von Mathias Haden, 19.04.2020
Mit den Füßen voraus in die Ramones-Hölle, die Sechste: Ein einsamer Ausrutscher in die Durchschnittlichkeit.
Als Quasi-Freelancer oder Teilzeitpraktikant oder freundlicher Helfer aus dem Off und gänzlich ohne jegliche Verpflichtung und Schreibvorgaben möchte ich in dieser besonderen Reihe einer ganz speziellen Liebe meinerseits nachgehen: den wunderbaren, unvergessenen und seit kurzem nicht mehr platinlosen Ramones. Der Gedanke dazu ist folgender: In relativ kurzer Zeit möchte ich die auf MusicManiac noch fehlenden, immerhin neun LPs der New Yorker unter das Rezensionsmesser legen und mit passenden Worten bedenken. Dass es hier - wie spitzzüngige und gleichermaßen ahnungslose Kritiker auch über die Musik der Ramones urteilen würden - wenige Überraschungen geben dürfte, ist angesichts der verjährten, aber beinahe immer noch gültigen Top 10 eh klar, geht es doch vorwiegend um eine gar nicht so kleine Würdigung meinerseits der coolsten amerikanischen Band aller Zeiten gegenüber und um nichts anderes. In welcher Reihenfolge die fehlenden Alben, die ich chronologisch anpacken werde, online lesbar sein werden, überlasse ich dem Kollegen, dafür spare ich mir mit dieser copy+paste-Einleitung fortan ein wenig Zeit und Gehirnschmalz. In diesem Sinne an den großen Big Boss und alle anderen: man sieht sich, man liest sich, man hört sich. Nun, man liest sich zumindest.
Es ist ja fast ein Grundgesetz, zumindest aber ein faszinierendes Mysterium der Popgeschichte, dass sich Künstler, die in den 70ern (oder noch früher) ihre größten Momente hatten, irgendwann im Verlauf der 80er den kreativen Tiefpunkt erreichen sollten. Viel zu oft wurden von mir schon die prominenten Beispiele Dylan und Young angeführt, man könnte zu diesem Zweck auch mal in die Riege großer Regisseure blicken, die ihren Heyday während der Blütephase des New Hollywood Ende der Sixties bis Ende der folgenden Dekade erlebten und in den 80ern künstlerisch versandeten. Man könnte aber auch einfach bei den Ramones bleiben, die bereits 1986 mit Animal Boy verdammt nah am Abgrund balancierten, mit unvorteilhaftem Sound und ein paar absolut entbehrlichen Stücken. Dass das Urteil für besagte LP aber gerade noch positiv ausfällt und diese damit auf den bandintern vorletzten Platz hebt, wundert mich jedes Mal aufs Neue.
Genau so sehr wie der Umkehrschluss, dass es demnach eben eine Ramones-Platte geben muss, die "schlechter" sein soll. Halfway To Sanity heißt diese, erwähnenswerterweise die letzte mit Richie und eigentlich auch Dee Dee als vollwertigen Mitgliedern, und es ist auf den ersten Blick tatsächlich absolut unverständlich, wie es soweit kommen konnte. Denn mit dem raueren und dank Daniel Rey (erstmals hinterm Mischpult) weniger trashig produzierten Sound sowie den härteren Gitarren ist man auf dieser Ebene seinem Vorgänger über die meiste Zeit weit voraus. Dazu kommt, dass gleich zu Beginn zwei der stärksten Tracks der 80er zu finden sind. I Wanna Live ist bedrohlich, cool und kompromisslos, groovt extrem lässig und liefert auch noch eine tolle Hook. Garden Of Serenity rauscht noch härter an und ist in seiner manischen Intensität für Ramones-Verhältnisse fast verstörend, diese Wucht in Verbindung mit enigmatischen Zeilen fördert aber ebenfalls großartige Minuten zutage:
"Meet me in the graveyard, we'll walk amongst the
dead
On a midnight odyssey riding in my head
I'm not your enemy, girl, I'm your friend
Come with me on a journey, on a journey to the end"
Hat man diesen fulminanten Einstieg und das von den beiden Tracks umzingelte, irgendwie schwachsinnige, aber solide und für manche vielleicht als plain fun durchgehende Bop 'Til You Drop verdaut, wird es - allerdings aus anderen Gründen als bei Too Tough To Die - wieder skurril. Argumente dafür muss man hier nämlich gar nicht erst suchen, sie werden einem direkt ins Gesicht geklatscht. Da wäre etwa die Auto- und Sommerspaß-Ode Go Lil' Camaro Go, ein bizarres Duett zwischen Joey und Blondie-Frontfrau, das zwar in höchstem Maß unterhaltsam ist, dessen Reminiszenzen an den Bubblegum-Pop-Punk der frühen Jahre aber so gar nicht mit dem bleiernen Sound der Platte zusammenpassen will. Noch schräger ist allerdings der ziellos drückende Hardcore-Punk von I'm Not Jesus, einem traurigen Lowlight in der Karriere der Band. Wem das nicht reicht, hat seine Rechnung noch nicht mit den beiden Beiträgen der zweiten LP-Seite von Dee Dee "King" Ramone (kurz vor seiner Karriere als Rapper) gemacht. Auf I Lost My Mind darf der völlig indisponierte Bassist mal wieder ans Mikro und schreit und krächzt und gurkt nach allen Regeln der unappetitlichen Musikschaffung rum, sodass man ihm für seinen baldigen Abgang fast danken möchte. Das andere, abschließende Stück Worm Man wird zwar nicht von ihm vorgetragen, ist aber so unglaublich beschissen, dass man seine einleitenden Zeilen präsentieren muss:
"I'm a worm man
I'm fed up
There's no hope
I wanna puke
I want some dirt"
Irgendwo ist es dann ja doch wieder verständlich, warum die Band mit Halfway To Sanity zum ersten und einzigen Mal im biederen Mittelmaß ankommt, auch wenn die drei zuletzt genannten Verbrechen in einer Liga spielen, die dem Rest des Albums zum Glück verborgen bleibt. Abgesehen davon hält die Platte mit A Real Cool Time eine verkannte kleine Pop-Perle bereit, wodurch sich Gut und Böse dann auch wieder die Waage halten, während der Rest der Platte an diesem Unentschieden nicht mehr viel zu ändern vermag. Die Ramones hatten zwar in Sachen Sound und mit Daniel Rey wieder ein besseres Händchen, drei derartige Bruchlandungen verkraftet aber kein Album.