Die ersten Gehversuche der Briten stehen bereits im Zeichen ihrer simplen Erfolgsformel.
Unter all den tragischen Anti-Helden, die das 20. Jahrhundert der populären Musik beschert hat, gehört auch der Name Brian Molko seit jeher zum festen Bestand. Immer verzweifelt, provokant und sauber geschminkt zu sein, das reichte einst ja auch noch, um seine Duftmarke erfolgreich hinterlassen zu können. Wobei man nicht so hart ins Gericht gehen sollte, denn singen kann dieser Molko ja auch noch ganz passabel, wenn er es in den letzten Jahren auch immer wieder etwas damit übertreibt, jeden zweiten Ton künstlich in die Länge zu ziehen. Sonst muss man eigentlich nicht viel über ihn und seine Band wissen, zu den Bands, die man gerne persönlich kennenlernen würde, haben Placebo ohnehin nie gezählt. Auch wenn das britische Gespann um Molko und seinen Lebensmenschen Stefan Olsdal selbst in der Heimat längst nicht mehr die selbe Relevanz genießt, wie noch von sagen wir 1996 bis 2006, waren Placebo bis Meds 2006 verlässliche Lieferanten kleiner Hits, die ersten drei LPs darf man zudem ohne Gewissensbisse oder Häme zum Kanon neuer britischer Klassiker und zum Manifest nicht weniger Fans zählen.
Dabei überrascht es schon ein wenig, dass ausgerechnet das selbstbetitelte Debüt mit dem gruseligen, später Anklage erhebenden Jungen im roten Sweater auf dem Cover neben dem nahezu einstimmig zum Magnum Opus erklärten Without You I'm Nothing zum großen Highlight im Schaffen der Band und des britischen Alt-Rock der 90er erkoren wurde. Klar, Debüts - egal wie unausgegoren und stümperhaft eingespielt - werden nicht in wenigen Fällen irgendwann zu richtungsweisenden Platten (v)erklärt, sofern sie das nicht schon von Anfang an waren. Ich denke da gerne an Nirvanas Bleach, wobei das ja noch eine ganz andere Angelegenheit ist. Aber nicht falsch verstehen, Placebo hat auf jeden Fall seine Daseinsberechtigung. Wer sonst, wenn nicht Molko, hätte anno 1996 auch besser solche Zeilen vortragen können:
"Since I was born I started to decay
Now nothing ever ever goes my way"
Und so reichen die knappen zwei Minuten und ebenso vielen Strophen von Teenage Angst bereits, um ein Eis zu brechen, das nahezu ausschließlich auf Vorurteilen und falschen Annahmen basiert: die Gitarren rollen nervös voran, die distinktiv nasale Stimme des Frontmanns jammert auf sehr einnehmende Art und Weise und schon hat man in Kombination mit der souveränen Rhythmusabteilung eine kleine Jugendhymne in der unvergänglichen Ära der Teenage Angst geschaffen. Dazu passt auch, dass sich der ungestüme Opener Come Home direkt davor ähnlich kraftvoll und ungeschliffen gibt, wiederum mit netten, röhrenden Riffs aufwartet und dabei die trostlose Note ("Every sky is blue / But not for me and you") aufgreift.
Soweit, so gut, ist der Auftakt mit zwei memorablen, eindringlichen Nummern geschafft. Nur blöd, dass die LP dann noch nicht einmal ein Viertel seiner Spielzeit erreicht hat. Auf den folgenden Nummern bleibt die Intensität und die emotionale Bandbreite zwar überwiegend hoch, doch werden zwei Dinge rasch ersichtlich. Einerseits ist Molko dann doch kein großer Songwriter und auf den übrigen achteinhalb Tracks deswegen immer wieder für einen kleinen, musikalisch geschmeidig untermalten "robot fuck"-Bock (Bionic) gut oder versinkt im tiefen Selbstmitleid (36 Degrees). Erfreulich ist, dass sich der schludrig aufgewühlte Sound der Gitarren erst relativ spät erschöpft und aus dem simplen Zusammenspiel mit präsenten Drums und dem drückenden Bass zuvor noch einige hübsche Nummern hervorgehen. Wie etwa die beiden Fanlieblinge Nancy Boy, das den Grundstein für die Sex, Drugs 'n' Bisexuality-inspirierten Stücke legen sollte, und das wuchtig polternde Bruise Pristine, die das wehmütig altkluge I Know ("I know, the past will catch you up as you run faster / I know, the last in line is always called a bastard") fein säuberlich ummanteln. Am Ende ist die Spannung aber raus, können Lady Of The Flowers trotz hübscher Referenz und einladender Laut/Leise-Dynamik und der ach so atmosphärische Closer Swallow samt Hidden Track nichts daran ändern, dass man sich an Molkos noch nicht ganz ausgereiftem Organ und den bekannten Formeln seiner Kameraden ganz einfach schon etwas abgehört hat.
Obwohl Reviews wie dieser viel zu oft dazu neigen, sich eher dem polarisierenden Gockel, denn dem ganzen Hühnerstall anzunehmen, sei hier versichert, dass dies nichts an der elaborierten Einschätzung ändert. Placebo war und ist mit Abstrichen nach wie vor eine gute Band, Brian Molko ein quäkender, aber interessanter und charismatischer Sänger und das Debüt ein ordentlicher Einstieg ins Musikbusiness. Der Formel, die das damalige Trio hier für sich gefunden hat, blieben die Briten bis heute über weite Strecken treu, die Gitarren rotierten anno 1996 aber noch etwas ungeschliffener. Das trägt zur Freude bei, ebenso der Umstand, dass die drei auch eine knappe Handvoll mindestens brauchbarer Kompositionen ausgetüftelt haben. Da dem gegenüber auch ein paar weniger spannende Nummern stehen und der Gesamtsound an einem Punkt nicht mehr so viel hergibt, ist Placebo meinethalben zwar ein kleiner Szenen-Klassiker, aber längst nicht das inkommensurable Meisterwerk, das manche in ihm gerne erkennen würde. Mehr gibt es auch dazu nicht zu sagen.