von Kristoffer Leitgeb, 22.09.2016
Paramore auf "erwachsen", also mit vielen Ideen, wenigen Treffern und Hang zur Selbstüberschätzung.
Wo doch gerade letzte Woche mit "Mother's Milk" erörtert wurde, was es nicht bedeuten kann, wenn ein wichtiger Musiker plötzlich zu einer bestehenden Band stößt, könnte man doch hier gleich das Gegenteil analysieren. Denn ironischerweise ist ausgerechnet das self-titled Album von Paramore das, auf dem erstmals nicht mehr in der klassischen Besetzung musiziert wurde. Und dass mit dem zwangsweisen Abgang der Farro-Brüder, immerhin Gründungsmitglieder, plötzlich eine komplett andere Band dastehen könnte, ist offensichtlich. Nicht umsonst war einer davon Co-Songwriter. Ein bisschen erweckt es diesbezüglich auch den Eindruck eines Machtspielchens, wenn Josh Farro einfach so entfernt wird und dann nachtritt, indem er die Band als gekünstelt und reine Hayley-Williams-Show bezeichnet. Aber das ist Geschichte, vorbei, Schnee von gestern und irrelevant für die vierte LP der Band. Wäre da nicht der Sound, der anderes vermuten lässt.
Und das a priori nicht unbedingt in negativer Hinsicht. Erstens ist Veränderung ja immer etwas Begrüßenswertes - Ha. Ha. Ha. - und zum anderen ist der Emo-Alternative-Rock, in den sich die Band mit dem Vorgänger manövriert hat, auch ein bisschen eine Sackgasse, aus der man raus muss, sofern man nicht an der eigenen Klischeehaftigkeit zerbrechen will. Aber es war eben auch ihr klar bestes Album, das sie da mit "Brand New Eyes" herausgebracht haben und gerade die emotionalere Seite hat überzeugt. Insofern eine klassische Münze mit zwei Seiten, die nicht ganz zu Gunsten der Band fallen dürfte, als dass von der berührenden Emotion eines Tracks wie Misguided Ghosts nichts geblieben ist. Stattdessen leben Paramore auf und erfinden sich neu in einer Mischung aus Power Pop, New Wave und diversen Genreanleihen, die sie irgendwo zwischen Blondie, den Yeah Yeah Yeahs und der eigenen Vergangenheit und den Charts platziert. Das kann gut klingen beziehungsweise tut es das zum Start eigentlich auch. Fast In My Car wirkt zwar mit dem klobigen, übermäßig lauten Beat und dem schrillen, stupid getexten Refrain etwas dumpf, aber der in Maßen röhrende Riff und die eingängige Hook sind Zutaten, die zusammen mit Hayley Williams' charismatischen Performances immer funktionieren.
Nach diesem Muster könnte man ein sehr einfach gestricktes, wohl aber wirksames Album zimmern. Man will anderes und zugegebenermaßen ist die schiere Menge an unterschiedlichen Einflüssen und Ansätzen, die hier verarbeitet werden, durchaus bemerkenswert. Abgesehen von der offensichtlichen Nähe zu New Wave und Post-Punk kokettiert die Band mit straightem Synth-Pop, Gospel, R&B, Folk, ja sogar dem Post Rock und traut sich zwischendurch noch dazu fast mit Reggae-Rhythmen daherzukommen. Blöderweise wirkt man bei all diesen ehrenwerten Versuchen dazu verdammt, die starken Ansätze viel zu oft zu vernichten, in dem man nerviger Überdrehtheit, mäßiger Lyrik oder schlichter langatmiger Langeweile verfällt. Kaum etwas endet so lahm und kitschig wie die süßliche Ballade Hate To See Your Heart Break, der das hohe Gesäusel von Williams, das Xylophon und die klobigen Streicher als gemeinsamer Todesstoß dienen. Da geht gar nichts, was sonst noch nicht einmal wirklich vom finalen Future gesagt werden kann. Und da kann es schon sein, dass es imponiert, wenn eine Band, die anno dazumal wie ein zweites Fall Out Boy geklungen hat, plötzlich im ausgedehnten, formarmen Post-Rock herumexperimentiert. Tatsache ist nur, nach dem spannungsfreien Akustikbeginn erwartet einen nichts außer dröhnenden Gitarrenwänden, die keine Wirkung außer Befremdung entfalten.
Sucht man in der Tracklist weiter, findet man stattdessen hauptsächlich einen Haufen Durchschnittlichkeiten mit Potenzial oder aber solide Resteverwertung des ehemals souverän abgewanderten musikalischen Terrains. Was zum Beispiel wirklich mit Now anzufangen ist, bleibt etwas im Dunkeln. Den Drive, den die Leadsingle mitbringt, kann zwar keiner verhehlen, dass der von Gitarrenwänden umrahmte Refrain aber spätestens beim zweiten Mal und hauptsächlich wegen des zu einem schrillen "Na-a-a-a-a-a-a-au" verunstalteten Titels nervt, ist genauso deutlich. Und dass der anfängliche Surf Pop von (One Of Those) Crazy Girls trotz raschen Abwanderns in Richtung passablen Pop-Rocks mitsamt Streichern eher auf der harmlosen Seite angesiedelt ist, genauso wie es Be Alone oder die etwas gar optimistische Hymne Daydreaming sind, hilft auch nicht unbedingt in der Gesamtrechnung. Wobei man hier zumindest an einem Punkt ist, wo ein stabiles und passables Gerüst für die LP gebaut wird, während einen der abgehackte Synth-Pop von Grow Up an eine fokusfreie und pflichtschuldig mit Rock vermählte Version von Chvrches erinnert.
Nichtsdestoweniger ist da schon einiges, was in Ansätzen gut klingt. Dass geht sogar so weit, dass man das nicht ganz ernst gemeinte Ukulele-Interlude Moving On als erfrischende Abwechslung empfindet, auch wenn die Tatsache, dass es noch zwei andere von der Sorte gibt, nur die Tracklist unnötig verlängert. Trotz leichter Anpassungsschwierigkeiten meistert die Band aber beispielsweise die schwierige Aufgabe, die Madonna-esquen - think Holiday, not Frozen - Synth-Pop-Strophen mit dem bandtypischen Rock in den Refrains und sogar noch einem ausgedehnten Gospel-Intermezzo zu verbinden. Das daraus entstandene Ain't It Fun ist, abgesehen vom ansehnlichen Text, kein ausgewiesener Höhepunkt in der Karriere der Band, aber für bemerkenswerte Minuten ist auf alle Fälle gesorgt. Tatsächlich ist es aber so, dass die deutlichsten Reminiszenzen an die alten Tage am ehesten funktionieren. Last Hope bestätigt das trotz unnötig theatralischer Tendenzen in der Bridge, Proof untermauert es dann endgültig felsenfest. Da ist plötzlich wieder der verloren gegangene Nachdruck zu spüren, der trotzdem nicht vom lockeren Grundton der LP abweicht und sich als erfrischend direkte Liebeserklärung erweist: