Red Hot Chili Peppers - The Getaway

 

The Getaway

 

Red Hot Chili Peppers

Veröffentlichungsdatum: 17.06.2016

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 30.01.2021


Trotz alter und neuer Schwächen auf dem Weg dorthin, wo man um die Jahrtausendwende war.

 

Man soll keine toten Pferde reiten (© Matthias Strolz), genauso aber auch tunlichst kein Grab ausheben, wenn noch irgendwo ein Herzschlag zu erspüren ist. Das ist pietätlos und ungeduldig und könnte einen im schlimmsten Fall in gehörige Erklärungsnot nicht nur gegenüber Hinterbliebenen, sondern vielleicht sogar dem vermeintlich zu Begrabenden selbst bringen. Und so ein Gespräch will man nicht führen. Insofern übe man sich in Durchhalteparolen und Zurschaustellung unerschütterlicher Hoffnung, auch wenn sie absolut unangebracht erscheinen mag. Auch im Musikbusiness kann das durchaus hier und da von Vorteil sein, wenn man das Ende der Fahnenstange und den schleichenden Verfall eines Interpreten als unausweichlich erachten könnte. Da heißt es, optimistisch zu bleiben. Mein Fachgebiet!

Im Falle der Chili Peppers, die mittlerweile bereits lange den 30er als Band geknackt haben, war man im vergangenen Jahrzehnt schon dabei,  sich damit abzufinden, dass da nichts mehr kommt, was einer positiven Erwähnung wert wäre. Selbstverständlich stand das in Verbindung damit, dass sich John Frusciante ein zweites Mal verabschiedet hatte und sein Ersatz, Josh Klinghoffer, auf "I'm With You" nicht einfach nur an der erfolgreichen Integration ins Bandgefüge gescheitert ist, sondern mit dem man einen Höhepunkt der Langeweile in der eigenen Karriere gesetzt hat. Und das, nachdem schon "Stadium Arcadium" seiner unpackbaren Länge wegen trotz vorhandener musikalischer Vitalität herzlich ermüdend und spannungsarm war. Insofern war alles bereitet, um dem großen Bandnamen und der langen Karriere einen zumindest künstlerischen Todesstoß zu versetzen. Doch dann kam "The Getaway".

 

Bei dem besteht definitiv die Möglichkeit, dass einfach nur die gesunkenen Erwartungen dafür verantwortlich sind, dass man sich urplötzlich in einer Position wiederfindet, in der man die Chili Peppers noch mal wirklich loben kann. Auf der anderen Seite hört sich das, was das Quartett hier bietet, auch einfach oft wirklich gut und problemfrei. Die Verantwortung dafür liegt sicherlich auch bei Klinghoffer, der zusätzlich zu seiner bestehenden Qualität an der Gitarre auch ein bisschen Selbstvertrauen gefunden hat, um sich klanglich mehr einzubringen. Der Löwenanteil gehört aber wohl Produzent Danger Mouse, der den fraglos großartigen, seinen Zenit aber mittlerweile weit im Rückspiegel suchenden Rick Rubin abgelöst und für einen drastischen klanglichen Wandel gesorgt hat. War man am Vorgänger damit beschäftigt, irgendwo in diesen ziemlich kraftlosen Songs mit möglichst kraftvoller, lauter, punchiger Produktion doch die nötige Energie zu finden, ist davon hier nichts zu spüren. Vom eröffnenden Titeltrack weg ist es stattdessen ein organischeres Ganzes, das mit einer sphärisch-spacigen Leichtigkeit daherkommt, eher durch den Raum schwebt, als ihn drückend zu dominieren. Und das ist in Verbindung mit dem richtigen Song absolut großartig und eine Frischekur für die Band. Der Opener ist ein solcher Track, wirft gleich einmal die altbekannte Rifflastigkeit über Bord und spielt sich dagegen mit hell verhallenden Zupfern, zurückhaltendem Bass und wunderbar harmonisch eingeflochtenen Backgroundvocals. Das Ergebnis klingt mühelos und geschmeidig, erinnert atmosphärisch an "By The Way" und bringt damit die besten Tage der Band zurück.

 

An die sollte man sich hier noch öfter erinnern können. Gleich auf den Opener folgt dafür mit Dark Necessities das beste und deutlichste Beispiel. Mit dramatisch anschwellendem Klavierintro beginnt nicht nur Fleas erste, markante Einlage an seinem Bass, es wird auch eine der atmosphärischsten Vorstellungen in der Geschichte der Band eingeläutet. Die unaufdringliche Produktion macht aus dem kantigen Bass, dem zur Seite gestellten, stockend einsetzenden Klavier, Chad Smiths reduzierten Drums und den Claps eine unglaublich harmonische Sache, die man sich mit diesen Zutaten nie erwartet hätte. Und wie das mit Klinghoffers kratzigen Riffs und dem ausgleichenden, warmen Klang der Streicher und Backgroundstimmen im Refrain vollendet wird, das ist schon ganz fein anzuhören. Genauso wie übrigens Anthony Kiedis' sprunghafter Wechsel zwischen seinem erratischen Rap und dem melodischen Refrain. Neue Tricks lernt der alte Hund zwar sicher keine mehr, aber wenn er sich in Bestform präsentiert, soll das nicht weiter stören. Ein ähnlicher Genuss ist das samtweiche Encore, dessen schwebend verhallende Gitarrenzupfer nahezu ungestört von der Rhythm Section und nur wiederum von Klavier und leichtem Backgroundgesang begleitet ideal anklingen. Diese unerwartete Spezialdisziplin, die die Chili Peppers hier meistern und die in ähnlicher, aber selbst auf dem Höhepunkt von John Frusciantes Soundkreativität kaum so geschmeidig und federleicht produzierter Form schon eineinhalb Jahrzehnte früher ihre beste LP ausgemacht haben, kann einem nur gefallen.

 

Dass es durchaus anders auch noch gehen kann, beweist die Band vor allem direkt in der Albummitte mit dem funkig-lockeren Doppelpack Sick Love und Go Robot. Ersteres mit Elton John und dessen eleganter Einlage am Klavier sowie einem ordentlichen R&B- bzw. Motown-Vibe ausgestattet, zweiteres von Danger Mouse mit spacig-synthetischen Sounds fast schon in Disco-Sphären gebrachte, melodie- und harmonieselige Funkeinlage, beide jedenfalls stark. Go Robot noch eher, weil von Produzentenseite mehr Input zu spüren ist und der hier so ziemlich überall positive Eindrücke hinterlässt. Man kann natürlich andererseits das alles als zu leichtgewichtig, zu flüchtig und dahinschwebend empfinden, insbesondere im Gegensatz zu dem, was die Band in den 90ern an die Spitze des Rock gebracht hat. Der große Punch ist jedenfalls nicht in diesem Album, von chaotisch-explosiven Energieüberschüssen, Fleas hyperaktiven Einlagen und kraftvollen Funkriffs kann absolut keine Rede sein. Aber das muss es ja auch nicht immer sein. Und falls das doch sein muss, bekommen Freunde des rauen Nachdrucks immerhin This Ticonderoga serviert, das überraschend friktionsfrei ordentlich krachendes Geschrammel von Klinghoffer im Stile von "Mother's Milk" mitsamt Chad Smiths druckvollstem Drumpart und auf der anderen Seite relaxt-lockere Harmoniepassagen abwechselt.

 

Aber es ist eben doch definitiv keine LP, die mit ihrer Kraft hausieren geht. Das hat naturgemäß auch Nachteile, insbesondere immer dann, wenn man die alten Chili Peppers überdeutlich durchzuhören glaubt. We Turn Red ist ein solches störrisches-schleppendes Funk-Rock-Exemplar, das aber ohne jegliche Spannung bleibt und sich im Gegensatz zu This Ticonderoga so gar nicht mit dem plötzlich einsetzenden, gar an der akustischen Gitarre runtergespielten Weichspül-Refrain vereinen will. Detroit wiederum ist die doch müde gewordene Rezitation ihrer energischeren Alt-Rock-Zeiten, irgendwo zwischen "Californication" und "Stadium Arcadium", aber schlicht ohne jegliche Wucht oder Energie, um mehr als eine Durchschnittseinlage zu sein. Wie überhaupt etwas viel in den etwas müden Durchschnitt abrutscht. The Longest Wave und The Hunter sind so trotz ihres prinzipiell sympathischen, an die oben so über alles gelobten Höhepunkte des Albums erinnernden Sounds eher müde dahindümpelnde Brocken, die die dem Album innewohnende Melancholie nicht wirklich mit Leben füllen können.

 

Davon soll man sich jedoch nicht den Genuss der übrigen Songs verderben lassen. "The Getaway" ist nämlich, selbst wenn jemand sonst nichts anderes darin sehen will, immerhin das beste und wohlklingendste Album der Red Hot Chili Peppers seit eineinhalb Jahrzehnten. Die in der Zwischenzeit veröffentlichte Konkurrenz ist zwar nicht gerade überwältigend, aber immerhin ist da wieder eine ansteigende Form erkennbar. Und auch endlich der Ansatz einer neuen klanglichen Richtung, in die man sich entwickeln kann. Denn abseits aller aufkommenden Erinnerungen an frühere Alben, die einfach aus der relativen Unveränderlichkeit dieser Band und insbesondere von Frontmann Kiedis resultieren, ist mit Danger Mouse ordentlich frischer Wind in Sachen Sound reingekommen. Da ist es beinahe komplett egal, dass Kiedis immer weniger einfällt, worüber er singen sollte und wie er das mit einigermaßen nachvollziehbaren, nicht fragwürdigen Zeilen tun könnte. Das, was hier zählt, passiert hinter ihm und eröffnet Perspektiven für die Band, die ziemlich rosig aussehen, wenn das weiterverfolgt wird, was hier Songs wie Dark Necessities bieten. Allerdings ist Klinghoffer schon wieder Geschichte, weil Frusciantes dritte Ära eingeläutet werden soll. Ob da eine Fortsetzung eine Chance hat? Man weiß es nicht, zumindest nicht bis Danger Mouse für das nächste Album als Produzent bestätigt wurde.

 

Anspiel-Tipps:

- Dark Necessities

- Go Robot

- Encore


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