von Kristoffer Leitgeb, 14.11.2020
Den (Rap-)Rock einmal durch den Weichspüler gejagt und damit auf dem scheintoten Puls der Zeit.
Ich bin womöglich der einzige Mensch dieses Planeten, der das behaupten würde, aber irgendwie, auf eine durchaus merkwürdige Art, faszinieren mich Papa Roach. Weil es sich einfach nie wirklich ausgeht, wenn die Band mal wieder mit einem Album auftaucht. Weil man sich jedes Mal denken muss: Ihr habt da doch diese zwei, drei Songs die vollkommen passen, und dann macht ihr den Rest? Weil immer wieder an ein paar Schrauben gedreht wird und man ein bisschen anders klingt als davor und trotzdem immer die gleichen Fehler bestehen bleiben. Und weil die Band seit nunmehr 20 Jahren immer den neuesten Entwicklungen im Rock nachläuft, sie halbherzig umsetzt und damit irgendwo hängen bleibt, wo man ein bisschen nach sich selbst klingt, ein bisschen Weiterentwicklung betreibt und ein bisschen den Schlamm des Mainstream einbaut. Da kann dann auch nicht wahnsinnig viel herausschauen bei der Herangehensweise. Es ist aber dann eben doch beeindruckend, dass da so offensichtlich Herzblut drinnen steckt, dass die schon mit Leidenschaft an die Sache gehen und auch bei jeder LP wieder stellenweise zeigen, was auch ginge. Dass man beides immer und immer wieder zusammenbringt, ist einfach wirklich... merkwürdig. "Who Do You Trust?" ist es auch.
Die LP wäre auch hinreichend mit dem obigen Absatz beschrieben. Es gibt die guten Momente, die schrecklichen, die zumindest schemenhaft nach alten Papa-Roach-Tagen klingenden, die nach neuen Einflüssen riechenden und vieles, was irgendwo dazwischen steckt. Damit beenden die US-Amerikaner das Jahrzehnt auch eigentlich genau so, wie sie es 2012 mit "The Connection" eröffnet haben. Und trotzdem sieht man sich auch hier wieder mit dem Paradoxon konfrontiert, dass eigentlich alles wie immer ist bei denen und sie doch irgendwie komplett anders klingen. Natürlich ist es immer noch Rock, immer noch das Gemisch aus Rap und leidenschaftlichen, aber dann doch kaum zündenden Gesangseinlagen von Jacoby Shaddix und immer noch der Kampf mit der irgendwann aufgeschnappten Zuneigung zu elektronischen Hilfsmitteln. Diesmal ist das aber alles selbst in den härtesten Momenten sanft wie nie davor, klingen die Riffwände abgeschliffen und jegliche Aggressivität höchstens auf halbe Zylinderzahl gedrosselt. Leadsingle Who Do You Trust? verdeutlicht das, spielt sich zwar auch mit kantigen Akkorden, wuchtigen Drums und Shaddix' gewohnt abgehacktem, hingerotztem Rap, vermengt das aber mit Autotune-geplagten Pre-Choruses und mit fast gemächlich runtergespielten Strophen, in denen höchstens Shaddix selbst aggressiv klingt. Der ist es auch, dem man es zu verdanken hat, dass der Song auch dann ordentlich am Leben bleibt, wenn man die wuchtigen Gitarrenparts in den Refrains gerade nicht zu hören bekommt. Dann kann der Song nämlich doch wieder einiges, gräbt sich zwar nicht gerade melodisch, dafür aber durchaus wuchtig ins Ohr.
Man kämpft aber nichtsdestotrotz mit der allzu ungefährlichen Soundkulisse, die alles abseits des Frontmanns etwas kraftlos wirken lässt, wenn es das nicht sollte. Gerade zu Beginn der LP, wenn man mit The Ending, Renegade Music und Not The Only One einem soliden Songtrio begegnet, merkt man, wie vor allem die härtere Seite der Band leidet. Unter der Hinwendung zu synthetischen Sounds, unter der spannungsfreien Aneinanderreihung stumpf zu Tode produzierter Riffs und unter einer Botschaften, die über nicht mehr als einen zum festivaltauglichen One Liner kaum hinauskommen. Lässt man die textliche Baustelle, die immer schon da war und doch nie Probleme gemacht hat, weil nie viel an Tiefgang erwartet wurde, einmal beiseite, kämpft man mit nicht ausgeschöpften Potenzialen.
Unabhängig von der spezifischen musikalischen Ausrichtung einzelner Songs konnten Papa Roach doch immer noch auf ein paar Songs bauen, die die Wut von Shaddix in aggressiver Manier eingefangen haben. Sei es in den Anfangsjahren mit etwas wie Blood Brothers, Walking Thru Barbed Wire oder Blood oder eben im vergangenen Jahrzehnt mit Silence Is The Enemy, Warriors oder Crooked Teeth. Diese zwischen Nu-Metal und mitunter elektronisch verstärktem, straight-forward Hard Rock steckenden Aggressionsbrocken waren immer wieder Überlebensgarantien für die Band, mögen rundherum noch so durchschnittliche Songs versammelt gewesen sein. Davon ist hier aber keine Spur. Nach durchschlagender Power, mitreißend kraftvollem Rock oder ähnlichem sucht man hier lange und wird nie fündig. Einziger derartiger Ausreißer ist reichlich spät das am Punk andockende I Suffer Well, das die Band aber komplett am falschen Fuß erwischt und trotz nicht zu leugnender Extraportion Energie unbequem hölzern und akzentfrei klingt. Man kann natürlich eineinhalb Minuten einfach nur musikalisch Wände einreißen und das kann unpackbar großartig sein, hier ist es das nicht, weil die Band das in der Form nicht drauf hat und insbesondere mit den umgebenden Songs absolut nichts dafür sorgt, dass man den Track ernst nehmen könnte.
So ist man letztlich damit konfrontiert, dass die eindeutig besten, der Mäßigkeit entfliehenden Minuten absolut keine aggressiven oder wütenden sind, sondern stattdessen gar solche, die an fast verweichlichtem Pop-Punk andocken. Mittendrin kommen sie einem unerwartet in Form von Come Around und Feel Like Home entgegen. Wovon beide profitieren, ist einerseits die stilistische Passform auf schon eher melancholisch angehauchte Texte und andererseits ein Sound, der mit der wenig Kanten erlaubenden Produktion ungleich besser harmoniert als die lauwarmen Härteeinlagen und der von elektronischen Einlagen verschont bleibt. Da greifen dann die einzelnen Rädchen besser ineinander, sodass Shaddix' gesungene Vocals ungleich passender wirken als seine über zu Tode entschärfte Härteeinlagen gelegten Raps und man nicht in diesem Uncanny Valley von Härte und Pop, von Aggressivität und weichgespültem Sound gefangen ist. Herzlich soft ist es zwar immer noch für eine Band, die sich gern harten Rock auf die Fahnen schreibt, aber hier immerhin konsequent durchgezogen und verdammt stimmig.
Dass neben diesen qualitativen Ausreißern und dem Haufen mittelmäßigen Rock-Zeugs auch wirklich, wirklich unstimmige Dinge drin sind, bekommt man natürlich auch sehr schmerzlich mit. Und das eigentlich so deutlich wie schon seit längerem nicht mehr bei Papa Roach. Verantwortlich dafür sind merkwürdige Soundspielereien, die die Band in eine wirklich ungute Nähe zu den Imagine Dragons rücken und zu den grausam verunstalteten Elektronik-Refrains mit miserabel klingenden Chants von Elevate oder Top Of The World führen. Insbesondere letzterer ist nahe dran, als von Dan Reynolds an die Chartspitzen gesungener, musikalischer Autounfall durchzugehen. Da sind sie dann wieder, diese fragwürdigen Tracks, bei denen man sich fragt, wie es seitens Shaddix und seiner Mitmusikanten eigentlich zu solchen Geschmacksverirrungen kommen kann, wenn doch direkt daneben gute Songs warten. Warum muss auf ordentliche Rocktracks dieser merkwürdige hymnische, übersteigerte und klanglich komplett zugekleisterte Synth-Pop-Rock folgen? Niemand weiß es. Genauso wie keiner sagen kann, warum die Band glaubt, die einzige wirkliche Ballade des Albums, Problems, und damit eine gewohnt stehsatzlastige Emotionsentladung in das charakterschwächste und unatmosphärischste, denkbare Gewand zu pressen. Komplett akzentfreies Klaviergeklimper, darüber dröhnendes, helles Gitarrenzupfen, synthetische Beats und ein hemmungslos verunstalteter Gesang sind kein Rezept für gefühlvolles Musizieren.
Ähnlich sicher lässt sich sagen, dass die hier versammelten zwölf Songs nicht gerade die Zutaten eines großartigen Albums sind. "Who Do You Trust?" ist eher das Ergebnis einer fehlgeleiteten Weiterentwicklung, die die Band schon auf dem vorangegangenen Album näher an elektronisch gestützten Pop-Rock gebracht hat. Hier taucht man darin endgültig voll ein und lässt musikalische Muskeln bestenfalls alibihalber spielen. Die dominante Rolle gehört jedoch eigentlich den Produzenten, die ihre beeindruckende Expertise aus Jahren an Arbeit mit Leuten wie Avicii, 5 Seconds Of Summer, Maroon 5 oder All Time Low einfließen lassen, um die Band von jeglichen Kanten und jeglicher Härte zu befreien, selbst wenn im Hintergrund eigentlich wuchtige Drums und Gitarrenparts zu erahnen wären. Solcherlei dürfte aber anscheinend auch nicht erwünscht gewesen sein, sodass man sich hauptsächlich mit diesem unbequem Gemisch zufrieden geben muss, in dem letztlich nichts wirklich zur Geltung kommen kann außer die altbekannte Durchschnittlichkeit, die aber diesmal klanglich noch fragwürdiger erscheint und noch mehr Totalausfälle hervorbringt als sonst.