Radiohead - OK Computer

 

OK Computer

 

Radiohead

Veröffentlichungsdatum: 21.05.1997

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 19.04.2014


Wir holen das nächste himmlische Meisterwerk zurück auf den Boden der Tatsachen.

 

Das etwas Traurige ist ja, dass uns wohl keiner glauben wird, was wir hier von uns geben. Denn "OK Computer" ist mit den Jahren zu einem der Alben geworden, über die man herzieht, wenn man einer von den 'coolen' Typen mit einer eigenen Meinung sein will. Was mitunter damit zu tun hat, dass die meisten Kritiker vor allem 1997 mit ihrem Lob so weit im Hintern von Thom Yorke und seinen Mitstreitern verschwunden sind, dass man den Briten für den Messias des dritten Jahrtausends hätte halten können.

 

Wäre alles in Ordnung, wenn einem beim Genuss dieser LP denn wirklich das Wasser im Mund zusammenlaufen würde. Aber es klickt nicht so ganz. Vieles, was gesagt wurde, lässt sich ja eins zu eins unterschreiben: Ja, dieses Album war auf besondere Art anders und ja, es war in all seiner versteckten Komplexität wohl auch eines der engagiertesten Projekte, seit der Prog Rock seine besten Tage hinter sich hatte. Und sogar den eindrucksvollen gesellschaftspolitischen Kommentar, der Yorke zugestanden wurde, muss man nicht wirklich torpedieren. Nur hat es einem das Quartett die meiste Zeit ziemlich schwer gemacht, diese Vorzüge ins richtige Licht zu rücken. Egal, ob der Song jetzt Airbag, Subterranean Homesick Alien (SHA) oder No Surprises heißt, ich höre da ordentlichen Alt Rock, keine musikalische Revolution. Der Drum Loop im Opener ist interessant, genauso die Bass Line, und das Keyboard in SHA kann sich sehen lassen. Aber wer es nicht als Hauptaufgabe betrachtet jeden Bauteil dieses Albums auseinander zu dividieren, dem bleiben nette, aber keine exorbitant genialen, Minuten.

 

Die hat die Band schon auch drauf. Paranoid Android und Karma Police, ohnehin weltbekannt, sind mit den außergewöhnlichen Tempo- & Stimmungsbrüchen einerseits, der erfrischend konventionellen Piano-Vorstellung andererseits zwei verdiente Glanzlichter der Band. Ersterer als filigranes musikalisches, wenn auch etwas zu verdrehtes Meisterwerk, der Zweite dafür als ein emotionaler Höhepunkt mit Yorkes bei Weitem bester Performance.

Wo wir gerade beim großen Zampano sind: Yorke beweist sich hier als starker Zeichner einer ziemlich realen Dystopie, leider aber auch als einer der anstrengendsten Sänger seiner Ära. Denn mit all seinem Selbstvertrauen schafft er es kaum einmal nicht über die Stränge zu schlagen und macht so Exit Music und Lucky trotz der Lyrics einen ziemlich deutlichen Strich durch die Rechnung. Auch im Gesamten ist das schade, sind doch bedrückende Zeilen wie "We hope that you choke" oder "Kill me Sarah, kill me again with love / It's gonna be a glorious day" durchaus aussagekräftig genug ohne sein übertriebenes Geraunze und den penetranten Pathos.

 

Das und die Tatsache, dass die LP großteils ziemlich gleichförmig in ihrer langsamen Melancholie dahinfließt, stört dann doch markant und raubt manchem Song das Potenzial. Davon ausgenommen steht das erdrückend atmosphärische Climbing Up The Walls, der fast schon unpassende Rocker Electioneering und Interlude Fitter Happier. Zugegeben, Letzterer funktioniert mit der synthetischen Stimme und der makabren Zusammenstellung aller auffindbaren Marketingsprüche nur als Statement, hat als Musikstück absolut keinen Wert, aber trotzdem.

 

Für ein perfektes Meisterwerk zu wenig. Auf keinen Fall aber für ein starkes Album. Das haben uns die fünf Briten allemal abgeliefert. Trotzdem heißt es 'Vorsicht!', wenn es mal wieder darum geht, "OK Computer" als die Krone der musischen Schöpfung darzustellen. Denn wie Andy Gill im 'Independent' geschrieben hat: "It is easy to be impressed by, but ultimately hard to love."

 

K-Rating: 7.5 / 10

 


Englands Antwort auf den Hype aus Seattle ist ebenfalls schlecht gealtert.

 

Wieder ein Stückchen Musikgeschichte, das hier in den Neunzigern in riesigen Lettern geschrieben wird. Das hatten wir doch ein paar Jahre zuvor schon, nur befinden wir uns jetzt nicht mehr in Seattle, sondern in der Nähe von Oxford, im überschaubaren Abingdon. Trotzdem ändert sich bis auf den Schauplatz und die grundsätzliche Attitüde der Band nicht sonderlich viel. Noch so eine Band, die alles verändert hat, noch so ein exzentrischer Sänger, der unter seinen Fingernägeln mehr Talent verbirgt als seine Kollegen vereint und noch so ein Album, auf dass sich zumindest alle einigen können, die damals aktiv dabei waren.

 

Einige Liter an Blut und Schweiß wurden (wie es scheint, unbegründet) vergossen, seitdem beschlossen wurde, dass Radioheads bahnbrechende dritte LP OK Computer sich diesmal der Analyse unterziehen würde.

Dabei kann ich es mir dieses Mal so richtig gut gehen lassen, hat mein Kollege im Prinzip doch schon alles gesagt, was man über die Scheibe wissen sollte. Obwohl.. Hoppla! Im Mittelteil befindet sich dann doch ein grober Schnitzer, sind doch gerade das wundervoll depressive Exit Music, mit seinem großartigen Songaufbau und das clevere Lucky mit die besten Momente, die die knappe Stunde zu bieten hat. Dazu gesellen sich natürlich noch die von ihm genannten, mittlerweile als Klassiker geltenden Singles (Wobei Paranoid deutlich vor Karma) und das große Highlight, das zerbrechliche Let Down, mit hübschen Keyboards und feinem Text. Aber Climbing Up The Walls? Tolle Stimmung und lästiges Gekreische, aber sonst? Not much.

 

So raunzt sich Thom Yorke, mal mehr, mal weniger - aber grundsätzlich immer - mühsam, von Track zu Track, die Band zieht gut mit und die passende Produktion mit all seiner Elektronik gibt dem Album eine ganz spezielle Note. Trotzdem kommt man nie wirklich in die wünschenswerte Situation, die LP richtig genießen zu können. Daran ändert auch das allgemein überschätzte No Surprises nichts, das trotz seiner schönen Melodie zu keiner Zeit richtig aus seinen Startlöchern kommt. Electioneering ist nicht nur ein unpassender Rocker, sondern funktioniert im Gesamtkonzept noch deutlich weniger als das überflüssige Fitter Happier und bildet somit den schwächsten Track auf diesem Melancholie-Epos. Und Opener Airbag hat bis auf seinen starken Gitarrensound nicht viel anzubieten.

 

...Und wenn dann die finalen Takte vom spacig-sauberen The Tourist in eine finale Stille münden und man nicht genau weiß, ob man die große Revolution nun verpasst hat oder dem häufig proklamierten Intellekt der Band nicht gewachsen ist, bleibt schlussendlich ein solides Album einer versierten Band, das den Alterungsprozess wie viele andere seiner Leidensgenossen nicht unbeschadet überstanden hat. Denn obwohl man der LP seine genialen Momente genauso wenig absprechen kann wie den künstlerischen Anspruch der Briten, kommt sie über ein wohlwollendes 'OK' nicht hinaus. Um das Textchen ebenfalls mit einem Zitat abzuschließen, halte ich es mal mit Flavour Flave: "Don't believe the hype!".

 

M-Rating: 6.5 / 10

 

Anspiel-Tipps:

- Paranoid Android

- Let Down

- Karma Police


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