Dem Quartett aus Tennessee fehlt es trotz netter Nummern noch am nötigen Wiedererkennungswert.
Frauen im Pop-Punk, das hatten wir hier noch nicht. Wird aber auch Zeit, dass eine Powerfrau Waschlappen wie Tom DeLonge oder Patrick Stump endlich gehörig den Marsch bläst. Oh, fast vergaß ich ja Avril Lavigne, die zu Beginn ihrer Karriere ja auch öfters am Skateboard und mit bunten Haaren gesichtet wurde. Mit Strähnen aus den verschiedensten Farbrichtungen kennt sich Hayley Williams freilich ebenfalls aus, auch ansonsten sind die Parallelen zum einstigen Teenie-Schwarm Kanadas nicht von der Hand zu weisen. Trotz frecher Attitüde in frühen Jahren gelang es Williams nicht, über ein ähnlich putzig naives Image hinauszukommen, dazu noch ein ähnlicher, Hand in Hand mit dem Erfolg einhergehender Werdegang und was am wichtigsten ist: beide können sich gegenseitig auf die Schultern klopfen, sich irgendwann ihren Typen mit dem schwachsinnigen Namen Chad aufgerissen zu haben. Achja, außerdem haben/hatten beide ihre Band. Während Lavigne unter dem Flaggschiff des eigenen Namens die Segeln gehisst hatte, singt Williams nun schon zwölf Jahre in ihrer Band Paramore.
Diese hatte mit ihrem zweiten Album Riot! anno 2007 den großen Durchbruch geschafft, ehe im Folgejahr mit einem Beitrag zum Twilight-Soundtrack endgültig das Eis für internationale Popularität gebrochen wurde. Und lange Zeit glaubte auch ich, das zweite Album der Amerikaner wäre dem vielseitig poppigeren Nachfolger überlegen. Unter anderem liegt das daran, dass sich das damalige Quartett der positiven Avancen eines gelungenen ersten Eindrucks offensichtlich bewusst war. Mit dem schon in seinem Titel an Fall Out Boy oder Panic! at the Disco erinnernden For A Pessimist, I'm Pretty Optimistic startet die LP nämlich, wartet sogleich mit einem kraftvollen Riff auf, für den sich Pete Wentz auch nicht hätte schämen müssen. Ach, der spielt gar nicht Gitarre? Sei's drum. So sauber produziert mithin, dass man sich die obligatorischen "Ausverkauf"-Schreie nur allzu gut bildlich vorstellen kann und mit einem eingängigen teen trouble-Refrain gesegnet, macht der zum Auftakt tatsächlich einiges richtig: "You were finished long before / We had even seen the start".
Platz für solcherlei Herzschmerzgejammer bietet Riot! selbstverständlich in Hülle und Fülle. Aufgeteilt auf kraftvolle Rocker und schmachtende Balladen findet sich auch hier nur einer der vielen Lavigne-Vergleiche, die sich sogar ein wenig bis hin zum Gesangsstil strecken. Die dynamischeren Tracks sind wie bei vielen ihrer Genre-Kollegen die ergiebigeren, die besseren davon finden sich überwiegend auf der ersten Hälfte des Longplayers. Allen voran natürlich Hit-Single Misery Business, der mit Dreifach-Platin ausgezeichnete Büchsenöffner einer kommerziell überaus ertragreichen Karriere. Mit derselben Erfolgsformel wie der Opener, setzt auch diese auf voranpreschende Gitarren und eine packende Hook, wiewohl die dominierende Emotion diesmal weniger Selbstmitleid und viel mehr Schadenfreude ist. Zu den Gewinnern zählt auch That's What You Get, das im Vergleich zu den anderen beiden zwar einen Gang niedriger schaltet, trotz seiner Woo-Hoo's und dank einer feinen Melodie und starkem Riff eine dynamische Performance auf Platte bannt.
Natürlich muss man einiges an Mitgefühl für Williams und ihre betrübten Mitstreiter aufbringen. "Inside, we're broken" singt die Frontfrau in Miracle, ein Motto, das sich auch im passend als We Are Broken betitelten Lamento widerfindet. So wartet die Sängerin vergeblich auf ihr Wunder, weint Verflossenen hinterher und sucht ungeduldig nach der eigenen Identität. Teenie-Kram eben, in dieser Form ein ums andere Mal zu oft bereits gehört, indes gelegentlich gar nicht so schlecht umgesetzt. Leider überwiegen die schmalzigen Momente leicht, bringen mitunter kitschige Balladen wie When It Rains samt spacig hellen Gitarrenlicks und vermeintlicher Ausweglosigkeit junger, gequälter Seelen ans Tageslicht oder drücken sich in Nu-Metal-reminiszenten Riffs und Geflüster von Crushcrushcrush aus. Am Ende wird mit Fences und seinem lässigen Bassgroove in Verbindung mit tanzbarem Rhythmus noch ein wenig mehr Experimentierfreude proklamiert, die sich schon im Aufbau von Let The Flames Begin mit einer Melodie, die mich immer wieder an Death Cab for Cuties Transatlanticism erinnert, andeutet, ehe zum Abschluss mit Born For This wieder gewohntes Terrain betreten wird.
Dass jenes in diesem Stadium der Bandentwicklung irgendwo zwischen polternder Abrechungshymne und weinerlicher Identitätskrisenballade liegt, ist zwar im guten alten Pop-Punk weder Novum noch Schandtat, doch fehlt es dem Quartett aus Tennessee letztlich doch noch am gewissen Wiedererkennungswert, der Kollegen wie Blink-182, Fall Out Boy oder eben auch Avril Lavigne in ihren seichtesten Momenten noch eine gewisse Anziehungskraft verleiht. Mit dem nächsten Album, gleichbedeutend mit dem nächsten Schritt in Sachen musikalischem Ausverkauf, sollte dies aber ohnehin besser werden, Williams nur noch ein kleines bisschen vom kleinen Pop-Stardom, ähm... endgültigen Ausverkauf entfernt sein.