Rammstein - ohne Titel

 

ohne Titel

 

Rammstein

Veröffentlichungsdatum: 17.05.2019

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.05.2019


Ein Comeback in altbekannter und bestmöglicher Manier, wären da nicht die Texte.

 

Comebacks laden zur unkritischen Rezeption ein, insbesondere wenn sie auf eine Pause mit ausreichender Länge folgen. Denn sie sind eine direkte Aufforderung zur Nostalgie, darüber hinaus zu einem Verlangen nach Fortsetzung alter Leistungen und machen es damit den betreffenden Künstlern eigentlich leichter, sofern sich diese in der Zwischenzeit nicht komplett von der eigenen Vergangenheit abgenabelt haben. Noch dazu sind sie ihrem Wesen nach eine Ausnahmeerscheinung, der langes Warten vorausgeht, während bei regulären Alben meistens schön gleichmäßig erträgliche Zeitspannen als Überbrückung dienen. Natürlich steckt in dieser Sonderstellung auch eine Gefahr für den Urheber, mehr denn je können nämlich die kleinsten Änderungen in der künstlerischen Matrix negativ aufgenommen werden. Was nach langem wiederbelebt wird, hat gefälligst so zu sein wie vorher, ansonsten sind wir am "Pet Sematary" und das wäre schräg. Rammstein entgehen solchen Problemen naturgemäß souverän, weil sie eigentlich immer gewusst haben, was zu tun ist. Fraglich war meist nur, ob sie auch mehr als das bieten. Die titellose Rückkehr lässt einen da unschlüssig zurück.

 

Oder auch nicht. Wenn das Nötigste ist, dass das deutsche Sextett mit dem Hang zum brachialen Pathos genau diesem wieder frönt, so passiert hier genau das. Netterweise gibt es keine Neuerfindung, stattdessen wird prolongiert, was davor eineinhalb Jahrzehnte den Erfolg gesichert hat. Wer das langweilig findet, dem sei hinter die Ohren geschrieben, dass das in einigermaßen ansprechender Form schon für sich nicht nichts ist, dass es aber vor allem eine Wohltat ist, vergleicht man es mit den teilweise bedenklichen Umtrieben der Nebenprojekte Emigrate und Lindemann, die entweder spannungsfrei und zäh oder auch einfach komplett beschissen waren. Hier ist die Band keines von beidem, was die Vermutung zulässt, dass entweder Till Lindemann und Richard Kruspe einander oder einfach alle zusammen "Flake" Lorenz brauchen, um wirklich effektiv ihre musikalischen Formeln umzusetzen. Was es auch sein mag, als Einheit gelingt der Band seit ehedem oft genug Großes. Auch diesmal hat man das mit zwei Singles angedeutet, die in ihrer gemeinsamen Stärke überhaupt an die besten Zeiten Rammsteins erinnern, insbesondere mit Blick darauf, dass Auskopplungen nicht allzu oft die große Stärke der Deutschen waren.

Doch die mit gebotener Kontroverse eingeläutete Wiederauferstehung in Form von Leadsingle Deutschland ist beeindruckend. Wenn schon nicht im Sinne künstlerischer Finesse, dann doch wenigstens dahingehend, als dass der Song Lindemann und die Seinen in einer frischen Stärke zeigt, wie man sie nicht hätte erwarten müssen. Es ist kompositorisch natürlich plumpes Liedgut, nur war es das im Hause Rammstein oft genug, nur um durch die eindringliche, meisterhafte Exekution zu epischer Größe erhoben zu werden. Das ist hier nicht anders, auch wenn man die zeitweisen Background-Stimmeinsätze von Kruspe entbehren könnte und Lindemanns Stimme bekannte Verschleißerscheinungen erkennen lässt. Abseits davon ist es ein mächtiges Spektakel, großartig produziert, auch wenn zur Abwechslung nicht Langzeitproduzent Jacob Hellner, sondern Olsen Involtini dafür verantwortlich ist. Es röhren die Gitarren, wuchtig und trotzdem geschliffen, dahinter erweist sich Christoph Schneider an den Drums als erwartbar einfach gestrickter, aber druckvoller Antrieb und natürlich - wie könnte es anders sein - gelingt Lorenz die Aufgabe, mit dem Keyboard gleichermaßen die Atmosphäre des Tracks zu vertiefen und die nötige Dynamik reinzubringen. Dann nehme man noch den unwiderstehlichen Refrain, in dem Lindemann erst wieder zu alter Stärke aufläuft, und die Sache ist perfekt.

 

Radio macht eigentlich wenig anders, auch wenn die gebotene Hook ein deutliches Upgrade ist und in Kombination mit elektronischen Hilfsmitteln, die frappant an Kraftwerk'schen Minimalismus erinnern, den eigentlichen Volltreffer des Albums bedeutet. Daran werden aber auch subtile Unterschiede zu früher deutlich. Ohne Härte geht nichts, doch es sind nicht mehr die allgegenwärtigen Riffwände, wie sie um die Jahrtausendwende unabdingbar waren, stattdessen pflegt man nuanciertere, wenn auch nicht weniger plakative Arrangements, in denen sich die musikalischen Vorbilder widerspiegeln. Das hat insgesamt den Vorteil, dass man ein kurzweiliges Gesamtpaket formt, in dem man den nächsten mächtigen Riff jederzeit gerne nimmt, gerade weil er pünktlich durch starke musikalische Akzente abgelöst wird. Beispielsweise knüpft Zeig Dich umgehend an die Eröffnung an, klingt nach einer Mischung aus "Sehnsucht" und dem konventionelleren Hard Rock von Emigrate, garniert all das allerdings schon im Intro mit epischem Choral.

 

An anderer Stelle ist es dagegen bewusst billige Elektronik, sind es oft genug dezentere Gitarrenklänge, die für Abwechslung und Atmosphäre sorgen. Natürlich springt einem da das beklemmende Puppe ins Auge, dessen karge Zupfer zu Beginn sich als klanglich wohl beste Entscheidung des Albums neben der Kraftwerk-Referenz von Radio heraustellen. Bahnbrechend ist das weniger, effektiv ist es aber spätestens an dem Punkt, wo man Wiener Blut vom letzten Album in Erinnerung ruft, indem man einen Refrain brachialer, trockener Härte mitsamt Lindemanns verstörendstem gesanglichem Auftritt seit langem einbaut. Dem gegenüber stehen Songs wie Weit Weg, Was Ich Liebe oder Diamant, die allesamt einen Hauch von Poesie ins Album bringen, dafür einerseits auf hymnisch-sphärischen Hard Rock mit elektronischer und symphonischer Unterstützung, andererseits auf eine Kombi aus akustischer Gitarre und Streichern setzen. In höchstem Maße durchdringend ist nichts davon, überzeugend ist jedoch vor allem das leicht kitschige Diamant allemal, was nicht zuletzt an Lindemanns starker stimmlicher Performance liegt.

 

Doch Rammstein kämpfen ganz offensichtlich mit einem gewaltigen Problem. Wenn es dieser LP nämlich an etwas mangelt, dann ist es die inhaltliche Substanz. Nun mag es Unkenrufe geben, die das der Band für ihre gesamte Diskographie vorwerfen möchten, doch es ist ja nicht so, dass die bewusst plakative, aufdringliche und wenig subtile Verarbeitung, die das Markenzeichen der Deutschen ist, mit dem Fehlen von Inhalten gleichzusetzen ist. Doch hier kämpft man zu oft damit, den Songs irgendeine Botschaft, den Zeilen irgendeinen Sinn zuzuschreiben. Während dem eröffnenden Doppelpack der politische Charakter, Diamant oder Weit Weg deren emotionale Substanz und Puppe zumindest eine verstörende Kryptik nicht abzusprechen ist, ist zumindest die Hälfte des Albums eine Ansammlung des Nichtssagenden. Tattoo oder Ausländer - letzteres effektiv eine thematische Reproduktion von Pussy - sind nicht gehaltvoller als ihre Titel, versuchen sich in widersinniger, harter Lyrik, um damit genau nichts auszusagen oder auf atmosphärischer Ebene auszulösen. Und sollte irgendwer von einem Song mit dem Titel Sex mehr als die banalsten, fadesten Phrasen im Repertoire der Deutschen vermutet haben, wird noch einmal scharf nachdenken müssen. Am ehesten vor den Kopf gestoßen fühlt man sich allerdings vom finalen Hallomann, dessen lethargische musikalische Ausstattung von Zeilen unterstützt, die spätestens mit dem Refrain jeden Versuch Stimmung zu erzeugen, komplett aufgeben und sich ins Lächerliche verabschieden.

 

Die LP ist dahingehend ein zweischneidiges Schwert. Man bekommt Rammstein in einer Form präsentiert, wie es sie musikalisch seit ihren besten Tagen nicht gegeben hat. Der Sound mag eine Spur sanfter ausfallen, die Produktion ist allerdings nicht nur präzise wie eh und je, sondern in ihrer relativen Einfachheit und Einheitlichkeit weit effektiver als auf den beiden Vorgängern. Dazu kommt, dass die Band selbst die Balance zwischen geradliniger, zeitweise brachialer Härte, atmosphärischer Ruhe und klanglicher Akzente durch elektronischen Minimalismus, Streicher oder Choräle beeindruckend gut wahrt. Dem gegenüber steht ein Mangel an Substanz, der schwer zu ertragen ist. Es scheint der Punkt erreicht zu sein, an dem bewusst plumpe Verarbeitung gewisser Themen in Kombination mit dem notwendigen Schockfaktor in schlichte Banalität übergegangen ist. Denn ersteres funktioniert, auch hier kann es noch ganz großartig klingen, ohne einer - einfach vermittelten - Botschaft zu entbehren. Radio ist dafür das beste Beispiel. Doch das Gros der Songs ist nichtssagend, was dazu führt, dass teilweise großartige Arrangements und eine generell souveräne klangliche Präsentation viel zu oft nicht entsprechend ausgenutzt wird, weil Till Lindemann wirklich Unnötiges in die Welt hinaus singt. Das schmerzt, verhindert aber netterweise nicht, dass man das Comeback von Rammstein als eine positive Erscheinung wahrnimmt, einer musikalischen Rückbesinnung auf die besten Tage der Band sei Dank.

 

Anspiel-Tipps:

- Deutschland

- Radio

- Diamant


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