Ramones - Mondo Bizarro

 

Mondo Bizarro

 

Ramones

Veröffentlichungsdatum: 01.09.1992

 

Rating: 6 / 10

von Mathias Haden, 11.11.2020


Mit den Füßen voraus in die Ramones-Hölle, die Achte: Kupferrausch

 

Als Quasi-Freelancer oder Teilzeitpraktikant oder freundlicher Helfer aus dem Off und gänzlich ohne jegliche Verpflichtung und Schreibvorgaben möchte ich in dieser besonderen Reihe einer ganz speziellen Liebe meinerseits nachgehen: den wunderbaren, unvergessenen und seit kurzem nicht mehr platinlosen Ramones. Der Gedanke dazu ist folgender: In relativ kurzer Zeit möchte ich die auf MusicManiac noch fehlenden, immerhin neun LPs der New Yorker unter das Rezensionsmesser legen und mit passenden Worten bedenken. Dass es hier - wie spitzzüngige und gleichermaßen ahnungslose Kritiker auch über die Musik der Ramones urteilen würden - wenige Überraschungen geben dürfte, ist angesichts der verjährten, aber beinahe immer noch gültigen Top 10 eh klar, geht es doch vorwiegend um eine gar nicht so kleine Würdigung meinerseits der coolsten amerikanischen Band aller Zeiten gegenüber und um nichts anderes. In welcher Reihenfolge die fehlenden Alben, die ich chronologisch anpacken werde, online lesbar sein werden, überlasse ich dem Kollegen, dafür spare ich mir mit dieser copy+paste-Einleitung fortan ein wenig Zeit und Gehirnschmalz. In diesem Sinne an den großen Big Boss und alle anderen: man sieht sich, man liest sich, man hört sich. Nun, man liest sich zumindest.

 

Vor langer, langer Zeit brachen einst Abertausende bärtige Männer mit Hunden und Spitzhacken auf, in den Minen von Colorado und Kalifornien, später auch in Südamerika oder Australien, das große Glück zu finden. Es war die Zeit des großen Goldrauschs, dessen Verlockung im 19. Jahrhundert unzählige Arbeiter aus ihren Heimatorten forttrieb. Mit der Hoffnung im Nacken, in den Tiefen der Schächte auf unermessliche Reichtümer reinen Edelmetalls zu stoßen, folgten diese tollkühnen Helden dem Duft des Abenteuers und jedem noch so schwachsinnigen Gerücht vom Gold, das irgendwo auf der Straße rumliegen sollte. Reich wurden selbstverständlich nur die wenigsten, aber der große Mythos vom Land, in dem jeder mit Fleiß und einem Hauch Chuzpe zum Millionär heranreifen kann, hat sich immerhin bis weit ins 20. Jahrhundert gerettet.

 

Zusammenfassend kann man auch einfach sagen, die Amerikaner hatten schon immer schwer einen an der Waffel. Zu welchem Wahnsinn sich diese 500 Jahre kulturloser Selbstüberschätzung mit dem Blendeffekt einer M84 Schockgranate akkumuliert haben, dürfte spätestens im Wahlkampf (der zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht zu Ende ist) klar geworden sein. Und weil man sich mittlerweile schon längst fragen dürfte, was das ganze Zeug mit den Ramones und ihrer drittletzten LP Mondo Bizarro zu tun haben soll, biete ich als Entschädigung gleich zwei verlockende Übergänge an:

 

Der erste und banalere ist, dass das dreizehnte Album der Band dem Goldrausch ebenfalls gefolgt ist und als einziges (!) Studiowerk im Kanon gleich in zwei Ländern mit Gold zertifiziert wurde. Aber nicht etwa in den bald vielleicht nicht mehr Vereinigten Staaten, wo es tatsächlich nur das Debüt mit fast vierzig Jahren Verspätung zum Goldstatus gebracht hat, sondern in Brasilien und im Fan-Land Argentinien, wo diese Ehre gleich vier Alben der Ramones zuteilwerden durfte.

 

Der andere ist, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch schon vor Biden und Trump Schlafmützen und Soziopathen wichtige Ämter bekleiden durften, wenn auch selbstverständlich nicht im selben Maßstab wie beim Star aus "Kevin - Allein in New York". Im Lauf ihrer Karriere wurden die Ramones zwar oft gesellschaftskritisch, aber nur selten explizit politisch, was sich bei einer - stets schwierigen - Zusammenarbeit zwischen einem konservativen Gitarristen und einem linksliberalen Sänger wohl auch nicht so einfach ergibt. Während die Frontalkritik an Ronald Reagan für seinen Besuch am SS-Friedhof Bitburg zum Highlight der mittleren Karrierephase wurde, kommt Mondo Bizarro-Opener Censorshit nicht ganz so elegant vom Fleck. Ziel der angriffigen Zeilen ist diesmal Al Gores Frau Tipper, an die Joey wegen ihrer Parental-Advisory-Kampagne direkt das Wort richtet:

 

"Tipper, what's that sticker sticking on my CD?
Is that some kind of warning to protect me?
Freedom of choice needs a stronger, stronger voice
You can stamp out the source, but you
Can't stop creative thoughts"

 

Sein Fazit fällt allerdings weniger freundlich aus, weswegen das Stück aus einer härteren Punk-Routinenummer zu einem interessanten Auftakt wird:

 

"Hey, hey all you senator's wives
Better take a good look at your own lives
Before you go preaching to me
Your definition of obscenity"

 

Damit scheint früh auf der Platte das Wichtigste gesagt, auch wenn Censorshit, wie gesagt, nicht unbedingt zu den Highlights zählt. Die sucht man auf LP #13 am ehesten dort, wo düstere Klänge das Geschehen bestimmen. Poison Heart ist nicht nur herrlich morbide Kost ("Well, I just want to walk right out of this world"), sondern balanciert sein langsameres Tempo sehr gelungen mit härteren Gitarrenwänden und seinen hymnenhaften Hook aus. Auf alle Fälle war es die Kaution für Dee Dees Befreiung aus dem Gefängnis allemal wert, für welche die Band mit dem Song belohnt wurde.

 

Da sich diese Rezension dank des geschwätzigen Mittelteils schon ziemlich aufgebläht hat, Mondo Bizarro zwar eine der ausgeglicheneren, aber auch unspektakuläreren LPs der Band ist und mittlerweile schon hinreichend darauf hingewiesen wurde, wie die Ramones klingen, fasse ich mich beim Rest kurz: Der Gitarrensound der 90er-Ramones klingt knackiger und rauer als auf jenen der 80er, dafür verläuft sich dieser Sound auf einem biederen Rocker wie Cabbies On Crack in einer gewissen Beliebigkeit, die in der uninspirierten Selbstreferenz und dem Eigenrecycling von Closer Touring einen traurigen Höhepunkt findet. Im Gegensatz zu den durchwachsenen Platten Animal Boy und Halfway To Sanity, auf denen sich Highlights und Lowlights die Klinke an der Tür reichten, liefert Mondo Bizarro solide und abgebrühte Kost mit wenigen Ausreißern, sowohl nach oben als auch nach unten, was es wohl zum Kupfer-Äquivalent im bandeigenen Repertoire macht: geschätzt und gerne gesehen, aber ein kühnes Abenteuer dann doch keinesfalls wert.

 


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