von Mathias Haden, 12.11.2020
Mit den Füßen voraus in die Ramones-Hölle, die Neunte a.k.a. der finale Akt: die letzte Hommage.
Als Quasi-Freelancer oder Teilzeitpraktikant oder freundlicher Helfer aus dem Off und gänzlich ohne jegliche Verpflichtung und Schreibvorgaben möchte ich in dieser besonderen Reihe einer ganz speziellen Liebe meinerseits nachgehen: den wunderbaren, unvergessenen und seit kurzem nicht mehr platinlosen Ramones. Der Gedanke dazu ist folgender: In relativ kurzer Zeit möchte ich die auf MusicManiac noch fehlenden, immerhin neun LPs der New Yorker unter das Rezensionsmesser legen und mit passenden Worten bedenken. Dass es hier - wie spitzzüngige und gleichermaßen ahnungslose Kritiker auch über die Musik der Ramones urteilen würden - wenige Überraschungen geben dürfte, ist angesichts der verjährten, aber beinahe immer noch gültigen Top 10 eh klar, geht es doch vorwiegend um eine gar nicht so kleine Würdigung meinerseits der coolsten amerikanischen Band aller Zeiten gegenüber und um nichts anderes. In welcher Reihenfolge die fehlenden Alben, die ich chronologisch anpacken werde, online lesbar sein werden, überlasse ich dem Kollegen, dafür spare ich mir mit dieser copy+paste-Einleitung fortan ein wenig Zeit und Gehirnschmalz. In diesem Sinne an den großen Big Boss und alle anderen: man sieht sich, man liest sich, man hört sich. Nun, man liest sich zumindest.
Wir schreiben den 12.11.2020. Während in Wien die große Unsicherheit wegen Terroranschlag und chaotisch halbherziger Corona-Maßnahmen weiterhin spürbar ist, herrscht in der Redaktion der MusicManiac-Schreiber zumindest für wenige Stunden Jubelstimmung. Heute vor exakt sieben Jahren oder noch präziser 2557 Tagen wurde der erste Ramones-Review (End Of The Century) fertiggestellt und auf dieser einzigartigen Webseite verewigt. Ich hatte damals noch langes, volles Haar und mein Kollege einen dichten Schnauzer. Was man seinerzeit halt so getragen hat. Mittlerweile haben wir uns beide mit dem unaufhaltsamen Voranschreiten des Alters längst angefreundet und altern langsam, aber sicher in Würde dahin. Obwohl sich meine Schreibkunst seit den unschuldigen Anfängen des Autumn of '13 nur marginal verbessert hat bzw. längst wieder im Sturzflug in triste Höhenlagen befindlich ist, bin ich dennoch stolz darauf, der coolsten Band aller Zeiten eine ganze Studiodiskographie an Reviews gewidmet zu haben. Dazu ist es auch ein schönes Gefühl, endlich am Ende einer langen Reise anzukommen.
Aber bevor dies wieder ähnlich ausschweift, wie die Ausflüge neulich in die Goldminen von Colorado, möchte ich den Ball flacher halten und die heutige Hommage lieber MusicManiac und den Ramones entrichten - auch wenn Letztere diese Ehre auf ihrer vorletzten LP Acid Eaters gleich wieder weitergeben. An ihre eigenen Helden und Einflüsse nämlich, die auf den zwölf Stücken gecovert werden. Dass diese Helden mitunter die Creme de la Creme der Sixties darstellen, ist wenig überraschend. Den Classic-Rock-Koryphäen der Rolling Stones, Who, Jefferson Airplane und CCR wird dabei ebenso gehuldigt wie den Garage-Vorreitern The Seeds oder den Troggs.
Nicht besonders überraschend ist auch der Umstand, dass die New Yorker in der Lage sind, Fremdkompositionen adäquat zu adaptieren und sich diese zu eigen zu machen, immerhin sind Cover-Versionen seit dem selbstbetitelten Debüt gewohnte Praxis. Auch auf Acid Eaters leistet die Band ganze Arbeit. Man kann der Band und vor allem Joey anhören, wie viel Spaß es gemacht haben muss, sich durch Klassiker wie Out Of Time der Stones, Somebody To Love von Jefferson Airplane (bzw. The Great Society) oder Have You Ever Seen The Rain? von Creedence Clearwater Revival zu spielen. Sechzehn, siebzehn Jahre nach Let's Dance und Surfin' Bird klingt das selbstverständlich weniger verspielt, aber kein bisschen kauzig oder gar ehrenrührig. Ganz im Gegenteil, am The-Who-Gassenhauer Substitute gibt sich Pete Townshend ein kleines Stelldichein und harmoniert im Duett. Der Sound der Platte ist vielleicht ein bisschen muffig, das hindert vor allem Johnnys Gitarre allerdings nicht daran, ordentlich zu brettern. Apropos Sound: Obwohl hier alles wie immer nach Ramones klingt, geben die gelegentlich durchblitzenden Keyboard-Tupfer den altern Nummern doch eine Note, die sich von den anderen LPs ein wenig unterscheidet und dementsprechend auch ganz gut zu einem Covers-Album passt. Ich weiß zwar nicht, wie die Band an Produzent Scott Hackwith geraten ist, aber allein schon wegen dem herrlich voranpreschenden Gitarren- und Trommelwirbel vom Proto-Punk-Wunder 7 And 7 Is kann ich ihm nicht besonders böse sein.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht auch einen erwähnen, der auf Acid Eaters einen entscheidenden Schritt macht. Während C. J.s Ausbeute auf Mondo Bizarro mit einem High- sowie einem Lowlight ambivalenter Natur ist, kann er hier sein solides, aber nicht überwältigendes Bassspiel mit ordentlichen Gesangsauftritten und kontrastreicher Jugend überzeugend kaschieren. So geraten die druckvoll dynamischen Journey To The Center Of The Mind, The Shape Of Things To Come und My Back Pages zu gelungenen Bewährungsproben, die zumindest in den ersten beiden Fällen ihre Wurzeln auch noch vor der Brust tragen. Und auch wenn die zwölf Interpretationen insgesamt nur selten große Gefühle hervorrufen und man sich viel eher an der Spielfreude und den überwiegend erstklassigen Kompositionen erfreuen kann, so kann man durchaus festhalten, dass unter ihnen eigentlich kein wirklicher Totalausfall auszumachen ist. Höchstens das abschließende, von Brian Wilson mitgeschriebene Surf City samt seltsamer Hintergrundgesänge und Soundgimmicks klingt mit Anfang vierzig nicht mehr ganz so taufrisch wie die Bubblegum-Surfnummern der frühen Jahre. Alles in allem ist das folglich keine essenzielle Kost, indes ein absolut hörenswertes Album, das darüber hinaus auch zum besseren Verständnis der Bandkunst maximal zuträglich ist.
Es ist wie es ist. Mit den Ramones hat sich Mitte der 90er eine der besten und aufregendsten Bands der Musikgeschichte verabschiedet und jedes fehlende Wort über die Qualitäten von Joey, Johnny, Dee Dee, Tommy, C. J., Marky und Richie (den Blondie-Elvis mal ausgeklammert) ist eines zu viel. Dem habe in den letzten Monaten bzw. sieben Jahren tapfer entgegengewirkt und präsentierte hiermit stolz das letzte Mosaiksteinchen im Studiokanon der Band. Ich bedanke mich fürs Lesen, für die Geduld meines Kollegen und für vierzehn LPs, die ich trotz Qualitätsschwankungen in meiner Sammlung nie mehr missen mag. "Punk's not dead!" lautete die einfallsreiche Parole, mit der ich meinen ersten Ramones-Review einleitete. Heute stimme ich gerne zu, dass Punk längst verwest ist (wie Rock im Übrigen auch), der Spirit dieser vierzehn Platten wird den fauligen Geruch aber überdauern.