von Mathias Haden & Daniel Krislaty, 25.07.2015
Erfrischende Spielfreude und wiederentdeckte Konstanz beleben die kreativen Geister des Altmeisters.
Mit der Würde ist das so eine Sache. Glaubt man der Verfassung, ist sie lediglich ein unveränderliches Grundrecht. Ganz so einfach möchte man es all den Künstlern aber nicht machen, die es aus unterschiedlichen Gründen verabsäum(t)en, in Würde zu altern. Auch dem einen oder anderen Beatle muss man da auch mal gehörig auf die Finger klopfen. Während John sich doch recht früh aus der Affäre ziehen konnte, George zumindest überwiegend der Spaß an der Musik anzumerken war und Ringo stets einfach Ringo war, blieb lediglich Sunny Boy Paul im Fadenkreuz der Kritik hängen. Besonders Mitte der 80er verlosch der kreative Funke des Sirs, ehe er sich zumindest in abgeschwächter Form wieder etwas entzünden konnte und mit Fortdauer des neuen Jahrzehnts immer heißer wurde.
Irgendwo auf dieser ansteigenden Formkurve liegt Flaming Pie, das bereits zehnte Album unter seinem Namen, ganz zu Schweige vom Intermezzo als Leader seiner Wings. Man könnte auch unter Anbetracht dieses Umstands ganz pauschal behaupten, dieser Mann habe bereits alles gesehen bzw. man habe diesen Mann bereits überall gesehen. Ganz bestimmt aber nicht auf einem flammenden Kuchen, wie er selbst im rockenden Titeltrack verrät, auf dem zu einem lässigen Piano und einer starken Rhythmussektion, die der Meister wie so oft selbst in die Hand nimmt, der Rock 'n' Roll regiert. Stimmlich ist der Brite auch dreißig Jahre nach Sgt. Peppers noch gut in Schuss, wie er etwa im herrlich gefühlvollen Little Willow demonstriert, einer schönen Ballade der alten McCartney-Schule, auf der sich der Protagonist erneut an seinem Arsenal an Instrumenten, vom Cembalo bis zum Mellotron, austoben darf.
Apropos Balladen: die gehen dem ehemaligen König dieser Disziplin freilich weiterhin gut von der Hand. Ob im romantischen Calico Skies, im verträumten Beautiful Night oder im wehmütigen Somedays, die ruhigen Töne standen dem kreativen Kopf hinter Eleanor Rigby oder For No One doch immer schon; hier einerseits im luftigen Akustikgewand, andererseits mit schmeichelndem Orchester augmentiert. Aber auch die flotteren Töne beherrscht Macca, zumindest wieder. Die flotte Lead-Single Young Boy gerät im hübschen Zusammenspiel zwischen Gitarren, Bass und Orgel und mit ihrer ansteckenden Beschwingtheit zur kostbaren Pop-Perle, der coole, leider überlange Jam mit Kumpel Ringo, Really Love You, lässt im Doppelpass zwischen smoothen Drums und mächtigem Bass wie in alten Zeiten zumindest musikalisch wenig anbrennen, wiewohl die Nummer als Song auch wenig hermacht.
Schwachstellen gibt's aber wie auf jeder Soloplatte der Fab-Four-Sprösslinge. Namentlich sind es diesmal etwa Used To Be Bad, ein ambitioniertes, in seiner Ausführung doch recht unspektakuläres Duett mit Steve Miller, das McCartney in seiner Blues-Affinität nicht so recht zu stehen vermag, und das plumpe Souvenir, dem in seiner wechselhaften Stimmung schon bald die Luft ausgeht und das in biederem Gitarrengefrickel fade dahinplätschert, neben anderen kleinen Nichtigkeiten. Alles in allem lohnt Flaming Pie dennoch, bringt McCartney mit erfrischender Konstanz endlich auf Albumlänge wieder auf die Siegerstraße und kann sowohl von seiner songschreiberischen Güte, als auch von seiner Spielfreude wieder leise Erinnerungen an glorreiche, vergangene Tage wecken, nicht nur wegen Ringo.
M-Rating: 7 / 10
Stimmiger und stimmgewaltiger Pop der alten Schule.
Trotz einer seither andauernden Solokarriere erinnert man sich bei McCartney am liebsten an seine Kompositionen von bevor der Beatles-Auflösung. Als ewiger Nice-Guy des Rocks verschrien, bleibt er dennoch immer noch mit einem Album hier, Konzert da oder einer Ehrung dort von Zeit zu Zeit auf dem Radar. Darüberhinaus ist McCartney für den ein oder anderen Hit als Lebenszeichen ohnedies immer noch zu haben. Ob sich ein solches rückhaltloses 'Drüberfahren' über eine knapp 45-jährige andauernde Sololaufbahn schickt und wie sich die Sachlage ändern würde, wenn die Beatles-Vergangenheit nicht immer als unangebrachter Gradmesser herangezogen werden würde, eröffnet womöglich ein interessantes Gedankenspiel, muss jedoch für Flaming Pie gewiss nicht als eine Art Rechtfertigungsversuch angestrengt werden. Zurück auf der 'Siegesstraße' des Pop erübrigt der grinsende Paradeschwiegersohn eine Handvoll echte Winner sowie die erhoffte Qualität auf Albumlänge.
Zunächst schließe ich mich jedoch den Ausführungen meines Kollegen bezüglich der Schwachstellen des Albums an. Im Ätschi-Bätschi-Titel I Used to Be Bad lässt McCartney schelmisch und daher irgendwie unpassend den Blues hochleben, während das tatsächlich überlange und zudem monotone Really Love You merkwürdige gesangliche Ausflüge unternimmt. Souvenir besitzt zwar mit den gefühlvollen Balladen-Passagen bessere Vorzeichen, vermag sich durch zahlreiche rockige Einspritzer aber nicht so recht zu positionieren. Den McCartney, den ich hören möchte, weiß seine wunderbare harmonische Stimme umgarnend wie auf den grundsoliden The Song We Were Singing, If You Wanna oder Great Day einzusetzen. Das soll aber nicht heißen, dass es nicht auch einmal deutlich ruppiger wie am coolen Titeltrack mit klimpernden Klaviertasten im Vordergrund zugehen darf.
Als ruhige Ballade zum Mitschnipsen angelegt ergeht sich Heaven on a Sunday gegen Ende ein wenig zu sehr in den titelprägenden Wiederholungen, streicht durch das nette Gitarren-Zwischenspiel jedoch auch außerplanmäßige Extrapunkte ein. Ein wenig auf Rock-Sparflamme sät Somedays mit einem dicken Orchesteraufgebot aus Streichern und Bläsern wunderbaren Baroque-Pop, der unweigerlich an die glorreichen 60s erinnert. Ebenso mit klassischer Instrumentierung belohnt sich McCartney gegen Ende des Album mit dem romantischen Beautiful Night, das als stürmischer Swing ein Ende findet.
Hingegen setzt das beeindruckende Calico Skies im Grunde bloß auf ein loses, punktgenaues Zupfen, das 'Paulis' leisem Harmoniestimmchen die große Bühne zugesteht. Auch für Little Willow lässt sich der Altmeister wie bereits oben erwähnt nicht lumpen, das Talent seines geölten Kehlchens eindrucksvoll zur Schau zu stellen. Im Gegenzug dürfen auch zeittypische Gitarrensounds vom gefälligen Petty-Klon Young Boy bis zum intensiveren Rock von If You Wanna oder The World Tonight nicht fehlen.
Auf die Gefahr hin zum geistlosen Zustimmer degradiert zu werden, nicke ich auch das Fazit meines Vorredners ohne Widerrede ab. McCartneys Zeit, reihenweise an Alben für die Ewigkeit zu werkeln, ist und war auch schon 1997 lange vorbei. Dennoch findet man bestimmt Freude an Flaming Pie, das neben offensichtlichen Earcatcher nur sehr wenige faule Eier in den Reihen hat und zu einen netten, unbekümmerten Hördurchgang jederzeit einlädt.
D-Rating: 7 / 10