von Kristoffer Leitgeb, 27.09.2017
Unerbittlich, ungeschliffen und nur selten diamantene Qualität. NDH im Debüt-Modus.
Unergründlich und ebenso vielfältig sind die Wege und Methoden, mithilfe derer ein Debütalbum das Licht der Welt erblickt. In den meisten Fällen, gar nicht einmal allen, braucht es schon ein Studio, einen Produzenten und willige Musikanten, aber abseits dieser methodischen Grundpfeiler ist quasi alles erlaubt. Gut möglich, dass das der Grund dafür ist, dass sich Debüts einigermaßen organisch entstandener Bands - die Monkees oder Backstreet Boys gehören da zum Beispiel nicht wirklich dazu - allzu oft in zwei Kategorien einteilen lassen: Hier hätten wir die, die einer Band im Moment ihrer größten Freiheit und Unberechenbarkeit zu einer von Erwartungen losgelösten Punktlandung verhilft und einen Instant Classic möglich macht. Quasi alles der Marke "The Velvet Underground & Nico" oder "The Clash." Dort auf der anderen Seite stehen dann all jene, die zwar mit einer einigermaßen gefestigten musikalischen Idee ankommen, diese aber dem Amateurcharakter der Studioarbeit oder schlichter fehlender Finesse geschuldet, nicht umsetzen können. Willkommen bei Rammstein anno 1995.
Als jener, der noch immer den 10er für die Deutschen schuldig bleibt, ist jegliche Kritik an der Band als Ganzes natürlich wohlwollend und mit bestem Hintergedanken gemeint. So ein Schmarr'n! "Herzeleid" ist mühsam, zugegebenermaßen nach langer Hörpause heute weniger als in den Zeiten, als es immer wieder den Vergleich mit "Reise, Reise" oder "Mutter" durchstehen musste. Die erste LP Rammsteins zeigt ein Sextett, das sehr wohl mit aller bekannten und geschätzten harten Unbarmherzigkeit auftritt, dabei aber nie daran denkt, dieser die penibel ausstaffierte hymnische Dramatik mitzugeben, die es in seinen besten Momenten auszeichnen sollte. In diesem Sinne ist alles hier vom kratzigen Keyboard-Einstieg des Openers Wollt Ihr Das Bett In Flammen Sehen? angefangen eine bewusste und gelungene Provokation, umso weniger aber ein akustisches Fest. Stattdessen sind die ersten Lebenszeichen der Band jene, die sie in ihrer brachialsten Form zeigen. Dem Begriff Metal macht man damit eigentlich alle Ehre, rechtfertigt ihn zumindest sicherlich. Und die röhrenden Riffs ersetzen sehr wohl die punktgenauen späteren Arrangements, wenn sie passend inszeniert werden.
Das gelingt in der ersten Hälfte eindrucksvoll. Mitunter einschränkend monoton, richtiggehend ermüdend sogar im Falle des langatmigen Openers. Aber an anderer Stelle, beim grenzgenialen Riff von Asche Zu Asche oder aber dem epochalen Koloss Der Meister und dessen apokalyptischer Botschaft, geht die Rechnung voll auf. Viel der atmosphärischen Qualität kommt dabei von Till Lindemann, der zwar weit weg ist vom tiefen, vereinnahmenden Röhren späterer Tage, trotzdem aber die endzeitlich-düstere Qualität der Songs transportiert. Im Verbund mit Richard Kruspes geradlinigem, hartem Gitarrenstakkato und der schallenden simplen Drumkanonade sorgt das für Minuten, die einen bei gebotener Lautstärke wegblasen können. Genauso können sie aber auch anstacheln und dank ein paar der besten Zeilen der Band in dunkle Szenarien Einlass gewähren:
"Weil die Nacht im Sterben lag
Verkünden wir den jüngsten Tag
Es wird kein Erbarmen geben
Lauft, lauft um euer Leben
Die Wahrheit ist ein Chor aus Wind
Kein Engel kommt, um euch zu rächen
Diese Tage eure letzten sind
Wie Stäbchen wird es euch zerbrechen"
Wer da nicht mit kann, ist 'Flake' Lorenz. Mastermind hinter manch genialem Soundeinfall in späteren Tagen, ist seine rudimentäre, sperrige und zu oft mit Retro-Charme behaftete Elektronik-Bestückung der Songs kaum einmal wirklich lohnend. Asche Zu Asche profitiert durchaus vom in Techno-Regionen abdriftenden Klang der Strophen, das schrille Riff-Monstrum Weisses Fleisch wäre weniger wert ohne die simple, aufblinkende Synth-Unterstützung und das textlich kaum verdauliche Laichzeit wäre nichts ohne die geniale elektronische Maschinerie, die den Track in Richtung Industrial treibt. Aber es bleiben wenige Ausnahmen, die er wirklich aus dem knöchernen Stil des Albums herausheben kann. Und gerade die auf eindringliche Atmosphäre getrimmte zweite Hälfte geht unter, wann immer man sich dem Sound widmet. Ein unheilvoller Synth-Wabern als Intro für Heirate Mich ist nicht genug, um nicht nur diesen Song vor seiner himmelschreienden, wirkungslosen Monotonie zu retten, sondern gleich noch das folgende Herzeleid mitzutragen, das nie aus der schwergewichtigen, fast komplett der Gitarre verschriebenen Agonie herausfindet.
So wird es dann eine Hälfte, die Rammstein oft genug in ihrer frühen Blüte zeigt, und eine andere, die zwischen träger Effektfreiheit und grotesker Unverdaulichkeit oszilliert. Nun ist die Provokation ein, wenn nicht das Merkmal der Rammstein'schen 90er und doch werden hier Grenzen angeschnitten und gesprengt. Weniger bei Du Riechst So Gut, dessen bedenkliche Message ohnehin "Das Parfüm" entnommen ist, auch nicht bei der Stalker-Story Weisses Fleisch. Ob man sich dann aber wirklich das elendigliche sexuell-tierische Metaphernschauspiel in Laichzeit geben muss, sei dahingestellt. Man muss nicht, aber der Song überlebt, Musik und Lindemann sei Dank. Was nicht überlebt und hier kratzen wir am Boden eines jeden Fasses, ist der verständlicherweise versteckte Song Das Alte Leid. Ein trauriges, weil bedenklich schlechtes Unding, das sich textlich zwischendurch ins fünfte Untergeschoss begibt und trotzdem nie an ein Ende denkt.
Jetzt ist all das nicht genug, um "Herzeleid" wirklich miserabel werden zu lassen. Weil die zweite Hälfte zwar träge, mit dem finalen Rammstein sogar entgültig fast einschläfernd ist, damit aber nicht zunichte machen kann, was zu Beginn alles richtig läuft. Dort ist nämlich inmitten schneller Riffs und schonungslosem, gemeinschaftlichen Angriff gar keine Zeit, um fehlende Präzision oder Abwechslung zu monieren. Da wird einfach draufgehaut und im Sinne der provokant grenzwertigen Thematiken, denen man sich widmet, gibt es kaum eine bessere Lösung. Wie so nebenbei auch der Nachfolger nahelegt. Deswegen ein Ja zu hartem Metal, ein Ja sogar zur verrohten Form Rammsteins, aber nur mit gebotener Energie und dem Verzicht auf eine atmosphärische Anziehungskraft, die damals einfach noch nicht zu finden war. Dafür waren die Deutschen noch zu sehr im Debüt-Modus.