von Kristoffer Leitgeb, 20.09.2014
Eine Frechheit für die alten Fans, eine unhörbare Zumutung für mögliche neue. Die Aussies landen im Elektronik-Rock-Niemandsland.
Also manchmal, da fragt man sich ja wirklich... Wie muss denn so ein Selbstfindungsprozess aussehen, um letztlich zum fertigen musischen Produkt, dem Album, zu kommen? Welche Antriebe gibt's, welche Hindernisse und wer oder was hat das Ruder in der Hand? Sehr oft eigentlich sehr egal. Bei traumhaften Melodien, großartigen Texten und einer Komposition zum Liebhaben stellt kaum einer die Frage nach dem wie und warum, es reicht ja, dass es da ist. Wenn's aber schief geht, was drängen sich da nicht für Fragen auf über den Geisteszustand der Beteiligten und über deren Motivation. Vorlieben werden so zu nichte gemacht, sogar ganze Monumente ins Wanken gebracht und der Ruf kann schon mal ordentlich flöten gehen. Wer wissen will wie, der frage bitte nach bei den Australiern.
Oder wahlweise bei mir. Ich kenne die Diskographie der 2008 runderneuerten Band und "In Silico" ist in all den genannten Punkten ein mysteriöses Machwerk. Mit aufgedoppeltem Line-Up, neuerdings einem full-time Drummer, Gitarristen und MC, wandelt die LP in merkwürdigen Zwischenwelten, die sich auf der einen Seite von den Drum'n'Bass-Wurzeln absondern, andererseits dem Rock-Liebhaber wenig zu bieten haben. Es wurde wohl einfach herumexperimentiert auf dem Weg zu einem härteren Sound, einem, der vermehrt auch die Gitarren sprechen lassen sollte. Dass dabei fatale Fehlgriffe passieren können, wird allerdings äußerst schnell klar. Dementsprechend startet man, bietet mit Showdown einen Elektronik-Rocker mit trockenerem Beat als in früheren Tagen und einem fast schon in Hard Rock-Manier präsentierten Riff. Daraus ergibt sich aber wenig, denn die Drums sind brachialst abgemischt, die reichlich dazugemischten Computer- und Keyboard-Sounds sorgen für ein komplett überfülltes Soundgewirr, das potenziell Kopfschmerzen verursachend wirkt und nur entweder übermotiviert oder billig klingt.
Ein schwieriger Einstieg, aber doch ein treffender. Denn gerade die Eigenschaften billig und übermotiviert könnten treffender kaum sein für so vieles vom Dargebotenen. Visions beispielsweise startet schon mit unsympathisch manipuliertem Gesang, stellt die lähmend langsame Version eines Drum'n'Bass-Tracks dar. So geraten allerdings sowohl Drums als auch die teilweise hervorquellenden Synthesizer zu einer langatmigen und akustisch ziemlich nervigen Geschichte. Es ist weniger die Grundidee hinter diesen Minuten, die Fragen aufwirft, als viel mehr die Umsetzung. An keiner Front, der spärlich vorhandenen gesanglichen, der elektronischen oder der live instrumentierten, lässt sich ein sympathischer Sound antreffen. Deswegen geraten auch teilweise nette Melodien und gelungene Ansätze raschest zum schwer verdaulichen Brocken, der schon beim Kauen Schwierigkeiten macht. Mutiny gibt da das perfekte Beispiel ab, vergreift sich vor allem in der ersten Hälfte vollkommen im Ton. Zu einer entfernt an Muse' Uprising erinnernden Eröffnung gesellt sich so bald eine unausstehlich billige Synthie-Melodie, die dem wirkungslosen harten Riff gegenübergestellt wird. Da hilft auch das durchaus passable Getrommel nichts mehr, Mutiny ist drei Minuten lang die miserable Wiederholung von Fasten Your Seatbelt, mutiert dann zum schon am Garage Rock anklopfenden trockenen Footstomper, ergibt sich aber auch da einer monotonen Trägheit, die Kraft über Dynamik stellt.
Überhaupt scheint es ein kräftiges, aber eben kein bewegliches Gebilde zu sein, das man zusammengezimmert hat. Zwar ist musikalische Artenvielfalt hier eher zu spüren als auf dem Debüt, songintern kann allerdings nur von schwächlichen Ausbrüchen aus einer zu einförmigen Gestaltung die Rede sein. Deswegen überlebt wenig. Zu Beginn kann man noch über den bisher rockigsten Pendulum-Moment, Different, staunen, der mit altbekanntem Beat an die Sache herangeht, aber dank der Gesangsperformance von Rob Swire, diesmal auch weniger ins Grässliche verzerrt, und der ansehnlichen Vorstellung sowohl an der zurückhaltenderen Elektronik-Front als auch an der Gitarre gut abschneidet. So überlebt man auch mit wenig Ideenreichtum fast sechs Minuten, wird für ein Mal dem Anspruch einer Symbiose aus Drum'n'Bass und Rock im Positiven gerecht, vor allem auch, weil man sich eine lockere Bridge erlaubt, die mal ganz ohne Synthies auskommt. Das passiert bei Propane Nightmares nur kurz zu Beginn, wo man mit einem markanten Bläser-Intro für den einprägsamsten Moment des Albums sorgt. Danach erleben aber die aggressiven Synthesizer ein ordentliches Revival, das jedoch dank der besten Vorstellung von Swire und einer für die LP untypischen Ausgewogenheit die bei Weitem besten Minuten bereithält.
Demgegenüber fallen Nummern wie Midnight Runner oder 9,000 Miles wieder zurück in alte Konfliktmuster, präsentieren sich nur spärlich mit wirklich guten Ideen, versanden ansonsten in einer eintönigen Langeweile. Dabei zeigt sich bei 9,000 Miles kurzzeitig großes Potenzial, wenn das zähe Intro in eine Passage rund um Akustikgitarren und lockeres Getrommel mündet, aus dem davor Gehörten ordentlich ausbricht. Leider wird daraus zu wenig gemacht, keine neue Facetten tun sich auf, nur eine wenig berauschende melodische Synthie-Darbietung gibt's, die dem immer uninteressanter werdenden Gitarrenspiel aber nicht helfen können. Ähnliches verbietet The Tempest den Aufstieg zu Größerem. Der Closer beginnt als fast schon psychedelisch angehauchte Akustik-Vorstellung, die sich zwischendurch in lauten Rock verwandelt und auch mit sphärischeren Klängen spielt. Die Prog-artige Stilvielfalt entbehrt aber einerseits etwas, das sie wirklich miteinander verbinden könnte, andererseits auch einer generellen Sympathie für diesen Sound, denn weder im rockigen, noch im elektronischen Gewand punktet die Band so sehr, dass mehr als Durchschnitt das Ergebnis sein könnte.
Umso schlimmer eigentlich, dass man mit nicht mehr als dem Durchschnitt hier schon einen der besten Track vorgesetzt bekommt. Vieles verliert sich im unglaublich unsympathischen Sound, den sich die Band für das Album ausgesucht hat, einer merkwürdigen Kombination aus billiger Elektronik und kraftvollem Schmalspur-Rock. All jene Bruchstücke, die aus diesem Loch flüchten können gelingen durchaus, sie sind aber kaum in ausreichender Länge zu finden - in Songlänge überhaupt höchstens ein einziges Mal -, um den Songs wirklich ihren Stempel aufzudrücken. Viel mehr bleiben es Erinnerungen daran, wonach man hier als Hörer lechzen würde und warum der Rest so gar nicht funktionieren will. Ein Schritt vorwärts ist es für die Australier vielleicht, aber dank erleichterungsbedürftiger Hunde weiß man, wie oft gerade der auch in einem Haufen Scheiße enden kann.