Die New Yorker taumeln, fallen aber dank einiger starker Kompositionen noch nicht.
Zehn Jahre sind vergangen, seit Joey, Johnny, Dee Dee und... (wer war noch gleich Drummer?) Ach ja Tommy, danach Marky und anno 1986 Ritchie Ramone die New Yorker Musikszene aufwirbelten und mit simplen Songstrukturen an den Rock 'n' Roll der 50er anknüpfen wollten. Nach acht Studioalben innerhalb von ebensovielen Jahren wurde 1985 eine großartige Single Bonzo Goes To Bitburg auf den Markt geworfen und kurze Zeit später der um den Song gebaute Longplayer fertiggestellt. Außerdem hatte man trotz positiver Resonanz für Vorgänger Too Tough To Die mit Jean Beauvoir kurzerhand einen neuen Produzenten angeheuert.
Ernüchterung war im Ramones-Camp spätestens Anfang der Achtziger eingekehrt, nachdem nicht einmal der große Phil Spector die begabten Burschen nach ganz oben bringen konnte. Mittlerweile kam auch noch dicke Luft im Lager der Punk-Urväter auf. Grund für die Krise: ein langjähriger Streit zwischen Sänger Joey und Gitarrist Johnny, weil letzterer ersterem das Mädchen (Linda) ausgespannt (und später auch geheiratet) hatte. Dieser sollte bei den Arbeiten zu Animal Boy seinen Höhepunkt haben, stellte sich doch Johnny meistens gegen Songideen von Joey. Unvorstellbar eigentlich, dass genau diese beiden die Mitglieder sind, die von der ersten bis zur letzten Sekunde dabei waren.
Aber kommen wir zum Inhalt. Irgendwie ist die neunte LP ja ein zerfahrenes Stück. Einerseits hat man da diese starken Momente, die sich auch am unterirdischsten Album der Band finden lassen würden. Anderseits, und das hört man hier zum ersten Mal, haben es auch einige dürftigere Kompositionen auf den Final Cut geschafft. So findet sich ein Song wie Crummy Stuff auf der Scheibe, den man bestenfalls auf dem Soundtrack einer Low Budget Produktion von 'Charlie und die Schokoladenfabrik' erwartet hätte. Zwei Minuten und gefühlt unzählige lausige Refrains ("I had enough / I had it rough / I had enough of that crummy stuff") später hat das Ramones-untypische Grauen ein Ende. Das Traurige ist aber nicht unbedingt der miese Text sondern die grottige Produktion, die auch das ganze Album durchzieht und selbst die nettesten Songkonzepte in ungute 80er-Glockenhosen zwängt. Was man vielen anderen Werken dieser Zeit noch nachsehen kann, verliert hier bei dieser dynamischen Band, mit ihrem schnörkellosen Punk an Glaubwürdigkeit. Songs wie She Belongs To Me oder Closer Something To Believe In tönen zwar ganz nett, die Produktion steht ihnen auch irgendwie, aber mit Punk hat das nun wirklich nichts mehr zu tun. Da fehlt die Energie der Frühwerke, da fehlt die Aggressivität vom Vorgänger. Besonders auf ersterem dominieren nur die Synthesizer, für Johnnys prägnantes Gitarrenspiel ist auf Animal Boy grundsätzlich wenig Platz. Dazu noch Eat That Rat, einer dieser unnötigen Beiträge von Dee Dee als Sänger Mitte des Jahrzehnts. Zumindest hat der so etwas wie Power und spielt sich schmutzig runter, so wie man sich das wünscht. Warum aber Joey und nicht er am Mikro stehen sollte, erklärt sich hier von selbst.
Wow, die werden aber auseinandergenommen. Nein, so schlimm ist es echt nicht. An sich ist das Album nämlich wirklich ein ansehnliches. Hellster Lichtblick: die zu anfangs erwähnte Single, für das Album umbenannt in My Brain Is Hanging Upside Down (Bonzo Goes To Bitburg). Der allein ist im Prinzip die Anschaffung wert, hier kommt die Wut, die Joey für den im Song anvisierten US-Präsidenten hegt, perfekt zur Geltung. Tolle Performance, großartiger, kritischer Text: Was will man mehr? Wenig zu bemängeln gibt es auch bei Mental Hell, mit starkem Riff, polterndem Gesang und wenig Firlefanz. Ein wirklich starker Song wäre auch Apeman Hop, würden die Dschungelgeräusche und das Tarzangeschrei nicht ein wenig nerven. So verhält es sich auch auf den anderen Songs der LP: unter der dicken Produktionsdecke von Jean Beauvoir verstecken sich starke Nummer, die etwas abgespeckteren sind es zum Teil schon. Auf Love Kills, das ohne Synthies und Schnickschnack auskommt, liefert Dee Dee eine seiner besseren Leistungen als Sänger und hält ein paar seiner besten Zeilen (für Sid Vicious von den Sex Pistols und seine Freundin) parat.
Das Songwriting ist einigermaßen okay, sieht man mal von dem unguten Crummy Stuff und dem merkwürdigen Text zu Hair Of The Dog ab. Außerdem finden sich einige der besten Zeilen der Ramones in der bereits gelobten Single wieder:
"Bonzo goes to Bitburg then goes out for a cup of tea
As I watched it on TV somehow it really bothered me
Drank in all the bars in town to understand the foreign policy
Pick up the pieces"
und die großartige Bridge:
"If there's one thing that makes me sick
It's when someone tries to hide behind politics
I wish their time could go by fast
Somehow they manage to make it last"
Diese Wut im Bauch von Joey hat man schon schmerzlich vermisst, äußert er als Jude in diesem Song doch seinen Unmut über einen Friedhofbesuchs Reagan, auf dem SS-Angehörige begraben liegen, um mehr oder weniger einen Schlussstrich zu ziehen. Interessant ist vor allem, dass mit Johnny ein bekennender US-Republikaner in den eigenen Reihen stand, der Reagan für den besten US-Präsidenten hielt und für die leichte Namensänderung des Songs auf der LP zuständig war.
Nach 32 Minuten bleibt man dann mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Hier wäre eindeutig mehr drin gewesen, hätte man dieselben Songs (minus Crummy) schon Ende der 70er parat gehabt. So drückt sich der Gesamteindruck etwas, dank einiger toller Songs und einigen starken Minuten ist das Urteil dennoch positiv. Das neunte Studioalbum läutet zwar einen Qualitätsverlust ein, nach den starken Vorgängern, hält sich aber dennoch wacker. Die Ramones taumeln, fallen aber noch nicht.