von Mathias Haden, 27.12.2012
Das legendäre Album der Briten strahlt als wundervolle Hommage an einen alten Freund.
Viel braucht man eigentlich nicht zu erzählen über Pink Floyd. Zu bekannt sind die Legenden der britischen Kultrocker aus London. Nach einer kurzen drogenberauschten Anfangsphase, in der die Band
in psychedelische Sphären eingetaucht ist, beherrschte sie in den 70ern die Musikwelt mit ihrer Omnipräsenz in den Charts. Ihre Entwicklung zur wichtigsten Musikgruppe gipfelte ab 1973 in einigen
Konzeptalben, die heute als wichtige Meilensteine des progressiven Rocks, der Band selbst, sowie der Musikgeschichte allgemein gelten. In ihr neuntes Studioalbum Wish You Were Here steckten Roger Waters, David Gilmour, Richard Wright und Nick Mason alles, was die Band ausmachte. Pompöse Musikuntermalung auf den
lediglich fünf Tracks, die mit einer Gesamtlänge von etwa 45 Minuten ihre vermutlich beste Darstellung dem Genre gegenüber liefern. Das Konzeptalbum ist, als gesamtes gesehen, eine Hommage an den
ehemaligen Leadsänger der Band, Syd Barrett. Dieser wurde wegen seines immer schlimmer werdenden Drogenkonsums, der ihn psychisch komplett außer Gefecht setzte, 1968 mit schlechtem Gewissen der
Bandkollegen aus der Band geworfen. Barretts vermehrter Realitätsverlust ließ allerdings keine weitere Zusammenarbeit zu und sein Freund, David Gilmour, der schon seit Ende 1967 dabei war (für
kurze Zeit ein Quintett) übernahm die Rolle als Leadsänger.
Wie es das Schicksal so wollte, erschien eben dieser Barrett während der Aufnahmen von Wish You Were Here, das ohnehin schon ihm gewidmet war. Sein
äußerlicher Zustand war allerdings so heruntergekommen, dass ihn seine ehemaligen Kollegen zuerst gar nicht erkannten. Aber so schnell wie er da war, war er auch schon wieder verschwunden.
Soviel zu den Hintergründen, die bei diesem Album auf keinen Fall vorenthalten werden dürfen. Mit der wunderschönen Suite Shine On You Crazy Diamond
startet das Ganze. Die insgesamt 9 teilige Komposition wird auf 2 separate Tracks, den Opener (Parts I-V) und den Closer (Parts VI-IX), aufgeteilt. Mit jeweils über 12 Minuten kommt der
Tributsong für Barrett auf eine beachtliche Länge, die durch instrumentale Passagen ausgefüllt wird. Dennoch lösen die liebevollen Worte von David Gilmour für seinen alten Freund aufrichtiges
Mitgefühl für den im Leben gescheiterten Briten, der doch eines der vielversprechendsten Singer/Songwriter-Talente hätte sein können (Nach seinen einzigen zwei Studioalben, die beide 1970 unter
der Mithilfe der Ex-Bandkollegen entstanden, zog er sich Mitte der Siebziger komplett aus der Musikbranche zurück), aus. Der Text, der aus der Feder Roger Waters' stammt, ist bis heute einer der
schönsten und berührendsten aus dem Floydschen Kanon - auch der Einsatz des Saxophons wirkt gelungen und nicht deplatziert. Einziger Minuspunkt ist die dann doch etwas zu lange Dauer, die
allerdings aufgeteilt nicht sonderlich unangenehm wirkt. „Come on you miner for truth and delusion, and shine!”
Mit Welcome To The Machine präsentiert sich die Band von einer Seite, die sich in den nächsten Jahren häufiger zeigen sollte. Die
gesellschaftskritischen Äußerungen würden vor allem am Nachfolgewerk Animals eine prägnante Rolle spielen. Der geniale Song, der insbesondere durch
seinen heftigen Einsatz von Synthesizern etwas futuristisch und seiner Zeit weit voraus klingt, erzählt von der Desillusionierung der Band über die Musikindustrie, deren Augenmerk nur auf den
Umsätzen liegt und nicht auf der Entwicklung ihrer Schützlinge. Die schlicht aufreibende Dramaturgie, die von den Synthies ausgeht, funktioniert auf dem Track unbeschreiblich gut, auch wenn
dieser eventuell mehrere Anläufe braucht, um ausnahmslos zu überzeugen.
In der gleichen soziokritischen Tonart geht es mit Have A Cigar weiter. Wieder bemängelt Waters den Respekt, den die Musikbranche aufstrebenden
Künstlern entgegenbringt. Und mit der Textpassage „The band is just fantastic, that is really what I think.
Oh by the way, which one's Pink?”
beweist er wieder seinen Sinn für ironischen Humor, der zudem Anlass zum Nachdenken gibt. Erwähnenswert ist hierbei noch, dass der Song, als einer von nur zwei im Repertoire der Band, von einem
Gastmusiker gesungen wird. Folksänger Roy Harper, der zufällig im Nebenstudio der Abbey Road Studios mit Aufnahmen beschäftigt war, gibt sich hier die Ehre. Bekannt ist dieser neben seinen
eigenen, in Folkkreisen geschätzten Werken, durch seine Freundschaft zu der Band Led Zeppelin (Der Song Hats Off to (Roy) Harper auf dem folkigen, 1970 veröffentlichten Led Zeppelin III ist eine Hommage an ihn).
Eines der bekanntesten Stücke von Pink Floyd ist Titeltrack Wish You Were Here, der im Albumkontext eine Wende zurück zum Tribut an Syd Barrett markiert. Mit seinem einzigartig schönen Text sticht er sogar Shine On You Crazy Diamond aus und sichert sich zu Recht den Platz in einigen Best-Song-Kritikerlisten. Die ruhige Stimmung und der vergebliche Ruf David Gilmours‘ akustischer Stimme nach Kumpel Syd geben sich keine Blöße und klingen auch über vierzig Jahre später noch berührend. Auch der Text knüpft nahtlos an die Qualität der anderen vom Album an.
In der Kürze liegt bekanntlich die Würze. Obwohl die 5 Tracks (eigentlich 4) gar nicht wirklich kurz sind, repräsentieren sie in feinster Weise eine Band, die nach dem Megaerfolg The Dark Side of the Moon weiter konstant gute Musik schafft.
Die gut durchdachten Texte in Kombination mit starken Arrangements, die wie so oft hochfrequentierten Gebrauch von Studioeffekten und Synthesizern aufweisen, spiegeln erneut Pink Floyds scharfsinniges Gefühl für gelungene Gesamtkonzepte wider. Der überaus positiven Kritik nach zu urteilen ein klarer Fall für eine volle Punktzahl. Nicht ganz. Irgendetwas fehlt dann leider doch zur Perfektion. Denn obwohl sich Wish You Were Here großartig präsentierte und sich bis heute etwa 15 Millionen Mal verkaufte, ging es bei der Zusammenstellung in erster Linie um den Tribut, den die Band ihrem alten Freund zollen wollte und das ist einfach mit größtem Respekt und Anerkennung zu bewerten. Dieser Umstand macht es zwar letztlich nicht zum besten Floyd Album, allerdings zum sympathischsten. Was gibt es schließlich in der Musikwelt besseres, als ein Werk, das sich aus Kritik an der Gesellschaft sowie bedrückender Sehnsucht nach einem verlorenen Kumpel zusammensetzt? Ich schätze, nicht viel.
Anspiel-Tipps: