von Kristoffer Leitgeb, 12.03.2016
Ein voluminöses Produkt veritabler Allmachtsfantasien, nur allmächtige Songs sind rar gesät.
Es ist eine der quintessentiellen Erkenntnisse des Menschseins, dass jeden von uns irgendwann der Tod ereilen wird. Wen das stört, dem sei dringend angeraten, entweder zwecks Wiedergeburt dem Buddhismus anzuhängen oder zumindest zu versuchen, auch nach dem körperlichen TKO noch weiterhin als Kopf im Glas unter uns zu bleiben. Viele andere sind und waren aber schon einen Schritt weiter und versuch(t)en nur mehr, irgendetwas zu erschaffen, das der Nachwelt die eigene Präsenz klarmacht. Wozu sonst bräuchte es Pyramiden? In der Kunst gilt dahingehend noch immer eher der Grundsatz 'Qualität vor Quantität', weswegen sich nicht gar so viele unbedingt in die Welten der vollgestopften Doppel-, Triple- oder gar Quadruple-Alben vorwagen, um für postmortale Zeiten vorzusorgen. Manchmal passiert es aber doch, merkwürdigerweise oft bei genau denen, die eigentlich schon genug geleistet haben. Da beginnen dann eben irgendwann die Komplexe. Doch auch die Chili Peppers müssen erkennen, dass Größe nicht alles ist.
Wobei groß ohnehin relativ ist, Robert Rich bringt es mit seinem "Somnium" immerhin auf fast sieben Stunden auf einem Album, Chris Rea landet mit "Blue Guitar" bei ca. zehn Stunden und die Flaming Lips haben sich an einem Song im Tagesformat versucht. Da sind 28 Tracks zu gemeinsam 122 Minuten eh mickrig. Aber eben doch viel für jeden, der daran denkt, "Stadium Arcadium" in einem durch zu konsumieren.
Dieses Volumen gibt den Kaliforniern allerdings auch einige Freiheiten, allen voran die, einmal kurz ihre ganze Karriere zusammenzufassen. Irgendwie zumindest, oft genug versteckt unter dieser dicken Schicht an Mid-Tempo-Riffs und Rick-Rubin-Produktion. Davon bestimmt, mutieren die zwei LPs eher zu einem Mischmasch in Dauerschleife, einem wohlgeformten und trotzdem umrisslosen Brocken Stadion-Rock, der sich zwar beim Funk, Hard Rock, Punk oder Psychedelic Rock bedient, aber doch mehr 'middle of the road' als große Abwechslung ist. Nichts anderes vermittelt einem die über die meisten Zweifel erhabene Leadsingle Dani California, die Kiedis & Co. so locker und prägnant wie eh und je präsentiert, ohne an möglichen Risiken auch nur anzustreifen. Stattdessen verlässt sich der Trupp auf Frusciantes pointierte Gitarreneinsätze, die im Refrain zu wirksamen Riff-Wänden mutieren. Man kennt's irgendwie, vor allem mit dem Stimmchen von Anthony Kiedis dazwischengedrängt.
In der Folge lässt sich dieses Monstrum nicht anders beschreiben, als dass es der selbstverordneten Abwechslung dezent an Abwechslung mangelt. Schon die ersten sieben Songs versuchen möglichst viele Zieldestinationen anzusteuern. Geboten wird neben der obligatorischen aufgeblasenen Ballade Snow (Hey Oh) - Frusciante greift rettend ein - der Rückgriff auf alte Funk-Metal-Tage im zähen She's Only 18, das funkige Hump De Bump, dessen bedenklich schwachsinniger Text nur bedingt den genialen Paarlauf von Gitarre und Bass behindert, und das ewige Trumpf-Ass der Band, die in die Akustik getragene Ballade, Slow Cheetah. So weit, so bekannt. So weit, so gut. Zu dem Zeitpunkt ist man nicht nur vom Variantenreichtum überzeugt, sondern sogar von der unterschwellig mühsamen Sound-Palette, die einem letztlich nicht viel mehr als einen gedämpften Gitarren-Mantel zu bieten hat. John Frusciante will bei seinem finalen Auftritt mit der Band offensichtlich zur Abwechslung einmal in die Offensive gehen, er füllt den Raum mehr als aus. Inmitten harter Power Chords, groovender Funk-Picks und blueslastiger Verzerrer-Spielereien entwickelt sich recht rasch eine leichte Klaustrophobie, die auch in den ruhigen Momenten nur bedingt nachlässt.
Denn die in schnelleren, aggressiveren Minuten durchaus erträgliche Eigenschaft, jede Sekunde gnadenlos akustisch auszufüllen, wird in den vielen pseudo-atmosphärischen Songs bald zur fragwürdigen Entscheidung. Die übernehmen noch auf LP 1 das Ruder, zelebrieren die durchschnittliche Ambivalenz, in der man sich des Urteils nicht sicher ist. Soll Strip My Mind von diesen Background-Ooohs durchzogen sein? Muss da jede Gitarren-Note sofort die vorherige ablösen? Eher nicht. Zwischendurch navigiert sich die Band in so todsichere Fahrwässer, dass sie mit dem farblosen Warlocks und vor allem dem fragwürdigen Harmonie-Stück If einschläfernde Qualitäten entwickelt.
Vor allem die zweite Hälfte kämpft mit ebendiesen Fehlern, mit den eigentlich der Nachdenklichkeit verpflichteten Momenten, die sphärischen Rock andeuten, nur um ihnen in Frusciantes Übermut nie Einfachheit und die nötige Luft zu erlauben. She Looks To Me, Animal Bar, We Believe, wer könnte sich wirklich noch an solche Performances erinnern, Background-Chor hin, Cello her?
Die Chili Peppers machen auf "Stadium Arcadium" wirklich alles, um einen davon zu überzeugen, dass ein stinknormales Album mit ungefähr halber Laufzeit eine weit bessere Entscheidung gewesen wäre. Das passiert aber nicht nur in den vielen Durchschnittsminuten, sondern auch überall dort, wo man dann wirklich noch etwas geboten bekommt. Wirft man darauf einen Blick, offenbart sich einem nämlich immer noch ein Kaleidoskop der Bandgeschichte, das zurechtgestutzt ein verdammt starkes Ganzes ergeben hätte. Insbesondere der Beginn von LP 2 punktet dabei mit allem, was man sich von den Jungs erwarten darf. Mit Desecration Smile gelingt der Band eine Power-Ballade, die dank starken Gesangs, nuancierter, vom Folk inspirierter Gitarrenklänge und Chad Smiths starken Drums in die Sphären von Under The Bridge oder Otherside entschwebt. Nur wenig später folgt dank Hard To Concentrate der emotionale Höhepunkt, auch wenn die Rhythm Section in der eigentlich der Zurückhaltung verpflichteten Ballade überrepräsentiert scheint. Kiedis' glänzender Auftritt und vor allem die starken Zeilen mit offensichtlichem "By The Way"-Drall steuern dem allerdings erfolgreich entgegen:
"Sweet precision and soft collision
Hearts about to palputate
And I find it hard to concentrate
All I want is for you to be happy and
Take this woman and make you my family and
Finally you have found someone perfect and
Finally you have found... yourself"
Dem gegenüber stehen Erinnerungen daran, dass das Quartett nie um einen starken Ohrwurm verlegen ist. Torture Me wird dahingehend zu Fleas Auftritt, bietet die vielleicht beste Bassline der LP, zudem perfekt eingebaute Trompeten-Einsätze und mit dem starken Solo einen der Augenblicke, der Frusciantes diesmal mutigere Herangehensweise auch wirklich rechtfertigt. Ähnliches bewerkstelligt er sowohl auf 21st Century, als auch auf Storm In A Teacup. Ersterer präsentiert sich rundum harmonisch, driftet dank gediegener Riffs in Richtung klassischen Funk und Blues Rock ab. Storm In A Teacup katapultiert die Chili Peppers dagegen zurück in die frühen 90er, verbindet relativ wertlose, potenziell anzügliche Zeilen mit funkigen, bass-getriebenen Strophen und harten Gitarrenexzessen im Refrain.
Bisher ausgespart geblieben ist dazu noch der eigentliche Favorit, der auch auf "Californication" seinen Platz gehabt hätte: Tell Me Baby. Eigentlich wenig mehr als radiotauglicher Pop-Rock, verbindet der Track mit Fleas großartigem Auftritt, der Rückkehr von Kiedis' Pseudo-Rap, den sparsamer eingeflochtenen, hellen Riffs mitsamt kratzigem Solo und dem gemütlichen Refrain alles, was ein verdienter Hit der Kalifornier drauf haben muss.
"Stadium Arcadium" könnte es locker-leicht ähnlich gehen. Auf ihre Art entzieht sich die Platte dank ihrer Länge auch einer griffigen, wirklich aussagekräftigen Bewertung. Es mangelt nicht an Potenzial für einen Platz unter den besten Alben der Band. Davon zu sprechen, dass sie mit 28 Songs über das Ziel hinaus geschossen sind, wäre allerdings auch eine ziemliche Untertreibung. Es ist eigentlich schon generell zweifelhaft, ob ein einziger Release mit einer Länge von zwei Stunden und mehr überhaupt wirklich sinnvoll sein kann. Bezieht man in die Rechnung mit ein, dass die Red Hot Chili Peppers schon im Stundenformat anstrengend sein können und ihr kreativer Handlungsspielraum selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht exorbitant groß ist, bestehen keine Zweifel mehr. Tatsächlich bleiben trotz aufgeblasener Playlist nur wenige wirklich schwache Momente über, doch ein großer Pool mäßiger Stücke macht schnell klar, was diese LP ist: Das Produkt üblicher Allmachtsfantasien einer Band, die dem Erfolg genauso nahe steht wie extrovertierter Selbstüberschätzung.