Phoenix - Alphabetical

 

Alphabetical

 

Phoenix

Veröffentlichungsdatum: 29.03.2004

 

Rating: 4 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 30.11.2018


Wohl unbeabsichtigt mutieren die Franzosen zur Boy Band mit nur rudimentären Indie-Elementen.

 

Es gibt ja eine äußerst überschaubare Anzahl an französischen Künstlern, die es zu internationalem Ruhm und darüber hinaus vielleicht gar kommerziellem Erfolg bringen. Noch dünner schaut das Feld aus, widmet man sich den Bands, die dort ihren Anfang genommen haben. Insofern ist einem jeden französischstämmigen Pop-Phänomen nicht nur aufgrund des Sounds mit Interesse zu begegnen, sondern eben auch wegen der Herkunft. Man hat es schlicht und einfach mit Raritäten zu tun, umso mehr, reicht der Erfolg sogar in die englischsprachigen Länder und vielleicht gar bis in die USA. Phoenix haben genau das bewerkstelligt und sich in den vorderen Regionen der Billboard Charts festgebissen. Der dafür verantwortlich Jangle-Pop mit latentem Retro-Chic war 2004 allerdings nicht Realität und so war es auch um die globale Präsenz bestellt. "Alphabetical" stellt überzeugende Argumente für diesen Umstand in den Raum.

 

Damals dürfte soundtechnisch noch eine Experimentierfreude spürbar gewesen sein, vielleicht auch nur die Notwendigkeit zur musikalischen Selbstfindung. Auf alle Fälle klingt die zweite LP nicht wirklich so, wie es die Franzosen in ihren bekanntesten Songs tun sollten. Im Gegenteil, was Jahre später eine durchaus überzeugende Power-Pop-Band werden sollte, strauchelt damals noch gewaltig. Schuld daran ist durchaus die Gesamtausrichtung des Albums, das sich auffallend vom Hip-Hop und R&B hat inspirieren lassen. Geschmeidiger mehrstimmiger Gesang und Hip-Hop-Beats von Drumseite sollen es richten, dagegen schweigen sich die Gitarren eher aus und übernehmen meistens Nebenrollen. Problematisch ist das deswegen, weil es dementsprechend an Drive und verführerischen Melodien mangelt. Stattdessen klingt die Tracklist trotz weniger als 40 Minuten Laufzeit schleppend und langatmig, gleichzeitig poppig und doch ohne jeden derartig wahrnehmbare Anziehungskraft. Schlimmer noch, selbst in den überzeugenderen Minuten, zu denen zweifellos die Singles Everything Everything und Run Run Run gehören, klingt sehr viel an diesen Songs, als hätte man da eine Boy Band vor sich und keine gestandene Indie-Truppe.

 

Jetzt kann man anmerken, dass die Franzosen zwar vielleicht irgendwo in diesen Fahrwässern unterwegs sind, das aber doch subtiler gestalten als die seichten Haudrauf-Hits von Bubenchören wie den Backstreet Boys. Allerdings ist verdammt wenig an Subtilität und dafür ziemlich viel an langatmiger Spannungsfreiheit da. Love For Granted beispielsweise macht zu Anfang Anstalten, ein netter, gefühlvoller Akustiksong zu werden, versandet aber dank der unausweichlich kitschig wirkenden, mehrstimmigen Backgroundgesänge im Refrain, der ton- und beinahe ausdruckslosen Stimme von Thomas Mars und der aufpolierten, spätestens mit Einsatz des Klaviers schmalzigen musikalischen Monotonie, die sich dahinter breit macht. Das ist einfach nicht viel, auch wenn es atmosphärisch mehr zu bieten hat als (You Can't Blame It On) Anybody oder If It's Not With You, die beide endgültig klingen, als hätten sie in den 90ern die damaligen Hitschreiber für ein paar postpubertäre, zur Band zusammengewürfelte Sänger geschrieben. Diese sterilen, fantasielosen Beats, die nur alibihalber gezupfte Gitarre in ersterem und das über alle Maßen deplatzierte Anhalten am klassischen Soul in zweiterem, nichts davon haut hin.

Zur Verteidigung der Band sei erwähnt, dass ein Mehr an Gitarrenarbeit das Werkl auch nicht urplötzlich zum Laufen bringt. I'm An Actor scheitert allerdings auch nur deswegen an dieser Übung, weil es ein unrhythmisches Gestolper darstellt, das quasi den Glam Metal in den Power Pop überführt. Das Gesamtbild ist nicht grausam, aber grotesk. abgehackte Riffs an der E-Gitarre hier, brustschwach und doch melodiefrei, darüber ein bisschen Akustikgestrumme, ganz unten dafür ein stumpfer, monotoner Beat und all das garniert mit einem Refrain, der mit hochgeschraubten "Aaaahs" im Hintergrund endgültig die Billigschiene für sich bucht.

 

Was gut läuft ist schnell zusammengefasst. Da wären die oben erwähnten Singles, die sich zwar dahingehend unterscheiden, dass Everything Is Everything geschmeidig und mit starker Hook gesegnet ist, dabei aber komischerweise latent an Justin Timberlake erinnert, während der andere mit den Claps und dem Hip-Hop-Beat, den dazugestellten lockeren Zupfern an der Gitarre und Mars' diesmal überzeugender Performance nicht ganz so leicht zu schubladisieren ist. Beide wirken ein bisschen antiklimatisch, sind aber gleichzeitig unverkrampft und eingängig genug, um sich allein durch die guten Melodien und das stimmige Gesamtbild zu behaupten. Einen wirklichen Beweis für die Qualitäten der Band stellt allerdings nur Victim Of The Crime dar, weil dessen minimalistisches Arrangement den einzigen atmosphärischen und wirklich abgerundet wirkenden Song des Album ergibt. Andere Zutaten bekommt man da zwar trotzdem nicht, allerdings kommt man nicht in die Verlegenheit, die stimmliche Backgroundunterstützung im Hintergrund gleich wieder mit der nächstbesten Boy Band in Verbindung zu bringen. Stattdessen ist es eine harmoniesüchtige Band, die darin aber auch ihren größten Trumpf gefunden zu haben scheint.

 

Auch wenn Vieles auf "Alphabetical" darauf ausgerichtet sein dürfte, ist das Gesamtbild äußerst wenig stimmig. Zumindest wirkt das Aufeinandertreffen eines ursprünglich im Indie-Rock beheimateten Quartetts mit austauschbaren R&B-Anleihen und klanglichen Boyband-Allüren nicht wie eine folgerichtige Vermählung. Womöglich liegt es auch darin begründet, dass sich die zweite LP als stilistischer Außenseiter in der Diskographie der Franzosen erweist. Auf alle Fälle war es kein Erfolgsprojekt, hat womöglich den Durchbruch der Band sogar verzögert und macht wenig, um die Aufmerksamkeit beim Zuhören wirklich zu belohnen. Im Gegenteil, je mehr man das alles an sich vorbeiziehen lässt, umso eher kommt man in die Verlegenheit, es gut zu finden. Ob das wirklich der Plan war, sei dahingestellt.

 


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