von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 09.11.2019
Always play on the bright side of life. Melodisch starker Power Pop ohne das gewisse Etwas.
Von Frankreich aus ein international und sogar im englischsprachigen Raum vielbeachtetes Album zu fabrizieren, das noch dazu kommerziell erfolgreich ist, ist im neuen Jahrtausend relativ schwierig geworden, trägt man nicht den Namen Daft Punk. Schafft man es trotzdem und das noch dazu mit einem der gefeiertsten Releases des Jahres, erzeugt das Erwartungen höherer Art. Da überrascht es dann kaum, dass "Wolfgang Amadeus Phoenix" nur bedingt die Lorbeeren verdient.
Die LP und die dahinter stehenden französischen Synth-Indie-Popper verdienen sich durchaus reichlich Lob, wenn es um die Hooks, die Riffs, die Melodien geht. Oft genug erweisen sich die Tracks dahingehend als relativ schwer zu widerstehen, schon Lisztomania ist dahingehend eine gehörige Ansage. Wäre da nicht eine wirre zweite Songhälfte, die irgendwann in unsinnigem, schiefem Keyboard-Geklimper mündet, man hätte da einen mächtigen Auftakt vor sich, dessen lockere, jangelnde Gitarrenarbeit perfekt im Einklang ist mit der minimalistischen Klavierunterstützung und der starken Bassline. Es geht in ähnlicher Manier weiter, auch wenn 1901 klanglich eher merkwürdig anmutet und so ziemlich in Disco-Gefilde abdriftet, dadurch die coole Melodie und den starken Drum-Part zu sehr versteckt. Besser gefällt da schon das naturbelassene Lasso, das eine geschmeidigere, weniger drängende Fortsetzung des Openers markiert. In diesen Minuten ist man zwar nicht unbedingt geneigt, in der Musik zu versinken, aber da präsentiert sich einem ein idealer Sommersoundtrack, hell und locker, leichtfüßig und dynamisch.
Auf der anderen Seite kämpft man doch auch, mit der Monotonie, der Überproduktion, der inhaltlichen Leere. Denn geschmeidig hin oder her, kaum ein Track hier erweckt den Eindruck, als sollte er länger als drei Minuten sein. Manche sind es und leiden darunter. Wobei das weniger schwer wiegt als die Nähe zum Synth-Pop, zu einem glatten, fast sterilen Sound, der einen nicht viel mehr erleben lässt als die Sympathie für die Melodien. Thomas Mars' Texte finden kaum statt - sieht man von One-Linern wie dem wunderbar nostalgischen "Do you remember when twenty-one years was old?" ab - und scheinen auch nicht sonderlich im Fokus des Albums zu stehen, auch wenn das immerhin bedeutet, dass sich sein melodischer Gesang perfekt in die ihn umgebenden Klänge einfügt und mitunter auf durchaus gelungene Art darin versinkt. Das sorgt mitunter für den bizarren Eindruck, die Songs wären Instrumentals, obwohl darin gesungen wird. Die Harmonie, die dabei zum Vorschein kommt, ist allerdings beeindruckend, was gleichzeitig nichts daran ändert, dass man, wenn erst einmal in der zweiten Albumhälfte Rome oder Girlfriend anklingen, trotz der kurzen Gesamtlaufzeit etwas übersättigt ist vom allzu unbeschwerten Sound.
Einen wirklichen Ausreißer gibt es auch nicht, sieht man von dem tatsächlichen Instrumental Love Like A Sunset ab, dessen erster Part ein großer Gewinn für das Album ist. Da wird dann für einmal über die erprobte Songformel hinaus gedacht und lange mit elektronischem Paarlauf von tiefem Dröhnen und sprunghaft hellem Klimpern vorlieb genommen, bis sich die Akustikgitarre einmischt und ein zunehmend vollerer Sound plötzlich von abgehackten Retro-Synths unterbrochen und schließlich mit starkem Beat und trockenen Zupfern in den 80ern angedockt wird.
All das reicht für ein ordentliches, aber kein wirklich großartiges Pop-Album, das sich angenehm hören lässt, letztlich aber mehr an einem vorbeizieht, als man es sich wünschen würde. Das hat nicht wirklich damit zu tun, dass es der LP an klanglichen bzw. instrumentellen Finessen fehlt, wie diese allerdings in Szene gesetzt werden, verursacht ein zu leichtgewichtiges, seichtes Ganzes für einen Volltreffer. Und weil ich weiß, dass noch weit wohlwollendere Worte folgen werden, belasse ich es mal dabei.
K-Rating: 6.5 / 10
Rundum runder Pop-Genuss als soundästhetischer Durchbruch der einstigen A1-Dauerbrenner.
Wer auf der Suche nach wohlwollenden Worten ist, der wird bei mir in der Regel fündig. In sechs Jahren MusicManiac-Zugehörigkeit wurden von meiner Seite aus immerhin schon verhasste Kapellen (Panic! at the Disco) verteidigt, krude Kerle (Mike Nesmith) gefeiert und farblose Disney-Sternchen (Selena Gomez) in Schutz genommen. Im konkreten Fall gestaltet sich diese Wortzusammenklauberei allerdings ohnehin leichter als sonst, hat man doch als zu beschreibendes Stück eines der besten Synthpop-Alben des - jetzt kann man es noch sagen - letzten Jahrzehnts vor der Brust.
Tatsächlich müsste man ja fast zur Kunstform erheben, was der werte Kollege wie kein Zweiter beherrscht: Dinge höchst akkurat beschreiben, dabei aber das falsche Fazit ziehen. Diese ganze unbeschwerte Leichtigkeit, die das vierte Album der Band aus Versailles vom ersten bis zum letzten Ton zelebriert, ist nämlich einer der großen Pluspunkte und nicht vice versa. So elegant wie sich die unermüdlichen Keys und Mars Gesang Hand in Hand durch den Raum bewegen, so herrlich entschleunigend ist die Wirkung dieser zehn Pop-Perlchen, die für sich genommen aber alles andere als träge oder unmelodisch einrollen. Viel eher mündet hier alles schön ineinander und wird von einem sommerlichem Vibe abgerundet, der die Tracks gerade in ihrer Gesamtheit so einnehmend macht. Das ist auch der Grund, warum die Wirkung des einen oder anderen Stücks (Lisztomania, 1901 oder Lasso - vielleicht sogar alle drei, ich erinnere mich nicht) losgelöst von diesem geschlossenen Kosmos in früheren A1-Werbungen verblasst.
So kommt es, dass sich auf Wolfgang Amadeus Phoenix wirklich keine großen Ausreißer finden, Tracks wie die eben genannten, Countdown oder Girlfriend dafür mit einer Konstanz paradieren, die gerade im Dunstkreis des Synthpop ihresgleichen sucht. Eine charmante Melodie jagt die nächste und damit im frivolen, schwere- und sorglosen Soundgebilde keine zu gemütliche Stimmung den Spaßkiller geben kann, bohren sich zwischendurch ja auch aufrüttelnde Momente in das Geschehen wie die dröhnenden Synthesizer in 1901, die triumphierenden Überbleibsel jener guten Gitarrenarbeit, die Vorgänger It's Never Been Like That über Wasser gehalten hat, oder der lässige Beat, den der spacig vertrackte Instrumental-Zweiteiler Love Like A Sunset auf halbem Wege heraufbeschwört. Dazu kommt eben, dass Frontmann Mars sich mit seinem Gesang fast immer songdienlich in Szene setzt. Keine Selbstverständlichkeit, wirft man einen Blick zurück auf die vorangegangenen LPs - da hat einer die richtige Soundästhetik für sich selbst endlich gefunden.
Finden muss man selbst - wenn nun unbedingt etwas gefunden werden muss - hingegen nur das Haar in der gut abgeschmeckten Suppe. Und wenn eine Sache derart rund abläuft wie Wolfgang Amadeus Phoenix, dann ist ein bisserl Skepsis sicher nicht unangebracht. Bemängeln darf man wie der Kollege durchaus, dass der seichte Flair, den das Album an so mancher Ecke versprüht, etwas hinderlich ist, die LP und seinen Nachhall bzw. seine nachhallende Nachhaltigkeit mit den ganz großen Alben der vergangenen rund fünfundsechzig Jahre aufs selbe Treppchen zu stellen. Das ist aber generell ein wohldokumentiertes Genreproblem und freilich kein genuiner Kritikpunkt.
M-Rating: 8.5 / 10