von Mathias Haden, 04.12.2013
Ein lockeres Sommeralbum zum Auftakt - Paul Simon lässt die Vergangenheit ruhen.
Diesen Typen muss man einfach lieben. Großartiger Sänger trifft grandiosen Songwriter - und das auch noch in einer Person vereint. Beglückte er die Menschheit in der zweiten Hälfte der 60er mit seinem Kollegen und Kumpel Art Garfunkel als Simon & Garfunkel, ließ er sich nach deren Zusammenbruch 1970 dazu hinreißen, auf Solopfaden weiterzumarschieren. So ganz stimmt das aber nicht: 1965 veröffentlichte er bereits unter seinem Namen eine LP, diese bestand allerdings fast ausschließlich aus Songs, die er auch zusammen mit Garfunkel aufnehmen würde. So bildet das zweite, selbstbetitelte Album im Prinzip das Debüt des amerikanischen Sympathieträgers.
Die relativ kurze Karriere des Kultduos war stets geplagt von Eifersucht und Missgunst. Nur zu oft war es Songwriter Simon, der auf seinen Kollegen mit der Engelsstimme neidisch war, weil dieser für seinen Gesang und seine Erscheinung mehr Beachtung erhielt und im Rampenlicht stand. Nun war es Zeit, die Lorbeeren für die aus der eigenen Feder stammenden Songs selbst zu ernten.
So verwundert es auch kaum, dass der Sound des ersten wirklichen Longplayers sehr an den soften Ton des ehemaligen Duos angelehnt ist. Sanfte Arrangements und besonders die akustische Gitarre durchziehen den Großteil des Albums. Und doch ist eine angenehme Aufbruchsstimmung vom alten Stil wahrnehmbar. Der Grundton ist wesentlich lockerer, die Emotionen nicht mehr so komprimiert in die Songs gepackt. Das ist natürlich ob Garfunkels Abwesenheit als präsentere Stimme verständlich, besagter brachte auch immer einen zusätzlichen Hauch Dramatik und Gefühl in Songs wie Bridge Over Troubled Water oder So Long, Frank Lloyd Wright.
Völlig unerwartet und entgegen der vorangegangenen Beschreibungen startet das Album mit dem erfrischenden Mother And Child Reunion, Simons Gott sei Dank geglücktem Ausflug ins unerforschte Reggae-Terrain. Immer schon ein Freund von diversen Musikrichtungen und vielseitigstem Musikgeschmack, wagt er hier erste Schritte in neue musikalische Himmelsrichtungen. Eine Entscheidung, die sich allerspätestens mit dem 1986er Graceland bezahlt macht, auf dem er afrikanische Arrangements mit seinem später typischen Pop/Rock vermischt.
Paul Simon hatte ja niemals einen Hehl daraus gemacht, sich nur im traditionellen Folk-Rock-Bereich artistisch bewegen zu wollen. So war er schon auf seinem ersten Album nach S&G mutig genug, verschiedenste Elemente in seine großteils akustischen Songs von Paul Simon zu werfen. Neben dem Reggae-Rhythmus vom Opener finden sich nämlich noch Latin-Einflüsse im sommerlichen Me And Julio Down By The Schoolyard, zurecht einem seiner größten Hits. Dazu kommt dann noch leichter Jazz im Instrumental Hobo's Blues und die erfreuliche Panflöte in Duncan, einem der Tracks, die sich auch auf dem letzten Album von S&G hätten befinden können.
Man muss an dieser Stelle natürlich ganz offen sein. Nein, das erste Album Simons nach der Trennung ist keine Offenbarung und wird der riesigen Euphorie, die von Kritikern ausgeht, nicht ganz gerecht. Während die erste Seite der LP auf höchstem Niveau agiert, fällt die zweite zunehmend ab, ohne aber einen einzig wirklich schlechten Track zutage zu fördern. Das, was Paul hier macht, hat durchaus Hand und Fuß. Und wie wichtig es nicht für die weitere Karriere war. Schön auch zu sehen, mit welcher Hingabe er sich von Song zu Song begibt. Seine Minderwertigkeitskomplexe, die angeblich bis zu Depressionen ausgeartet sein sollen, bekam er bis zu den Aufnahmen gut in den Griff und konnte sich endlich der Welt als ernstzunehmender Singer/Songwriter präsentieren.
Dafür stehen nicht zuletzt auch die gewohnt starken und abwechslungsreichen Texte. Da wäre etwa das melancholisch schöne Everything Put Together Falls Apart, das mit seiner kurzen Länge von zwei Minuten und seinem minimalistischen Akustik-Folk nach den ambitionierten Mother And Child Reunion und Duncan perfekt platziert wirkt. "Spare your heart / Everything put together / Sooner or later falls apart" säuselt Simon, und man nimmt ihm jedes Wort bedingungslos ab. Dazu setzt er sich auf Run That Body Down mit körperlichen Abnutzungserscheinungen, die unter Musikern ja nicht untypisch sind, auseinander: "I went to my doctor yesterday / She said I seem to be OK / She said 'Paul, you better look around / How long you think that / You can run that body down?'".
In der kurzen Zeit nach der Trennung von Freund Garfunkel hat sich Simon weiterentwickelt und an seinen Stärken gefeilt. Sein Spiel auf der akustischen Gitarre - besonders auf Armistice Day - ist bemerkenswert, und seine ausgeglichene Stimme schmiegt sich perfekt an die Songs an. So verzeiht man ihm auch, dass hier nicht das Jahrhundertalbum entstanden ist, für das es viele gerne halten.
Simon hat mit seinem selbstbetitelten Studioalbum den Soundtrack des 'Summer of '72' kreiert. Solider und homogener als man das eigentlich erhoffen konnte. Dafür fehlen bis auf ein paar Ausnahmen die absoluten Höhepunkte, die die Alben von Simon & Garfunkel stets ausgezeichnet haben. Dennoch schreit hier alles nach 'Friede, Freude, Eierkuchen'. Simon hat die Möglichkeit genutzt, seine Karriere auf ein neues Level zu heben. Und mit einer Strophe aus Closer Congratulations möchte man zum großen Schulterklopfen für den Mann, der bewiesen hat, dass man auch mit kaum 1,60m Körper-'Größe' Großes erreichen kann, einladen:
"Congratulations
Oh, seems like you've done it again
And I ain't had such misery
Since I don't know when
Oh, and I don't know when, oh, and I don't know when"