Music Of India: Three Classical Ragas
Veröffentlichungsdatum: ??.??.1956
Rating: (7) / 10
von Kristoffer Leitgeb, 26.01.2018
The right guy at the wrong time in the wrong ears.
Jo, ok, kann man irgendwie auch machen. Ich mein, ich hab jetzt niemanden zu beschuldigen. Die Albumwahl war eine
höchstpersönliche. Und einem Ravi Shankar zuzuhören, dem Pandit der Sitar, sowas bereut man ohnehin nie. Es ist nur so, dass die charakterliche Schnittmenge zwischen meiner Wenigkeit und einer LP
des virtuosen Zupfers aus Indien so dermaßen klein ist, man müsste ans andere Ufer schwimmen und nach dem Album von Paris Hilton suchen, um eines mit noch kleinerer zu finden. Nichtsdestoweniger
ist es eine Herausforderung, sich diesen drei Ragas in ihrer klassischsten Form zu stellen, die lohnt und erhellt. Nicht umsonst haben sie auch eine Weltkarriere begründet, die Shankar zu
George Harrisons BFF und dem bedeutendsten Inder des 20. Jahrhunderts neben Gandhi werden hat lassen. Es wäre auch in diesem Sinne
höchst unprofessionell und unspirituell, nicht am Anfang zu beginnen und sich also zu Beginn dieser wohlgeformten musikalischen Dreifaltigkeit zu widmen, die damals unter dem vielsagenden Titel
"Music Of India" in die Welt entlassen wurde.
Das ist allein schon deswegen wichtig, weil sich die Kenntnisse der indischen Musik und ihrer Hintergründe sehr schnell dort erschöpfen, wo auch der Filmklassiker "Indien" aufhört. Mir ist also bekannt, dass die Inder begeisterte Reisesser sind, mehr auch irgendwie schon nimmer. Aber gut, die Sitar ist sozusagen Nationalinstrument, der Raga ein einzigartiges musikalisches Format, das seinesgleichen nirgendwo findet. Was damit zu tun hat, dass er kein Lied im eigentlichen Sinne ist, sondern stattdessen ein loses Grundgerüst eines Musikstücks. Die Tradition will es, dass lediglich die "passenden" Töne vorgegeben werden, klassischerweise deren fünf, nicht aber die Ausformung dieser. Deswegen gibt es unzählige Ragas und noch immer genug Untergruppen. Irgendwo dort ist auch der Jog beheimatet, einer der beliebtesten Ragas und für mich in seiner Natur ähnlich schlüssig und durchsichtig wie die Hirnwindungsarchitektur eines Donald Trump.
Auf alle Fälle dehnt den ein Ravi Shankar gemütlich auf über 28 Minuten aus und genau dort beginnt sein künstlerisches Wirken schwer verdaulich zu werden. Tatsächlich ist es der längste Track in meiner Sammlung und noch dazu ein rein instrumentaler. Das sorgt für Hindernisse in der Verarbeitung. Weniger bei der Interpretation dessen, was eine solche Darbietung auslösen soll. Der meditative, kontemplative und tief verwurzelt spirituelle Charakter eines solchen Stücks ist nämlich dermaßen offensichtlich, niemand könnte ihn übersehen. Nur verbirgt sich in dieser Feststellung auch die indirekte Aufforderung, sich während des Zuhörens gleich einmal in einen solchen meditativen Zustand zu begeben, ihn zumindest aber als Idealzustand zur bestmöglichen Verarbeitung zu verstehen. Und es fördert die Erkenntnis zu Tage, dass alle anderen Formen des aktiven Zuhörens nur sehr begrenzt vollen Genuss bedeuten können.
Natürlich kann man sich einfach daran ergötzen, dass da einer meisterlich zupft, ohne jetzt die herausragende Spielart wirklich feststellen zu können - es fehlen die Vergleichswerte. Und es ist auch eine absolute Notwendigkeit anzumerken, dass zwar in puncto Arrangement die Überraschungen ausbleiben, zumindest aber durch das alsbald einsetzende Trommeln eine belebende Dynamik Einzug hält. Und trotzdem, da soll sich eines der in vielen Ohren besten Musikstücke aller Zeiten vor einem ausbreiten und es will im eigenen Bewusstsein so nicht dorthin finden. Was gut und gerne damit zusammenhängen kann, dass es der falsche Zugang ist, nach der musikalischen Genialität zu suchen und sich damit auf fast jeden Handgriff Shankars zu konzentrieren. Vielleicht wäre das Gegenteil der Schlüssel, sich fallen zu lassen in der dahinschwebenden, jeder Unruhe beraubten Musik und dort irgendwann die Schwingungen der Saiten in sich aufzusaugen. Total mein Fachgebiet...
Diese komplette Inkompatibilität von Musizierendem und Zuhörer setzt sich in der Folge eigentlich fort. Dass der nächste Raga Ahir Bhairav heißt, ändert daran wenig, nur die Songlänge ist plötzlich fast halbiert. In puncto Stimmung oder musikalischer Ausrichtung bleibt der Wandlungsspielraum aber bei einem knallharten Nuller. Stück 1 ist Stück 2 ist Stück 3, sofern man ungeübte Ohren hat und sich dementsprechend nicht in den Nuancen der unterschiedlichen Tonhöhen verliert. Ja, an der Percussion wird ein wenig geschraubt. Auch wenn sie immer zur Songmitte einsetzt, das werkende Trio sorgt auf dieser Ebene schon für variable Gangarten und Klänge. Bitterst nötig, möchte man meinen, denn aus der Sitar lässt sich selbst von den fähigsten Händen nur eine sehr begrenzte Menge an Klangfarben herausholen, möchte man meinen. Umso beeindruckender wiederum, dass diesem Schauspiel doch eine so faszinierende Qualität anhaftet. Die hat unweigerlich etwas dezent Hypnotisierendes an sich, ist aber auch abseits davon vorhanden. Weil es einem Shankars Darbietungen leicht machen, sich immer wieder kurzzeitig in den raschen Tempowechseln und den minimalistischen Akkordabfolgen zu verlieren. Dabei hilft natürlich, dass hier beinahe unmanipulierter Sound geboten wird, der so viel Raum für natürlichen Nachhall lässt, dass man nicht anders kann als anzunehmen, jeder einzelne Ton wäre wohl überlegt und mit Bedacht gesetzt. Die Wahrheit dürfte davon abweichen, Ragas werden klassischerweise durch Improvisation der Genialität näher gebracht. Der Eindruck bleibt trotzdem.
Wie auch der, dass hier Welten aufeinanderprallen, die sich eher gegenseitig neutralisieren. "Music Of India: Three Classic Ragas", das ist möglicherweise ein Meisterwerk. Ich resigniere vor der Aufgabe, es eindeutig zu sagen, weil es sich in Wahrheit der traditionellen Form von Musikbewertung entzieht. Das, obwohl es sicherlich nicht unkonventioneller ist als ein Soundtrack von Philip Glass oder so etwas wie Sister Ray. Aber das erste Album von Ravi Shankar ist schlicht in seiner gewünschten Wirkung und in der tatsächlich erzielten Wirkung so undeutlich und gleichzeitig willkürlich flexibel, dass es fast sinnlos scheint, eine Bewertung abzugeben. Das liegt allein schon daran, dass es mehr als fast jegliche andere Musik außerhalb eines spirituellen Kontexts einen guten Teil seines Werts einbüßt. Trotzdem ist es die Arbeit fähiger Leute, die relativ mühelos 55 Minuten ohne stilistische Schwankungsbreite ausfüllen und dennoch keine wirkliche Langeweile aufkommen lassen. Ändert nichts daran, dass Ravi Shankar nicht für jedermann bestimmt ist, wohl am allerwenigsten für mich. Mit Pistole an der Schläfe gäbe es einen Siebener, ansonsten bleibt aber wohl das Urteil zum ersten und hoffentlich einzigem Male jedem höchstselbst überlassen.
Anspiel-Tipps:
- Raga Jog