von Kristoffer Leitgeb, 09.10.2019
Der Startschuss in eine neue Rock-Ära oder auch nur der triumphale Anfang einer
legendären Band.
Liebe Leute, die Zeit vergeht. Und weil dem so ist, verschieben sich die Anwendungsbereiche so mancher Begriffe. Neu ist das, was letztes Jahr an Musik herausgekommen ist, schon Ewigkeiten nicht mehr, rechnet man in Instagram'schen Maßstäben. Es wirkt dagegen schon fast antik. Außerhalb der sozialmedialen Wirrungen geht es etwas anders zu und trotzdem schreitet die zeitliche Auslese voran und immer mehr wandert in die Kategorie der Klassiker, irgendwann in die der Oldies. Und dann ist es schon mal opportun, erstaunt festzuhalten: Holy shit, 32 Jahre ist das schon her?! Zumindest auf "Come On Pilgrim" trifft das zu, was dieses Urstück des Alt Rock weit älter macht, als es klingt. Denn den Pixies ist eine beneidenswerte Zeitlosigkeit zu Eigen, die allein schon daher rührt, dass man die Spuren ihres Schaffens so ziemlich überall in den folgenden Jahrzehnten zu spüren bekommen hat und immer noch bekommt. Das ist nicht einzigartig, aber eine verdammt seltene Leistung. Dieser Ausnahmestellung wird die Band schon ganz zu Beginn gerecht, selbst im sonst so unvorteilhaften Demo-Format.
Denn viel mehr stellt ja diese Zwischenexistenz, die nicht mehr ganz EP, aber auch nicht wirklich LP ist, eigentlich nicht dar. 17 Demos standen zur Verfügung, acht wurden vom mäßig begeisterten Labelchef auserkoren, um ein bisschen neu abgemischt und sodann veröffentlicht zu werden. Das Ergebnis ist natürlich in Maßen spartanisch, aber auch und gerade deswegen eine wunderbare Einleitung in das Pixies-Universum, in dem spröde, kratzige Riffs, kantige Tempo- und Lautstärkenwechsel und Black Francis' markantes, irgendwie sanftes, irgendwie doch abweisendes, irgendwie schiefes, irgendwie krächzendes und manchmal auch kreischendes Stimmchen ohne Unterlass aufeinandertreffen. Das Debüt bringt all das mit und ist somit bereits eine Großtat für sich, der eine beeindruckende Dynamik, eine wunderbare, humorvolle Verschrobenheit und Kryptik innewohnt. Vom ersten Ton an ist es eine schwer einzuordnende, aber dann doch irgendwie zwischen Surf Rock, Proto- und Post-Punk zu verortende Mischung, der man schon mit Caribou schwer widerstehen kann. Und das obwohl der Opener bei weitem nicht das Prunkstück der Mini-LP ist. Aber es ist eine treffende Einleitung, begonnen mit sprödem, verhallendem Riff, präsentiert sich dann mit den klassischen Pixies-Mitteln etwas verhaltener als andere Tracks. Was nichts daran ändert, dass Francis' unverwechselbare Mischung aus geschmeidigen Strophen inklusive des langgezogenen "Caribouuuuu" und dem roh ins Mikro geschrienen "Repent" die trotz starker Gitarrenarbeit gemächliche Szenerie verdammt kurzweilig macht.
Etwas mehr Drive auf musikalischer Ebene tut allerdings gut. Das großartige Vamos mit seinem harten, galoppierenden Beat und genialer Kombination aus lockerem Akustik-Strumming und kratzig verzerrten, lange nachhallenden und im Hintergrund dahinschwebenden Gitarreneinsätzen gibt da zum Beispiel einiges mehr her. Genauso wie das punkig schnelle Nimrod's Son, von den Drums und großartigem Bass unbarmherzig angetrieben, bis man sich zwischendurch kurz zu schleppendem Stampferrhythmus hinreißen lässt, nur um schnellstmöglich wieder den Paarlauf aus akustischer und E-Gitarre losstarten zu lassen. Was man hier und auch beinahe überall sonst bekommt ist ein Höchstmaß an klanglicher Dynamik, die allen Bandmitgliedern gleichermaßen zu verdanken ist. David Loverings stetem, starkem Antrieb an den Drums, Kim Deals oft etwas begrabenem, dafür im Anlassfall umso coolerem Bass, natürlich der geteilten Verantwortung an den Sechssaitern zwischen Black Francis und Joey Santiago, der immer für ein gediegenes, knackig kurzes Solo zu haben ist. Und man kann es nicht oft genug sagen, dass Francis' Stimme als einzigartiges fünftes Instrument fungiert, das zwar unverfeinert, aber wandlungsfähig die schrägsten Zeilen in leidenschaftlicher, oft genug geschriener, manchmal auch einfach nur schnell hingerotzter oder wiederum sanft-geschmeidiger Form kredenzt. Dass dabei hin und wieder auch Deal mit ihrem hohen, aber gekonnt rauchig-kratzigen Gesang mithilft, ist dann noch das Tüpfelchen auf dem i.
Am besten vermengt sich all das womöglich im großartigen The Holiday Song zu einem Ganzen, ausgerechnet jenem Track, der sich in blumigen Umschreibungen dem Masturbieren widmen soll. Wobei das insofern nichts besonderes ist, da Francis mit Wonne durchaus kryptische, viel- und genauso nichtssagende Texte zusammenschreibt und dabei neben dem einen oder anderen biblisch-religiösen Ausflug auch zwischendurch dem Inzest oder auch nur ein bisschen Puerto Rico widmet. Es stört dabei merklich wenig, dass er zwischendurch Spanisch singt, weil das erstens ziemlich cool klingt und zweitens nur bedingt schwerer zu deuten ist als die vagen Andeutungen in Richtung Wiedergeburt im eröffnenden Caribou. Vielleicht muss man aber auch einfach nicht alles so genau wissen, wenn man I've Been Tired und dem gleichermaßen brüllend komischen und verwirrenden, fast verstörenden Dialog darin lauscht:
"'Why don't you tell me one of your biggest fears?'
I said, 'Losing my penis to a whore with disease'
'Just kidding', I said
'Losing my life to a whore with disease'"
Was das soll? Keine Ahnung, aber es schreit auch nicht nach einer Sinnsuche, sondern nach lautem Gelächter. "Come On Pilgrim" wiederum verlangt nicht wirklich nach dergleichen. Stattdessen darf man ein bisschen beeindruckt sein, ein bisschen genießen, ein bisschen diesen großen musikalischen Wurf feiern. Es sollte nicht der größte der Pixies bleiben, aber in Anbetracht der Entstehungsgeschichte hat man es hier schon mit einer gewaltig überzeugenden Songansammlung zu tun. Deren hier vielleicht noch nicht perfektionierten, letztlich aber trotzdem grandios klingenden Charakteristika sollten in der Folge nicht nur das Um und Auf für die legendären Alben der Pixies sein, sondern eigentlich gleich ganze Genres begründen oder zumindest aufs Nachhaltigste prägen. Nicht umsonst sollte einmal ein nicht ganz Unbekannter eingestehen, dass er mit Smells Like Teen Spirit eigentlich nur die Pixies kopieren wollte. Doch so wirklich gelungen ist es niemandem, diese faszinierende Genialität, mit der man hier schon versorgt wird, in der gleichen Form einzufangen wie dieses Quartett.