von Kristoffer Leitgeb, 23.01.2021
Eine zerstreute, zahme und unspektakuläre Überdosis von Electro Swing, Downtempo und House.
Dieses unser wunderschönes Österreich kann sich so mancher Dinge rühmen, seit geraumer Zeit aber eher weniger einem Vorreiterstatus oder gar global betracht einer weltweit führenden Position in irgendwelchen musikalischen Dingen. Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht unser Arsenal an starken Musikern und Musikerinnen, an hörenswerten Bands haben. Aber die Riege derer, die entweder globale Bedeutung erlangt haben oder in ihrer Nische einflussreiche Arbeit geleistet haben, ist jetzt für die Musik der letzten, sagen wir mal, 70 Jahre nicht gerade endlos. Wie bereits vor langer Zeit bei einem Blick auf die Sofa Surfers erörtert, ist das in der näheren Vergangenheit im Bereich elektronischer Musik zumindest ein bisschen anders. Da gibt es Kruder & Dorfmeister, die Ende der 90er einiges an Staub aufgewirbelt haben, da gibt es einen Fennesz, der mit seinen Ambient-Alben regelmäßig die Kritiker und allen voran die einzig wahre Autorität in Sachen Geschmack, Pitchfork, zum Niederknien bringt. Und es gibt Parov Stelar. Der Linzer ist zwar definitiv nur im Inland in einer Position, dass er fix jedes Jahr den größten Musikpreis in der Kategorie Elektronik nachgeschmissen bekommt, weil er der Einzige mit ausreichendem Massenappeal für diese Spaßveranstaltung ist. Aber er ist darüber hinaus auch einer der Pioniere und eine der definierenden Figuren des Electro Swing, dieses Nischengenres, das es sich insbesondere seit der späten 00er-Jahre zur Aufgabe gemacht hat, elektronische Musik, mit alten Jazz- und Swing-Schinken aus den 50ern oder 60ern, manchmal auch modernen Varianten davon, zu kombinieren. Ob das eine musikalische Großtat ist, sei dahingestellt, aber der Name Parov Stelar gilt da jedenfalls etwas, was durch zumindest ein paar Volltreffer aus seiner Hand in der Vergangenheit immerhin nicht ganz unberechtigt erscheint. Nicht viel dazu beitragen kann etwas wie "The Demon Diaries".
Dem liegt unter anderem auch die Natur des Ganzen als monströses Doppelalbum von über eineinhalb Stunden Länge zu Grunde. Die größten Helden der Musikgeschichte waren kaum einmal dazu in der Länge, solche Laufzeiten unbeschadet zu überstehen und ein einigermaßen fehlerarmes Album abzuliefern, das diese Zeitspanne ausfüllt. Da wird es Parov Stelar wohl auch kaum zusammenbringen. Zugegeben, "The Princess" hat 2012 sogar auf fast zwei Stunden gestreckt und es hat trotzdem einigermaßen überlebt und seine zwei besten Songs geboten. Aber erstens ist es sich trotzdem nicht ausgegangen, mehr als ein Durchschnittsalbum aus dem Gesamtpaket zu machen und zweitens muss man das Glück ja wohl nicht zweimal so herausfordern. Er tut es aber, liefert allerdings auch einen markanten stilistischen Schwenk mit, der zumindest einen Teil der hier versammelten Songs prägt. Zu den altbekannten Spielereien des Electro Swing, wie sie einem kurzweilig, unterhaltsam, präzise und doch irgendwie banal im Opener The Demon Dance begegnen, gesellen sich zunehmend ruhigere Downtempo-Kompositionen, vermehrte Einflüsse von modernem R&B und Soul, dazu auf der anderen Seite klinischere Elektronikeinlagen.
Die Aufmachung als Doppel-LP ließe vielleicht vermuten, dass mit diesem stilistische Wandel fein getrennte, klanglich sehr unterschiedliche zwei Hälften auf einen warten. Dem ist nicht so. Stattdessen ist es von den ersten Minuten weg ein ständiger Kampf mit dem stilistischen und atmosphärischen Hin und Her. Zwischen dem geschmeidigen, irgendwie nach Bruno Mars riechenden Hooked On You, dessen lockerer Klavier-Hook, geschmeidigen Vocals und starker Disco-esquer Kombi aus Streichern und Bläsern auf der einen Seite, dem stumpf-harten Beat von The Green Frog und dessen zwischenzeitlich untragbaren Synths und sphärischen Downtempo-Vorstellungen wie denen von Summertime auf der anderen. Gut, letztere versammeln sich tatsächlich großteils auf der insgesamt jeden roten Faden entbehrenden zweiten CD, meiden aber die erste. An der Zerfahrenheit im Ganzen, diesem Mangel an einer emotionalen oder atmosphärischen Einheit bzw. einem entsprechenden Spannungsbogen ändert das aber wenig bis nichts.
Natürlich könnte daraus trotzdem ein erratisches, zwar überforderndes, aber eben auch abwechslungsreich spannendes Album voller lebhafter Eindrücke werden. Dem ist nicht so. Man kämpft stattdessen mit der relativen Freudlosigkeit vieler Minuten. Zwar spürt man auf der einen Seite Parov Stelars fähigen Fokus darauf, die Samples von anno dazumal in einem organischen, authentischen Klang in seine Songs einzubauen, wie es in Clap Your Hands oder dem wunderbar schrulligen Don't Mean A Thing geschieht. Auf der anderen Seite sind gerade diese Vorstellungen altbekannt, waren noch immer der Kern jeder vorangegangenen LP und sind vor allem schon mal vitaler, energischer und eingängiger dahergekommen. Hatte man einige Jahre vorher noch Charleston Butterfly, Booty Swing oder das großartige Jimmy's Gang, das einen im besten Fall nicht mehr losgelassen hat, sind ähnliche Ausreißer hier nicht zu finden. Selbst positivere Beispiele wie The Demon Dance, Hit Me Like A Drum oder eben vor allem das starke Don't Mean A Thing schaffen es nicht, diese Energie und diesen Drive zu rekreieren.
Das hat wohl damit zu tun, dass "The Demon Diaries" insgesamt atmosphärischer gestaltet sein sollte als die Vorgänger. Daraus könnte man vielleicht ableiten, dass dem Album mit seinen neuen stilistischen Pfaden eine emotionalere Facette gegeben wird, die es schafft, Eingängigkeit, melodisches Geschick und atmosphärische Ausdrucksstärke zu kombinieren. Dem ist nicht so. Zumindest nicht wirklich. Dem verführerisch mysteriösen Sound von Six Feet Underground und insbesondere der da zu hörenden Stimme von Claudia Kane wird man leicht erliegen. Da stimmt das Gefühl, da wohnt auch den sphärischen Synth-Schwaden und dem kargen, trockenen Soundsetting einiges an Atmosphäre inne. Schon das passable Summertime kämpft aber damit, wirklich irgendetwas außer dem Händchen für ein geschmeidiges Arrangement zu transportieren. Da macht auch die gefühlvollste weibliche Stimme nicht viel aus, wenn der Rest eher ein monotones Dahintrotten darstellt. So geht es einem dann vor allem mit der zweiten LP, die sich in diesen ruhigeren Momenten verrennt und weder mit der Candlelight-Version von Josephine, noch mit den unsympathisch trägen Magenta Rising und Golden Arrow wirklich irgendwohin findet. Zumindest kommt man nicht daran vorbei, sich die Frage zu stellen, was dieses Songs eigentlich tun sollten. Sie animieren nicht, sie berühren nicht, sie gehen nicht ins Ohr, sie bestechen auch nicht durch interessante oder übermäßig stimmige Arrangements.
Insofern muss man sich eigentlich doch auf die wachere, dynamischere, dem klassischen Parov Stelar näher kommende Seite des Albums konzentrieren. Da kann man doch wohl annehmen, dass dman wenn schon nicht überrascht oder weggeblasen, dann doch immerhin solide mit smoothen Electro Swing Übungen versorgt wird und weniger klare Aussetzer zu beklagen hat. Dem ist nicht so. Also schon dahingehend, dass man eher mal geschmeidige, lockere und auch ziemlich feine, zu schönem Klang gebrachte Minuten serviert bekommt. Aber definitiv nicht in der Form, dass man vor Reinfällen gefeit wäre. Schon auf der ersten CD klafft ein riesiges Loch, in dem langweilige, wirklich jeglicher prägnanten und die bis zu vier Minuten Laufzeit rechtfertigenden Eindrücke entbehrende Songs wie Djangos Revenge oder Gin Tonic warten. Da trifft man auf alte Schwächen in Form lahmender Monotonie und einer Formeltreue, die sich in endlosen Wiederholungen äußert. Sowas geht nur, wenn wirklich alles passt, die Hook da ist, der Sound einen nicht los lässt. Und das findet man hier nicht im Zehner- oder gar Zwanzigerpack. Intensiviert werden die Schwierigkeiten mit der eher der Tanzfläche zugewandten Seite der LP noch durch vollkommen entbehrliche Wiederaufbereitungen bereits gehörter Songs, nämlich dem mit unnötig hartem Beat und Claps zur Clubversion umgemodelten Hit Me Like A Drum und einem Remix von Keep This Fire Burning, der wohl hoffentlich niemand wirklich glücklich macht.
Als positive Überraschung bleibt dann lediglich noch, dass jene beiden Tracks, die dem Pop so sehr frönen wie nichts anderes hier, nämlich die erfolgreiche Single The Sun und der Gastauftritt von Anna F. in Walk Away wirklich gut gelingen und es schaffen, abseits der bekannten Pfade des Parov Stelar für eingängige und geschmeidig-lockere Minuten zu sorgen. Den Esprit und die Leichtigkeit seiner besten Songs bringen zwar beide nicht mit, stark und gut anzuhören sind sie dennoch.
Insofern gibt es lichte Momente und zwar nicht einmal nur die altbekannten auf "The Demon Diaries" und das in Wahrheit gar nicht so unfassbar selten. Das große Ganze ist aber einfach viel zu groß, um die riesigen Lücken zwischen den positiven Ausreißern und die unweigerlich aufkommende Langeweile, die einen früher oder später schon fast befallen muss, einigermaßen heil zu überstehen. Nichts hier rechtfertigt, dass man dem oft genug ziemlich unspektakulären Spektakel über 90 Minuten beiwohnen muss. Das ist immerhin ein ganzes Fußballspiel und dann eher kein Champions-League-Finale legendärer Ausführung, sondern eher eine Partie um Platz 4 in der heimischen Bundesliga: Ein bisserl träge, ein bisserl viele Fehler, ein bisserl konzeptlos, aber dann doch mit ein paar Toren und der einen oder anderen schönen Einzelaktion. Was Parov Stelar den Fußballern voraus hat, ist, dass man getrost sagen kann, dass er mit geringerer Laufzeit durchaus gut dastehen würde. In der knackigen Kürze von vielleicht einer Dreiviertelstunde oder etwas weniger läge ein Album versteckt, das ihn noch immer variantenreicher denn je, aber ohne die offensichtlichen Verschleißerscheinungen des bekannten Sounds und ohne die ebenso deutlichen Irrungen des neuen dastehen lassen würde. Geworden ist daraus nichts, stattdessen bekommt man ein aufgeblähtes Monstrum von einem Album, aus dem man sich die wertvollen Minuten herauspicken muss.