von Mathias Haden, 01.08.2014
Gemischte Gefühle und Happy End beim starken Auftakt einer bemerkenswerten Solokarriere.
Selten. Wirklich selten hat man gewinnbringende Erfahrungen gemacht, wenn sich von Selbstbewusstsein überberstende Bandmitglieder aufgemacht haben, um ihre eigene Solokarriere zu forcieren, in kürzester Zeit schon vom LP-Cover gelacht haben und man kurz darauf das neueste Meisterwerk von Mr. Lonesome Wolf am Plattenteller liegen hat. Ausnahmen? Sure. Beispiele für meine These? Ask Roger Waters or any member from KISS. Und warum schreibe ich plötzlich englisch? No clue, back to business!
Nach seinem Ausstieg bei Genesis, der auf den 'Progbuster' The Lamb Lies Down On Broadway und eine ausgedehnte Tour folgte, nahm sich Peter Gabriel zunächst eine Auszeit, um bei der kranken Tochter und seiner Frau zu sein, nur um sich bald darauf wieder im Studio einzufinden. 'Soweit wie möglich weg von Prog-Rock und dem Sound der Ex-Band', dürfte wohl das Motto gewesen sein, das er sich und seinen Begleitmusikern, u.a. Hochkaräter wie Tony Levin und Robert Fripp, vorgegeben hatte.
Und wo landet man, wenn man die letzten Jahre nur in einem Genre verharrte? Richtig, just im selben. Denn das erste seiner vier selbstbetitelten Alben, dem Cover wegen inoffiziell "Car" getauft, ist wieder ein Sammelsurium an Gabriel’schen Verrücktheiten. Gut, vergleichen lassen sich dann wohl nur die wenigsten mit denen von Genesis, aber davon später. Trotz vielseitiger und interessanter Darbietung hat es "Car" abseits von PG-Foren nie wirklich zum Klassiker geschafft. Leider - und dafür wird der Erstling bis heute kritisiert - ist es seine vermeintlich willkürliche Zusammenstellung, die keinen echten Flow aufkommen lässt und einigen somit sauer aufstößt.
Tatsächlich, da könnte was dran sein. Denn wer auf einen geradlinigen und schnörkellosen Rocker mit hoher Drehzahl (Single Modern Love) eine leicht banale Kabarett-Nummer wie das luftig-lockere Excuse Me und all seinen schwachsinnigen aber irgendwie schmeichelhaften Meriten ("Excuse me / I'm not the man I used to be / Someone else crept in again / I want to be alone") folgen lässt, der hat doch wohl nicht alle Tassen im Schrank. Zumindest dann, wenn diese merkwürdigen Stimmungswechsel nicht nur einmal vorkommen.
Abseits von merkwürdig uneinheitlicher Tracklistzusammenstellerei kann man Gabriel bei seinem Debüt nicht sonderlich viel vorwerfen. Mit Solsbury Hill gibt’s den klassischen Hit und die logische Single serviert, der mit seinen Folk-Anleihen und wundervoller Pop-Melodie überzeugt und nicht umsonst vom Radio und diversen Soundtracks im Gedächtnis geblieben ist. In dieselbe Kerbe schlägt auch die schöne Ballade Humdrum, zu Deutsch "Eintönigkeit", auf der PG zum melancholischen Poeten wird:
"As I drove into the sun
Didn't dare look where I had begun
Lost among echoes of things not there
Watching the sound forming shapes in the air"
Während sich mit den beiden großartigen Tracks Solsbury Hill, Humdrum, dem starken Modern Love und den zwei gewöhnungsbedürftigen Nummern Excuse Me und (Opener) Moribund The Burgermeister, das von der Stimmung her gut auf The Lamb gepasst hätte, und eine im Grundton poppige erste Hälfte dem Ende zuneigt, klopft schon die zweite, wesentlich experimentellere Seite an die Tür. Plötzlich hängen die unliebsamen Begriffe 'Überproduktion' und 'Bombast' wie reife Früchte bei der Sage von Tantalus zum Greifen nahe in der Luft. Aber wer die Geschichte kennt, weiß, dass der Protagonist sie doch nicht zu fassen bekommt. Und so verhält es sich auch hier. Der epische Closer Here Comes The Flood ist das perfekte Beispiel: Wie ein wütender Orkan bricht ein kolossales Orchester hernieder, während Gabriel eine seiner stärksten Gesangsleistungen abruft und neben Gänsehautflair auch einen absoluten Höhepunkt auf LP- sowie Karrierewellenlänge heraufbeschwört. Ambitioniert und tadellos arrangiert - nur eben nicht überproduziert. Wiederum selbiges gilt für das clever zusammengesetzte Down The Dolce Vita, mit seinem tollen Aufbau, der großartigen Produktion mit stark platzierten Percussions und Hornsektion und natürlich Gabriels starker Performance.
Dafür gibt es dann mit Waiting For The Big One auch auf Seite #2 einen Wehrmutstropfen. Und was für einen. Mit einer Gesamtlänge von über 7 Minuten ist dieser träge Koloss von einem Song nicht nur der längste, sondern auch der schwächste auf der Scheibe. Nun möchte man dem armen Tantalus dann doch eine kleine, erlesene Frucht reichen, denn was hier abgeht, ist blanke Überproduktion und nicht viel mehr. Zwar experimentell, aber rechtfertigen lässt sich damit nicht jede von einem Spannungsbogen gänzlich befreite Komposition.
Nach einem versöhnlichen Abschluss einer etwas zerfahrenen LP ist man sich schließlich nicht sicher. Auch mehrere, mittlerweile zig Durchläufe geben nicht mehr Aufschluss über den Sachverhalt. Zum wirklichen Klassiker taugt das erste des Quartetts der eponymen Studioalben scheinbar nicht. Daran ändern auch die vier großartigen Stücke und die souveräne Crew nichts, die "Car" zu dem machen, was es letztlich ist: Ein starker Auftakt einer bemerkenswerten Solokarriere für den Mann vom Solsbury Hill und ein erfreulicher Gegenbeweis für meine eingangs aufgestellte Tendenz.