von Mathias Haden, 16.01.2014
Mit fast 70 meldet sich der kleine Folkprinz eindrucksvoll zurück.
'Früher war alles besser'. Eine Aussage, an die sich heute wie damals die Leute klammern und damit ihren Unmut über die neuesten Entwicklungen ausdrücken. Darüber kann man natürlich stundenlang diskutieren, aber für eine derartige Debatte bleibt mir hier zu wenig Zeit. Auf Seiten der aufgeschlosseneren Hörer: 2011 war ein fantastisches Jahr! Die Decemberists übertrafen sich wieder einmal selbst, die Fleet Foxes legten ein fulminantes Zweitwerk auf den Tisch und Gotye bewies, dass radiotauglicher Pop auch großartig sein kann. Auf Seiten der konservativen Lauscher: Wieder einmal zeigten die älteren Semester den Jüngeren wo der Hammer hängt und fanden sich unter den essentiellen Veröffentlichungen des Jahres. So fanden sich unter den diversen Bestenlisten Alben von R.E.M., Tom Waits, Radiohead (die mittlerweile auch schon als 'alt' gelten) und auch vom kleinen Mann mit den großen Worten, Paul Simon.
Kurz vor seinem 70. Geburtstag erschien mit So Beautiful Or So What nämlich der zwölfte Longplayer des New Yorkers.
Nachdem sein 2006er Album Surprise, mit Mastermind Brian Eno an der Seite, ein wohlwollend aufgenommener Schritt Richtung modernem Rock & Pop war, kehrt er nun wieder zurück zu seinen Wurzeln.
So knüpft er an einen Sound an, den er bereits mehr als 40 Jahre zuvor zur Perfektion getrimmt hat. Und klingt damit immer noch frisch wie ein kürzlich aufgebackenes Semmerl und dazu noch authentisch.
Das neue Werk birgt neben zarten Folk Rock-Vibes und honigsüßen Melodien zusätzlich noch einiges an Poesie und kirchlichen Motiven. Auch scheint er seine Liebe für Gospelmusik zum Ausdruck bringen zu wollen. Simon macht vor allem das, was er am besten kann: Geschichten erzählen und sie mit seiner akustischen Gitarre begleiten. Ab und an greift er auch mal nach einer elektrischen oder zum Glockenspiel. Hinter ihm sorgen einige talentierte Musiker mit klassischen Instrumenten für ein angenehmes Klangbild. Und damit man ihm keine Altbackenheit vorwerfen kann, gibt es sogar ein paar Samples (Love And Blessings).
Der Künstler selbst scheint sich in seinem fortgeschrittenen Alter für Themen wie Leben & Tod, die Zeit nach dem Ableben und natürlich der Liebe zu beschäftigen. In The Afterlife schildert er seine Vorstellungen zu ebendieser Phase und es wirkt, als vergleiche er den Empfang bei der Pforte zum Himmel mit einem Besuch im Verkehrsamt ("You got to fill out a form first, and then you wait in the line").
Mit Dazzling Blue entführt er gemeinsam mit grandiosen Percussions in eine traumhafte Welt, die irgendwo zwischen Bookends und Graceland steht, und mit Getting Ready For Christmas gelingt es ihm, einen selbst verfassten Weihnachtssong zum Hit zu machen. Der seltsame Mix aus mitreißendem Rhythmus und zwischenzeitlichen Pastorpredigten geht interessanterweise wirklich auf und Simon schaut noch einmal ohne Gräme zurück:
"If I could tell my Mom and Dad that the things we never had / Never mattered we were always okay".
Und auch sonst dominiert Euphorie. Wer sich hier einen billigen Aufguss alter Werke erwartet hat, der wird schnell eines Besseren belehrt. Glanzvoll auch Songs wie Rewrite oder Love Is Eternal Sacred Light. Und wenn man dazwischen noch berührende Balladen wie Love & Hard Times mit verträumter Klavierbegleitung und einem wunderbaren Zusammenspiel aus ergreifendem Text ("I know that's an old songwriting cliché / Loved you the first time I saw you / Can't describe it any other way") und sanften Klängen, oder das melancholische Questions For The Angels packen kann, darf man eigentlich nur zu einer gelungenen Arbeit gratulieren. Nach einem sanften Mittelteil beendet der Erzähler schließlich mit dem vergleichsweise rockigen Titeltrack die spirituelle Reise und verabschiedet sich hoffentlich nicht zum letzten Mal.
Und wo die Stimme - beachtlicherweise eigentlich nie - mal aussetzt, da holt sich So Beautiful Or So What seine Pluspunkte durch dieses homogene und unbeschwerte, gar lockere Auftreten. Da finden sich großartige Arrangements und ein Senior in Topform, gesanglich wie auf seiner Gitarre und auch das Songwriting fruchtet durchgehened. Da kann man es auch leicht verzeihen, dass das Album eher durch seine Homogenität und Konstanz glänzt, und nicht jeder Song ein Meisterwerk ist.
Nach beinahe sieben Jahrzehnten unter der Sonne meldet sich Paul Simon mit einem der besten Alben seiner Karriere zurück und zeigt den Jungspunden, wo es lang geht. Auch wenn sein Werk über die gesamte Länge vielleicht ein wenig zu religiös und bedächtig klingt, gibt es nicht wirklich etwas, das man ihm vorwerfen könnte. Und wenn unter all den Singer/Songwritern, die so herumgeistern, ein Opa heraussticht, dann - aber nur dann - kann man sich die Aussage 'früher war alles besser' ohne Widerstand gefallen lassen.