von Kristoffer Leitgeb, 03.09.2020
Die finale Form des rauen Alt-Rock-Surrealismus und damit aller bekannter
Pixies-Tugenden.
So ein bisschen frischer Wind kann Wunder bewirken! Definitiv gilt das für Leichenfundorte, an denen mehrere Tage nicht mehr gelüftet wurde. Es hat aber durchaus auch in anderen Lebensbereichen seine Gültigkeit. Vor allem im Falle personeller Veränderungen wird dieses Motto oft genug ausgerufen, sei es ihm stinknormalen Arbeitsalltag, wenn der fünfte Chef in drei Jahren vorgestellt wird, in der unglaublich faszinierenden Welt des Mannschaftssports, wo ein neuer Trainer plötzlich alles zum Guten wenden soll, oder auch gerne im persönlichen Bereich, wo wahlweise eine Scheidung, ein Jobwechsel oder ein neuer Haarschnitt den Blick auf das Leben wieder erhellen können. Auch in der Musik kommt es hin und wieder vor, dass insbesondere personelle Erneuerungen reiche Früchte tragen. Allerdings stellt sich die Frage, wie das genau gehen soll, wenn der Status Quo bereits ein herausragender ist und von allen Seiten bejubelt wird. Kann da frisches Blut noch groß weiterhelfen? Das lässt sich mit Ja beantworten, wenn es nach den Pixies geht, die nach ihrem legendären Debütalbum einen neuen Produzenten gefunden und mit diesem ein noch legendäreres zweites Album geformt haben.
Dieser Umstand ist deswegen wichtig, weil die LP-Premiere der Band, "Surfer Rosa", von niemand geringerem als Steve Albini und damit einem der Urväter des die 90er dominierenden Rocksounds produziert wurde, der mit seiner Arbeit für die Pixies so viele beeindruckt hat, dass darunter auch Kurt Cobain war, der ihn dann kurzerhand zum Produzenten für "In Utero" gemacht hat. Während Albini bei den Arbeiten am klanglich überzeugendsten Nirvana-Album auch seine schwierigen Seiten gezeigt hat, wurde "Surfer Rosa" schlicht zum definierenden Werk einer Band und alsbald eines oder sogar mehrerer Genres. Und doch war der abweisend verrohte Charakter des Albums nicht ohne Tücken und womöglich nicht ideal dafür geeignet, die Vielseitigkeit der Band bestmöglich zur Schau zu stellen. Insofern tut es hier ganz gut, dass Gil Norton das Ruder übernommen hat und ein bisschen mehr tut, um sich als Produzent bemerkbar zu machen. "Doolittle" ist etwas glatter, freundlicher gegenüber den Ohren, damit aber klanglich auch nuancierter und erlaubt mehr klangliche Feinheiten, um die Vorzüge des Quartetts bestmöglich herauszuarbeiten. Das eröffnende Debaser ist dafür als ziemlich straighter, vor allem mit einer genialen Performance der Rhythm Section um David Lovering und Kim Deal gesegneter Alt Rock vielleicht nicht das ideale Beispiel. Dass selbst in diesem rauen Riffgewitter die prominenter platzierte, aufopfernd leidenschaftliche Stimme von Black Francis und Deals sympathischer Backgroundgesang als positive Akzente herausstechen, mag aber schon als Vorgeschmack für das dienen, was noch kommt.
Und es sollte im Verlauf der nächsten vierzehn Songs verdammt viel sein. Tame präsentiert sich umgehend als die ultimative Ausformung der Laut/Leise-Formel, die die Pixies so außergewöhnlich gut zu nutzen wussten, paart geschmeidig-ruhige, fast komplett dem pulsierenden Bass überlassene Strophen mit einem aggressiven, von Francis' gepresstem Geschrei geprägten Ein-Wort-Refrain, dessen metallisch-rauer Riff sich unweigerlich ins Gedächtnis gräbt. Nur ein paar Minuten später wird mit dem Surf-Rock-inspirierten Here Comes Your Man, dem Gitarrist Joey Santiago mit seinem Doubletracking der Rickenbacker und Telecaster spätestens im Solo seinen lockeren Stempel aufdrückt, während Francis' gesanglich im Zusammenspiel mit Deal so melodisch unterwegs ist wie nie zuvor. Die andere Seite der Medaille wird alsbald erweitert durch das hyperaktive, punkige Crackity Jones, dessen wuchtiges, monotones Getrommel schöne Erinnerungen an Nimrod's Son von der Mini-LP "Come On Pilgrim" weckt. Gleichzeitig bekommt man hier aber feiner herausgearbeitete Riffs und einen zum Ende hin komplett entgleisenden Francis, dessen in stimmlichen Höhen landendes Gebell genauso verstörend wie vereinnahmend ist. Wartet man etwas, wird man mit dem melancholisch anklingenden Hey und dessen bluesiger Gitarrenarbeit auch gleich wieder in die ganz andere Richtung geleitet und landet bei den atmosphärischsten Pixies-Minuten seit Where Is My Mind. Was allerdings nicht lange hält, weil darauf mit Silver ein kurzes Stück countryfizierter Dramatik wartet, die einen umgehend an eine dreckige Version von Ennio Morricone denken lässt. Zwischen den kraftvoll und voluminös dahintrabenden Beat drängt sich da Francis' an der akustischen Gitarre und weit prägnanter Deal an der Slide Guitar, während Santiago vereinzelt mit spröden Riffs etwas rauen Lärm einstreut. Daraus ergibt sich ein hyperatmosphärisches Ganzes, das durch das stimmliche Zusammenspiel in winselnder Höhe von Deal und Francis zum womöglich besten Song der Band komplettiert wird.
Naturgemäß kann nicht alles ganz so herausragend enden. Das etwas leichtgewichtige, aber mit knackigem Riff gesegnete La La Love You ist als von David Lovering gesungene Parodie eines Lovesongs gern gehört, allerdings nicht unbedingt ein Ohrenschmaus im klassischen Sinne. Wave Of Mutiliation scheint dagegen das einzige Stück zu sein, dem Nortons glattere, aktivere Produktion geschadet hat, sodass ordentlicher Alt Rock, aber nicht mehr herausschaut, weil den Riffwänden und der Rhythm Section der nötige Nachdruck fehlen, um sonderlich Eindruck zu hinterlassen. Und dann wäre da noch I Bleed, das abgesehen vom einmal mehr starken stimmlichen Zusammenspiel nicht so viel mehr zu sein scheint als ein schleppender, wunderbar verzerrter Riff, dessen Lethargie auch die ruhigen Strophen befällt.
Diametral entgegengesetzt dazu findet man einen Closer wie Gouge Away, der mit dem pochenden Bass, den Gated-Reverb-Drums und seinem langgezogenen Gitarrenecho, das jeden kratzigen Akkord lange nachhallen lässt, alles richtig macht und es schafft, gleichermaßen dynamisch, locker und beklemmend zu klingen. Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich auch das großartige Monkey Gone To Heaven, das mit im Hintergrund bleibenden, aber deswegen nicht weniger prägnanten Einsätzen von Klavier, Cello und Violin-Pizzicato für die Band ganz neue Klänge mitbringt. Das ändert nichts daran, dass im Mittelpunkt Francis' erratische Gesangsperformance, Kim Deal als kongenialer Gesangspartnerin und vor allem die rau dröhnenden Gitarrenriffs stehen, der subtile dramatische Touch, den die klassischen Instrumente vor allem den ruhigeren und Instrumentalpassagen des Songs mitgeben, ist aber trotzdem gern gesehen.
Wie eigentlich auch alles andere, was einem "Doolittle" so anzubieten hat. Die zweite LP der US-Amerikaner ist ein würdiger, kaum mit Makeln durchsetzter Höhepunkt ihrer Karriere, der alle ihre besten Eigenschaften zu einem beeindruckenden Ganzen vereint. Da macht es einem auch gar nichts, dass man einmal mehr bei Black Francis' Texten Rätselraten spielen muss oder sie gleich gar nicht zu verstehen imstande ist. Denn der großartige Sound und die in alle Ewigkeit singuläre Performance des Frontmanns, wann immer er das Mikro in Beschlag nimmt, entschädigen vollwertig dafür, dass man hier und da nur ein paar Wortfetzen mitbekommt und sich zwischen offenem Surrealismus und Symbolismus nur wenige konkrete Aussagen ausgehen. Musikalisch ist das Album stark genug, um einen trotzdem mit unschlagbar atmosphärischen und emotionalen Momenten zu versorgen, die sich schnell einmal langfristig einbrennen. Das ist nicht zuletzt auch der Tatsache zu verdanken, dass die Band nicht davor zurückscheut, sich ein bisschen ihrer poppigen Seite und stärkerem Einfluss durch den neuen Produzenten zuzuwenden. Damit wurde hier zur Vollendung gebracht, was schon davor von eindrucksvoller Stärke war.