von Kristoffer Leitgeb, 07.07.2018
Der Gipfel klaviergesteuerten Frohmuts trotzt auch nachhaltigen Ausdauerschwächen.
Wenn tatsächlich alles eine Frage der Übung ist, hilft es folgerichtig ungemein, die Fähigkeit der Wahl schon möglichst früh zu trainieren. Kennt man entsprechend von so manchem sportlichen Helden, der kurz nach dem Ablegen der Windel schon mit dem Training angefangen haben soll. Gesetzt den Fall, es mangelt auch nicht an der motivatorischen Ausdauer, ist in dem Fall der Weg schon relativ eben nach oben führend. Natürlich kann das unter Athleten genauso wie bei Künstlern auch eher durchwachsen enden und eine Weltkarriere mit verstörenden Persönlichkeitsauswüchsen paaren, so wie bei Michael Jackson. Im besten Fall ist man nach Jahren und Jahrzehnten der mehr oder weniger freiwilligen Schinderei aber auch einfach verdammt gut in dem, was man so macht. Regina Spektor wäre ein durchaus passendes Beispiel, ist die Gute doch zumindest an der Klaviatur eine Macht und dort so spielerisch unterwegs, dass es manchmal schon bizarre Züge annimmt. Das umso mehr, weil sich die US-Dame mit den russischen Wurzeln auch ganz generell dem Schrulligen verschrieben hat und ihrer Musik eine akrobatische Note verleiht. Kein Grund ersichtlich, warum das bei "Far" anders sein sollte.
Allerdings hat sie sich anscheinend ein wenig satt gespielt an ihrem Piano-Indie-Pop und versucht sich mit einem spürbaren Plus an der Produzentenfront für die nötige Abwechslung zu sorgen. Die bekommt man in dem Sinne weniger mit, obwohl so unterschiedliche Leute wie Mike Elizondo, Jacknife Lee oder Jeff Lynne unter die Arme greifen. Spektors Handschrift ist aber offenbar dermaßen prägnant, dass kein anderer viel tun kann, um aus ihr mehr als das herauszuholen. Was insofern verschmerzbar ist, als dass der Singer-Songwriterin eine imposant stabile erste Hälfte gelingt, in der man nichts begegnet als eingängigen Melodien, anziehenden Gesängen und genug Abwendungen vom sonnigen Up-Tempo-Klavier-Pop, um die nötige Frische zu erhalten. Der ist aber natürlich immer noch ein Trumpf Ass in ihrem Ärmel und kann, wenn er in der lieblich-naiven und kaum zu widerstehenden Form von Single Eet daherkommt, nur zu einem Albumfavoriten werden. Spektors Gabe, ihre sprunghaften Arrangements mit pulsierenden, irgendwie mitunter dem Hip-Hop entsprungenen Beats und dem Blick für dramatische Größe auch im Alltäglichsten zu kombinieren, kommt nirgendwo besser als da zum Vorschein. Und so ist sie die Meisterin der Nostalgie, des verträumten Optimismus und der gefühlsbetonten Banalitäten. Das ist bei Folding Chair nicht anders und selbst dann noch spürbar, wenn es im Falle des von Gitarre und Percussion unterstützten Blue Lips dramatische, theatralische Züge annimmt. Es ist eine vordergründig einfache Rezeptur mit der Spektor arbeitet, doch die Farbenvielfalt, die man aus ihren Arrangements heraushört und ihre eingängigen Hooks haben auf diesem Feld nur sehr wenig Konkurrenz.
Trotzdem lohnt es sich aus Hörersicht eindeutig, dass sich Spektor relativ rasch andere Dinge einfallen lässt. Abgehackte Härte mit einer dezenten Nähe zum Industrial ist nicht unbedingt eines ihrer Markenzeichen, gehört aber genauso wie spätere Ausflüge ins Latin- und synthgestützten Art-Pop-Gefilde dazu. In Form von Machine klingt es auch ziemlich gut, obwohl sich der sperrige Charakter der Klavierakkorde zumindest anfangs weniger ins Ohr bohrt. Auch das Abgleiten in stimmliche Höhen im Refrain ist ein nur sehr bedingt genüssliches Schauspiel, es ist aber auf alle Fälle ein Schauspiel. Und diese Theatralik hilft, nicht nur in dem Sinne, dass der Track kurzfristig sogar opernhaften Charme abbekommt, sondern auch durch die perfekt dem textlichen Thema angepasste zeitweise unmelodische Starre des Gebildes. Damit wird auch eigentlich die Hochphase der Abwechslung und der relativen Melodramatik eingeleitet. Den qualitativen Klimax dessen bildet Laughing With, das eine beeindruckend ambivalente Gotteshuldigung darstellt und allein wegen der Gegenüberstellung der düsteren Strophen und sarkastischen Refrains einiges an Interpretationsspielraum lässt. Dass sich gleichzeitig melodisch weniger tut, stattdessen ein von dezenten Streichern unterstütztes Klavierdrama abspielt, schadet dabei überhaupt nicht, bildet im Gegenteil sogar einen starken Kontrast zum fast hyperaktiven Stil mancher Tracks.
Der geht allerdings auch sehr früh verloren, wie man bald merken muss. Die zweite Hälfte ist in ihrer Gesamtheit ein lethargisches Etwas, gerettet von der einzigen klaren Rückbesinnung auf die Stärken der ersten Songs, Two Birds. Alleingelassen wirkt der Track mit seiner verspielten Dynamik unweigerlich, das aber auch dank der immer wieder durchbrechenden, dezenten Unterstützung durch die tiefen Bläser, die hier ihren einzigen Auftritt haben. Abseits davon passieren Dinge, die bestenfalls schwieriger, schlimmstenfalls schlicht einschläfernd sind. Woran es Spektor im Falle von Human Of The Year oder dem unentschlossenen Closer Man Of A Thousand Faces mangelt, ist die Fähigkeit, die zurückhaltende, aber eindringliche Emotionalität von Laughing With auch auf die ähnlich schleppenden, aber deutlich voluminöseren Minuten zu übertragen. Mitunter vermitteln diese Songs Gospel-Nähe, das aber in reichlich antiklimatischer Form. Damit gewinnt man herzlich wenig, auch weil ihr einfallsreiches Klavierspiel zu sehr aus dem Fokus gerät.
Wobei es an anderer Stelle dann schon wieder das eindeutige Zentrum ihrer Musik ist und entsprechend belebt wirkt. Das verhindet bei One More Time With Feeling aber auch nicht, dass die rundherum gewählten Soundentscheidungen, der träge Beat und ihre Vocals einen äußerst durchschnittlichen Beigeschmack vermitteln. Spektor glänzt auf alle Fälle nicht mehr, kann sich nur insofern behaupten, als dass Genius Next Door der Inbegriff ihres Blickes für Alltagsdramen ist und entsprechend verschrobenen Charme entwickelt.
In Summe bekommt man damit eigentlich ein klassisches Spektor-Album. Die sind nie rundum bravourös und leben anscheinend von ihren Hängern genauso wie von den fesselnden Treffern. Im Falle von "Far" kommt nachteilig dazu, dass sich beides allzu gründlich aufteilt und dementsprechend nach der ersten Albhumhälfte die Luft ziemlich draußen ist. Die lohnendsten Minuten sind dafür nicht nur an und für sich meisterlich geformt, sie zeigen auch genügend Facetten von Regina Spektors musikalischen Fähigkeiten, um ein rundes Gesamtbild zu ergeben. Letztlich doch nur im EP-Format, während die Tracklist im Ganzen einen Kahlschlag gut gebrauchen hätte können. Selbst ohne einen solchen ist es immer noch ein Album, das einem fast nur sympathisch sein kann und dessen Kern ein unglaublicher Sinn für Melodie und Rhythmus sind.