von Mathias Haden, 25.07.2017
There's no stoppin' the cretins from hoppin' - vier Prolos aus Queens als Gralshüter des Punk.
Jedes Genre hat seine Gallionsfiguren oder Aushängeschilder, mit denen man es unweigerlich und ohne große Reflexionsbemühungen in Verbindung bringen kann. Genauso wie Bands flattern einem auch direkt deren Alben zu, wenn man über die weiten Landschaften einzelner Musikrichtungen sinniert. Was Metallica für den rabiaten Thrash Metal, T. Rex für schimmernden Glam-Pop oder meinetwegen 2 Chainz für Trap darstellen, erfüllt genau diese Form des Repräsentativseins. Im Punk ist das alles ein bisschen schwammiger, allein schon, weil sich da mehrere Aspiranten um die Krone streiten, die in so einem kleinen Kosmos unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite The Clash, die sich im Prinzip nur sehr kurz in diesem Dunstkreis bewegten, einem immer volleren und glatteren Sound nacheiferten und mit ihrer am meisten gefeierten LP London Calling nur mehr ganz wenig mit dem zu tun hatte, was der Welt 2-3 Jahre zuvor als Punk um die Ohren flog. Also genau das, was ihre Landsleute von den Sex Pistols mit ihrem einzigen Longplayer, in erster Linie aber mit ihren einschneidenden Single-Hits fabrizierten. Abgesehen von diesen 3-4 furiosen Brettern war das Meiste zwar viel Lärm um Nichts und zu großen Teilen wegen der weitflächig infektiösen No Future-Attitüde nennenswert, über den Status der Pistols lässt sich aber immerhin vortrefflich streiten.
Im Gegensatz zu den Vorbildern und -läufern jenseits des Atlantik, die mit ihrem selbstbetitelten Debüt Maßstäbe setzten. So sehr Ramones und die vorauspreschende Single Blitzkrieg Bop trotz lächerlichen Verkäufen die Pop-Landschaft nachhaltig veränderten und allein deswegen zu ebendiesen Aushängeschildern für den Punk heranreiften, so sehr juckt doch jedes Mal das Bedürfnis, auf jenes Album hinzuweisen, welches das Debüt der Band, die kurzen Genre-Bemühungen der Clash und das gesamte Schaffen der Sex Pistols sowieso, in den Schatten stellt: Ihre dritte LP Rocket To Russia. Warum die so krass ist, ist eigentlich in einer simplen Formel und damit rasch erklärt: Debüt + zusätzliche Dynamik, flotteres Tempo und rauere Produktion = Triumph auf allen Ebenen. Das nimmt zwar dem weiteren Review-Verlauf etwas die Spannung, letztlich sind Ramones-Rezensionen aber ohnehin immer so wenig überraschend wie deren LPs. Was beileibe nicht als Nachteil verstanden werden sollte.
Gerade Rocket To Russia weiß nämlich den kleinen Spielraum der Band bestens auszureizen. Auf der einen Seite der nihilistische Punk, der schon dem Debüt so eine charmante Note verliehen hat, auf der anderen Seite Einflüsse aus Surf- und Bubblegum-Pop - dazwischen darf immer wieder ein bisschen Rock 'n' Roll-Attitüde durchschimmern. Das beginnt im Prinzip direkt beim kongenialen Opener Cretin Hop, der alles vereint, was Joey, Johnny, Dee Dee und Tommy ausmacht (simpler, aber wirkungsvoller Riff, zugkräftige Rhythmusabteilung und einfache, unglaubliche Songzeilen von Joey unnachahmbar vertont) und endet mit dem ebenso kongenialen Why Is It Always This Way?, dessen bittersüßer Humor nur eine weitere Facette der ach so facettenlosen US-Amerikaner bedient und dessen traurige Zeilen so gar nicht und letztlich doch so hervorragend zur heiter beschwingten Musik passt:
"Hey, hey, hey
Why is it always this way?
Last time I saw her alive
She was wavin', wavin' bye-bye
She was contemplating suicide
Now she's lying
In a bottle of formaldehyde
And oh, I just don't know
Why I can't let her go
Oh, I just don't know"
Was dazwischen abgeht, ist ganz große Pop-Grundschule. Flott, mitreißend und auf den Punkt gebracht. Kein Track knackt die Dreiminutenmarke, dafür ist man nach einer knappen halben Stunde um vierzehn Ohrwürmer reicher. Herausragend sind Teenage Lobotomy, dessen explosiver, eindringlicher Johnny-Riff daran erinnert, was mit einer dynamischen Produktion aus dem Debüt herauszuholen gewesen wäre. Denn die Songs der ersten drei Alben liegen qualitativ sehr nahe beieinander, Rocket To Russia holt nur das meiste aus ihnen heraus, wie bei der unsterblichen Surf-Hymne Sheena Is A Punk Rocker oder dem sanfter arrangierten, bauernschlauen Here Today, Gone Tomorrow.
Daneben stehen mit dem skurrilen Cover-Experiment Surfin' Bird und dessen obskurem Ende oder dem verhältnismäßig öden I Can't Give You Anything auch Bemühungen, die weniger zünden, im Albumkontext aber kaum Verdruss bringen. Auch dahingehend lohnt es sich einfach, lediglich kurze, knackige Nummern ins Rennen zu schicken - insbesondere, wenn sie so liebevoll verpackt sind. Dementsprechend auch ein winziges Kompliment an die Herren Bongiovi, Stasium und Tommy Ramone, denen die dritte LP ihren teureren, gleichzeitig aber songdienlicheren Sound zu verdanken hat.
Wenn man dann noch eine kleine Schwäche für die Kombination Schwarz/Rosa aufbringen kann, ist auch der letzte Drops gelutscht und Rocket To Russia als strahlendes Meisterwerk abgesegnet. Bizarr, weil die Musik der Ramones vergleichsweise wenig Anspruch auf Perfektion stellt und auf Johnnys Betreiben hin immer möglichst schnell eingespielt werden sollte. Vielleicht liegt genau da der Charme dieser LP, deren Melodien, Rhythmen, Gesang, Songs und Aufbereitung praktisch keinerlei Wünsche offenlassen und das getrost als Krone der Punk-Schöpfung bezeichnet werden darf. Und tanzen kann man dazu auch noch!
Anspiel-Tipps: