch Exzentrik, um aus dem breiten Pool der Konformität auszubrechen. Trends setzen mit exotischen Outfits, durch wirre Interviews
etwas Geheimnisvolles ausstrahlen, auf der Bühne mit energetischen Ausbrüchen überraschen und natürlich im Studio den weniger konventionellen Weg gehen - alles Möglichkeiten, das Interesse an der
eigenen Authentizität anzukurbeln. Wie nah Genie und Wahnsinn beieinander liegen, weiß auch die gebürtige Russin Regina Spektor. Zumindest hat sie das in der Vergangenheit mit Nähe zu Ersterem
schon des Öfteren bewiesen.
Lauscht man aber dem zweiten Track ihrer letzten LP, Oh Marcello, auf dem sie sich mit nervigster Stimme dem Geliebten zuwendet und obendrein die
eigene Interpretation des unschuldigen Klassikers Don't Let Me Be Misunderstood zwischen die Strophen webt, nähert sich Letzterer auch mit
Riesenschritten an. Dass Spektor für gelegentliche Hemmschuhe dieser Art ein Händchen, besser gesagt ein Füßchen hat, beweist auch Open. Dank seiner
großartigen Klavierdarbietung wird es schnell zu einem heimlichen Lieblingssong auf What We Saw From The Cheap Seats, ehe übertrieben widerwärtige
Keuchübungen die sich als verfrüht herausstellende Freude endgültig redundant werden lässt.
Anflüge von Genialität will ich Spektor und noch viel weniger All The Rowboats, das den Hörer auf gelungene Weise immer wieder auf falsche Fährten lockt, der Kollege ja bereits bestens umrissen hat, indes nicht absprechen. Auch Closer Jessica stellt im Albumkontext als zurückhaltende Akustikperle eindrucksvoll unter Beweis, dass die Sängerin neben schrulliger Lyrik auch emotionale Hingabe und albumdienliches Geschick im überkandidelten Repertoire führt. Erfreulich auch, dass man dem fröhlichen Pop-Gimmick Don't Leave Me (Ne Me Quitte Pas) samt "deplatzierter" Elektronik und erheiternder Bläser einiges abgewinnen kann, der immerhin auch etwas Massentauglichkeit auf die Platte schmuggelt - auch wenn man dem Vorsprecher da zur Abwechslung einmal widersprechen muss. Dafür will man Firewood und Ballad Of A Politician ihre lieblichen Schwingungen genauso wenig verleugnen wie die Tatsache, dass sie dem zum Trotz das Kunststück fertigbringen, dass man sich nie nach diesen sehnt.
Da sich die Begeisterung für Spektors beherzte, in ihrer bemühten 'Verquertheit' aber oft ins Mühselige abdriftende Performanz auch weiterhin in Grenzen hält, fällt die Beurteilung eine Nuance härter aus als eine halbe Seite weiter oben. Die amerikanisierte Russin besitzt natürlich ein Gefühl für zauberhafte Melodien und auch eine hübsche, wandelbare Stimme, leider fehlen ihr auf der sechsten LP die Songs, um diese Trümpfe richtig auszuspielen. Spektor gibt sich hingebungsvoll, kriegt es aber mit faden Pianoballaden wie How oder abgedrehten Skurrilitäten wie Oh Marcello zu selten gebacken, nachhaltige Spannung oder wenigstens Interesse an den persönlichen Geschichten der Sängerin zu generieren. Exzentrik, der Hang zur Dramatik und eine wohldosierte Prise Abwechslung haben in dieser Kombination schon häufig Großes entstehen lassen, hier wird man auf der Suche nach Brillanz aber höchstens vereinzelt fündig.
M-Rating: 6 / 10