von Kristoffer Leitgeb, 28.09.2018
Startschuss für die ultimativen Chili Peppers mit Härte und Melodik als Bindeglied im Chaos.
Wo Menschen am Werk sind, sind meistens auch Menschen für Erfolg und Misserfolg oder auch nur allfällige Veränderungen verantwortlich. Absolutely mind blowing, ich weiß. Diese womöglich trivialste aller Feststellungen geht aber einher mit einer wichtigen Einschränkung: Man darf die Bedeutung einer einzelnen Person in einer Gruppe nicht überschätzen. Hier gilt es Maß zu halten in der Bewertung, weil zwar ein Martin Luther King, Nelson Mandela oder Jesus alle auf ihre Art die Welt verändert haben, allerdings mit höchster Wahrscheinlichkeit nur, weil genug andere mit ihnen mitmarschiert, -protestiert oder -gepredigt haben. Ansonsten wäre nicht viel herausgekommen, beeindruckende Persönlichkeit hin oder her. In der Musik ist natürlich genauso die Versuchung groß, alle Veränderungen einer Person umzuhängen. Am Niedergang der Beach Boys ist nur Brian Wilsons Abgang schuld, die Entwicklung von Genesis zum Synth-Pop-Giganten ist nur Phil Collins anzukreiden und AC/DC würde keiner kennen, gäbe es nicht Angus Young. Alles stimmt irgendwie, nichts davon so ganz. Insofern ist auch die Feststellung, dass die Red Hot Chili Peppers erst dank John Frusciante wirklich was geworden sind, im klassischen Schrödinger-Sinne gleichzeitig richtig und falsch. Wie könnte man das besser eruieren als mit "Mother's Milk", seiner Premiere als Chili-Gitarrengott?
Kurz zusammengefasst: Alle Lorbeeren für die spätere globale Charteroberung dem damals gerade mal 18-jährigen Frusciante umzuhängen, würde ein paar andere musikalische Verfeinerungen außer Acht lassen. Allen voran die, dass mit dem Tod Hillel Slovaks nicht nur ein neuer Mann für den prominenten Sechssaiter, sondern auch ein neuer Drummer gefunden werden musste. Beides gelang erst im zweiten Anlauf wirklich, dafür hat man damit ein Line-Up komplettiert, das die anstrengenden Facetten der Band zunehmend durch instrumentale Gustostückerl und eine thematische Läuterung zu übertünchen wusste. Dreh- und Angelpunkt dessen war damals nicht unbedingt Frusciante, wobei dessen vom Produzenten Michael Beinhorn exzessiv mit Effekten und Overdubs beladene Gitarrenparts alles Gebotene dominieren. Das Ergebnis ist ein Schritt in Richtung Punk und Metal, der zwar die musikalischen Feinheiten schwierig bis unmöglich macht, gleichzeitig aber die überschüssige Energie, die in der Band steckt, erfolgreich kanalisiert und zu einem laut dröhnenden Husarenritt durch Funk, Metalanleihen und Kiedis' Pseudo-Rap werden lässt. Das schlaucht zwar ein wenig, hauptsächlich wegen dem mäßigen kompositorischen Variantenreichtum, der sich innerhalb der einzelnen Songs zeigt. Aber es wird immerhin von der ersten Sekunde, die der Opener Good Time Boys zu bieten hat, an mit dem gebotenen Nachdruck musiziert.
Das heißt also drückende Riffwände, die dermaßen crunchy und heavy klingen sollen, dass es mitunter schon kitschig ist. Aber eben auch cool, zumindest in den Minuten, in denen man die zusammengemischte Härte mit dem nötigen Tempo und der ausgeprägten Chuzpe von Anthony Kiedis kombiniert. In diesem Sinne ein Hoch auf das großartige Cover des Stevie-Wonder-Songs Higher Ground, das mit seinem röhrenden Riff, der beinahe gesitteten Gesangsperformance und natürlich dem mit Backgroundgesang der gesamten Crew eingespielte Refrain, der umgehendes Hitpotenzial beweist. Bezüglich stilistischer Nuancen geht mehr, wie man genauso im erratischen, von Bläsern eingerahmten Funk Metal von Subway To Venus heraushört wie auch in Taste The Pain, dessen sphärisch eingesetzten, vielen Gitarrenspuren und schleppendes Tempo in den Strophen psychedelische Anwandlungen erkennen lassen, während sich der Refrain zur klassischen Chili-Peppers-Anthem aufschwingt.
Spätestens an diesem Punkt sollte man erwähnen, dass eben nicht nur Frusciante ein Gewinn für die Band ist, sondern dass man mit Chad Smith zumindest vorerst noch mehr gewonnen hat. Der ist nämlich das Yin zu Fleas Yang und bildet mit diesem eine dynamische, explosive und doch wieder unglaublich geschmeidige Rhythm Section, wie man sie selten findet. Wie spielerisch auf den Drums dessen Classic-Rock-Vorlieben mit den offensichtlichen Metal- und Punkeinflüsse der anderen Mitglieder verbunden werden, das kann durchgehend sehr viel. Snare, Hi-Hat, Bass Drum und der ganze Rest leiden also ein bisschen Höllenqualen unter seiner Regie, immerhin klingt die Sache aber zusammen mit Fleas souveränen Performances am Bass dafür auch unglaublich rund. Dass man es mit dem Fokus auf die beiden auch übertreiben kann, beweist Magic Johnson, das mit den harten, schnellen Quasi-Military-Drums an vorderster Front und monotoner Bassline eher als interessantes Kuriosum durchgeht denn als klanglicher Gewinn.
Trotzdem geht die neue Rechnung auf, weil sich das Quartett trotz äußerst magerer Vorbereitungszeit überraschend gut abgestimmt und präzise zeigt. Dass man sich gleichzeitig einer bisweilen schwer verdaulichen Kombination der alten Bandtugenden und neuer musikalischer Einflüsse hingibt, stört diesbezüglich nur sehr bedingt. Zwar wird man das Gefühl nicht los, dass der überdrehte Charakter der gesamten LP, immer noch hauptsächlich verschuldet durch Kiedis' ungebrochen erratische Darbietungen, nicht mit jeder Idee zusammenpasst. Dementsprechend wäre ein bisschen mehr Ruhe und Selbstsicherheit im Umsetzen neuer Ansätze nicht schlecht gewesen. Untermauert wird das durch zwei Songs, die eben gerade nicht dem damaligen Stereotyp der Chili Peppers entsprechen und bereits erste Spuren der melodischeren, vielschichtigeren folgenden Alben in sich tragen. Da wäre einerseits Knock Me Down, der immer noch lautstarke, aber ungewohnt harmonische und beschwingte Mid-Tempo-Rocker, dem man die melancholische Note des Texts, der sich mit Slovaks Tod auseinandersetzt, kaum anhört: