von Kristoffer Leitgeb, 19.11.2016
Spektor zähmt ihre eigene Schrulligkeit und findet alte Stärke in neuer Zurückhaltung.
Jeder, der einmal in seinem Leben damit in Berührung gekommen ist, weiß, dass Asterix-Comics und -Filme die wichtigsten Lebensweisheiten in sich vereinen. Und so ließ dort dereinst der große Imperator Caesar aufhorchen mit der kühnen Feststellung: "Ich rückte in einem brillanten taktischen Manöver rückwärts vor!" Was bei ihm als gekonnte Umschreibung eines aufgezwungenen Rückzugs gedient hat, führt allerdings so manchen Musiker wirklich zum Erfolg. Weg von der Größe, weg von der unglaublichen Ambition oder der Extrovertiertheit. Radiohead haben auf diese Art mit "In Rainbows" ihr möglicherweise bestes Album geschaffen. Warum also sollte diese Herangehensweise nicht auch bei Regina Spektor Wunder bewirken? Weil es keine Wunder gibt! So einfach ist das. Es hindert sie allerdings nichts daran, mit dem Abschied von eklektischer Verschrobenheit einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung zu machen.
Vielleicht muss man die Größe dieses Schrittes etwas genauer betrachten, denn in Wirklichkeit klingt die US-Amerikanerin auch auf "Remember Us To Life" noch so wie auf den beiden Vorgängern. Die Bausteine, die aus dem Album ein beeindruckendes Album machen sollen, sind zumindest sehr ähnlich. Kein Abschied vom Klavier als zentralem Element, kein Abschied auch vom stimmlichen Tanz, der ihren Gesang seit jeher prägt. Doch Spektor hat die Stromlinienform für sich entdeckt, die erratischen Ausbrüche abgestellt und sich von letztlich entbehrlichen Anhängseln wie dem Beatboxen, klobigen Synthies oder grundlos eingeworfenem Spanisch verabschiedet. Und wie gut das tut, eine beschlagene Sängerin und Komponistin zu hören, die sich im klanglichen Minimalismus gekonnt ihren Stärken widmet. Noch nicht ganz so sehr zu Beginn im doch noch einmal elektronisch verstärkten Bleeding Heart, dessen von Synths und Streichern umrahmter Refrain einen unpassend grellen Charakter annimmt für die dezenten und gefühlvollen Strophen, die den Song eigentlich ausmachen.
Doch es wird, es wird sehr rasch. Denn die Geschichten, die noch auf "Far" einen eher zu fragenden Blicken anregenden Humor ausgestrahlt haben, schlagen diesmal öfter die Brücke zu ernsteren und wirksameren Emotionen. Older And Taller überzeugt als beschwingt-poppige Eröterung des Älterwerdens, mit dem genialen Satz "'Enjoy your youth' sounds like a threat" als Tüpfelchen am I, das aber nur die ironischen Erzählungen von so manch ernüchternder Veränderung umrahmt. Erst später wird aber deutlich, dass sie sich textlich und musikalisch melancholischeren und sogar wirklich traurigen Minuten hingibt, wie es in den letzten Jahren allzu selten der Fall war. Black And White kombiniert cineastisch schwere Streicher mit einem lethargischen Beat und nur dezenten, hellen Klavierakkorden, lässt aber vor allem in seinen von der Liebe gequälten Zeilen Düsteres anklingen:
"All my love
In black and white
On this color photograph
Sad sad eyes
Know too much
You will always start to cry"
Und auch wenn The Light gleich darauf einen hoffnungsvolleren Ton anschlägt, prägt sich trotz glockenklarem Gesang in sanften Höhen vor allem die melancholische Ader über, die hier viel belebt und mit einem durchaus dunklen Schleier überzieht.
Von dem bleibt auch Small Bill$ nicht verschont, obwohl gerade dort noch einmal Spektors Drang zu unüblichen Klängen durchbricht. In einem aggressiv klingenden Duell aus klinisch-kantigen Elektronikbausteinen und schwelenden Streichern beweist sie nicht nur einmal mehr ihr Talent für affektierten Sprechgesang, sondern baut einen letztlich wortlosen Refrain mit anziehender orientalischer Melodie ein. Daraus wird ein Track, der zweifellos als Albumsonderling dasteht und beim ersten Aufeinandertreffen sehr nach Gimmick riecht, aber ähnlich wie die LP als Ganzes entfaltet auch die Single bald große Qualitäten.
Obwohl sich in der Folge nur Obsolete als überlange, monoton dahinschwimmende Enttäuschung herausfiltern lässt, geht der zweiten Hälfte vielleicht gerade ein solcher Sonderling der Marke Small Bill$ ab. Schon verwunderlich, dass man das gerade bei Spektor einmal sagen muss, wo sie doch manchmal mit jedem Track in eine neue Richtung wollte. Nicht so hier, im Gegenteil. Ihr siebentes Album ist eine qualitativ und stilistisch ziemlich geschlossene Arbeit, die einen noch einmal kurz vor Schluss mit Seller Of Flowers an die besten Seiten ihres grazilen und diesmal so aufgeräumten Stils erinnert. In ihrer Dramatik bestätigen diese Minuten auch eindrucksvoll, dass die Streicher für ihre Kompositionen wichtiger denn je sind. Verlustfrei ersetzt Spektor mit ihnen das, was auf ihren vorherigen LPs die Synths oder die begleitenden Studiomusiker übernommen haben. Erwartungsgemäß klingt deswegen hier vieles weniger dynamisch, was eben gerade am Ende etwas zehrt und vielleicht etwas zu Unrecht das finale The Visit nur mehr als grundsoliden Song daherkommen lässt. Gleichzeitig erscheint einem der Grundton unweigerlich subtiler, bedeutungsvoller und sentimentaler.
Möglicherweise ist es genau das, was man von Regina Spektor will. Das wiederum wirkt in sich selbst skurril, wie es ihre Musik mitunter getan hat. Immerhin waren es ihre unerklärlichen Erzählungen von eingesperrten Gemälden, müden Vögeln oder streitenden Brüdern, die als ihr ureigenes Charakteristikum galten. Während die Geschichten nicht wirklich weniger geworden sind und so manch Allegorie auch weiterhin nur Spekulationen auslösen kann, ist von dieser Trivialität, zu der es sie oft genug hingezogen hat, nicht mehr wahnsinnig viel zu spüren. "Remember Us To Life" ist musikalisch zwar einer gewissen Theatralik nicht abgeneigt, trotzdem aber ist es Spektors seit langem kleinlauteste LP. Genau darin versteckt sich aber das Potenzial für vom Kitsch verschonte Gefühle. So und nur so soll das mit ihren Alben ab jetzt bleiben. Das Urteil ward gesprochen, das rückwärts Vorrücken wurde hiermit abgesegnet.