von Kristoffer Leitgeb, 29.08.2014
Ein unvermeidlicher Absturz. Deutschlands erfolgsverwöhnte Industrial Rocker sind angelangt in der prüden Durchschnittlichkeit.
3.6.1934: Österreich verliert im Halbfinale der Fußball-WM gegen Italien. Die Ära des Wunderteams gilt endgültig als beendet.
Dezember 1982: Atari veröffentlicht 'E.T. The Extra-Terrestrial', landet den wohl bekanntesten Game-Flop aller Zeiten und stürzt die boomende Videospielindustrie in die Krise.
1.10.2006: Nach seinem eindrucksvollen Triumph 2002 verliert Wolfgang Schüssel die Nationalratswahl überraschend gegen Alfred Gusenbauer und verabschiedet sich widerwillig aus der Spitzenpolitik.
Was für eine Lehre ziehen wir daraus? Fallen kann man erst, wenn man mal so wirklich oben ist, dann aber doch immer mit ausreichender Geschwindigkeit. Rammstein, tja, da ist das mit dem oben ankommen für viele schon so eine Sache, aber die Band hatte ihre Zeit und in der ging's dann doch steil bergauf. Anno 2005 ist man aber ganz geschwind wieder am Anfang: Im schwierigen Mittelmaß.
Was für Kundige nur bedingt zur Überraschung geworden ist. Zu viele Unsicherheiten haben sich vor dem fünften Album verdichtet. Vom beängstigenden Debüt und dem brachialen Follow-Up beschritt man den steinigen Weg in Richtung musikalischer Vielfältigkeit. Kein leichtes Unterfangen, wie soll das erst erreicht werden, wenn man ein B-Side-Werk präsentiert. Gut, solch einen Umstand zuzugeben, damit haben sie's nicht so, die Berufsmusiker, deswegen ist "Rosenrot" auch nur zum Teil aus aussortierten Songs des Vorgängers zusammengestückelt. Einer davon, Rosenrot, macht auch dort weiter, wo man 2004 aufgehört hat. In Wahrheit keine Spur von Metal, treibender Bass, simpler Beat und Lindemanns allzeit kernige Gesangdarbietung formen die Single und machen sie zu einem der wenigen wirklichen Lichtblicke der LP. Auch weil die textliche Qualität locker an die besten Momente im Repertoire heranreicht, somit als wirkliche, eher mickrige, Schwachstelle nur mehr der mit zu wenig Nachdruck vorgebrachte Refrain bleibt.
Ein Täuschungsmanöver, das aber bereits davor leicht bombardiert wird. Benzin gibt sich als archetypische Rammstein-Auskopplung, full force quasi mit röhrenden Gitarren, markantem Riff und einem an Einfachheit wahrlich nicht zu toppenden Text. Während einem das Jahre vorher durch geniale Rhythmen, eine exzellente Vorstellung von Lindemann oder auch einfach einem Gitarren-Gustostückerl wie dem von Keine Lust versüßt wurde, bleibt's hier bei den mäßigen Basics. Damit ist man noch gut bedient, scheinen doch die lauteren Momente schon in der Unterzahl zu sein, dann auch noch selten einmal als positive Kraft heraus zu stechen. Zerstören heißt der Versuch, zwischendurch an Härte zuzulegen, mit simplem Songbau zu punkten. Ein Intro zum Genießen wird's auch, mit Top-Beat, lockerem Riff und markanter Keyboard-Unterstützung von 'Flake' Lorenz, es sollte beinahe dabei bleiben. Einzig der Beat überlebt, der traurige Rest wird zur schwierigen Übung in Krach und stupider politischer Botschaft. Musikalisch sieht's dann zwar sowohl bei Mann Gegen Mann als auch Te Quiero Puta! besser aus, eitel Wonne ist aber auch da nicht angesagt. Gut, der Wechsel von tollen Bass-Strophen und dem großartigen Riff im Refrain hilft im Ersten, für die Band schon fast revolutionäre Bläser versüßen die Hard Rock-Performance im Zweiten. Beide lassen allerdings textlich komplett aus, sowohl der Schwulen-Song - überlebt trotzdem gut - als auch das Geschenk an mexikanische Fans auf Spanisch machen's einem da schwer.
Man sucht nach Wiedergutmachung und findet...nicht viel. Die ruhigen Momente der Platte wirken zu oft zu kraftlos, schaffen es nicht, den Funken auf den Fan überspringen zu lassen. Die ins Unendliche gedehnte Rock-Ballade Spring hätte mit dem unfreiwilligen Selbstmord schon fast wieder humoristisches Potenzial, wirkt aber lustlos vorgetragen, Ein Lied enttäuscht dagegen als komplett akustischer Closer durch seine ziemlich sinnlose Langeweile. Beides geht aber andernorts auf. Zum einen trifft man mit Hilf Mir dank lauterer Performance eher ins Schwarze, kann mit der Vertonung von der Struwwelpeter-Geschichte 'Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug' punkten und bringt neben dem ewig jungen Stop-and-Go Riff von Richard Kruspe vor allem Lindemanns wohl beste Vorstellung hier als aussagekräftige Argumente vor. Eine wirkliche Überraschung wartet dann mit Stirb Nicht Vor Mir, einem pop-getränkten Duett, bei dem von Rammstein eigentlich nur mehr der Frontmann übrig bleibt. Dort zeigt sich der ganz streichelweich, raspelt zusammen mit Gastsängerin Sharleen Spiteri etwas Süßholz. Es klappt, vor allem weil der insgesamt ruhigere Sound des Albums abseits davon kaum einmal so gut mit der Aussage harmoniert, ähnlich wie auch die Gesangspartner schnell eine Wellenlänge finden.
Was aber ist es nun wirklich, was den Deutschen das Genick zu brechen versucht. Diagnose, Doktor? Es scheint ein vielschichtiges Problemchen zu geben. Da wäre das Second Hand-Material, das einem zwar Rosenrot beschert, bei allem Verständnis für wohl platziertes Recycling eigener Kreationen aber nicht ohne Misstrauen auskommt. Ob es dann an diesen Tracks liegt, dass das Album so viel defensiver, irgendwie sogar kraftloser wirkt als die vorherigen Versuche, ist kaum zu klären. Der Anspruch der Band, sich vermehrt dem für sie Neuen zu widmen, führt aber eben zu einer Übermacht ruhigerer Momente, einem mäßig geglückten Soundexperiment wie Te Quiero Puta! und einer Platte, die, trotz ihres so offensichtlich eigenen Charakters, kaum einmal für eine Überraschung gut ist.
Man hätte vielleicht doch lieber die Jungs aus dem Jahr 2001 wieder zurück, die so genau wussten, wo sie welchen Ton wie platzieren mussten. Aber wie das Wunderteam (wohl leider), Atari (who cares?) und Wolfgang Schüssel (wohl Gott sei Dank), scheinen eben auch die anno dazumal so nett provokanten und vor allem allzu hörbaren Deutschen ihren Höhepunkt in Richtung Bodennähe verlassen zu haben. Was bleibt, ist ein guter Vergleich dafür, wie stark die beiden Vorgänger waren, ein grenzgeniales, an Epik kaum zu überbietendes Cover und ein ambivalentes 'Naja, so ist das eben'-Fazit. Nicht das beste Gütesiegel für ein Album.