von Kristoffer Leitgeb, 25.03.2017
Die musikalische Manifestation der Unwesentlichkeit. Aber mit Riffs!
Günther Paal, besser bekannt unter dem Künstlernamen Gunkl und seit dem Anbeginn von "Dorfers Donnerstalk" ganz eindeutig Österreichs Experte für eh alles, hat einmal in seinem philosophischen Drang belehrend festgestellt: "Was verschiedene philosophische Schulen über das Nichts zu sagen haben, ist geschwätzig, unseriös und weit am Thema vorbei. Das Nichts, das wahre, reine, mathematisch absolute Nichts ist eigenschaftslos. Und zwar in einem Ausmaß, dass wir nicht einmal sagen könnten, es wäre wahr, rein oder mathematisch absolut. Ja, sogar die Bezeichnung 'eigenschaftslos' beschreibt schon zu viel Eigenschaft von diesem Nichts." Dem ist soweit nichts hinzuzufügen, außer dass dadurch dem Review ein bisschen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, weil Papa Roach und ihre auf CD verewigte Liedkonglomerate diese charakteristische Nichtigkeit verkörpern und also dann doch nicht zu beschreiben wären. Netterweise folgt aber noch die Bemerkung: "Dieses Nichts entzieht sich der Betrachtung, weil es nicht existiert." Das, was die US-Amerikaner 2004 herausgebracht haben, existiert aber, ergo muss sich über "Getting Away With Murder" doch noch ein wenig sagen lassen.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass die primäre Eigenschaft einer LP von Jacoby Shaddix und seinen weniger vertrottelt benannten Kollegen immer noch die der Einförmigkeit ist. Darüber lässt sich genüsslich schwadronieren. Vom die Charts erkletternden "Infest" hin zu ihrem vierten Album hat die Band ja eigentlich eine Metamorphose hingelegt, die Veränderung garantieren sollte. Kein Rap mehr, kein Hip-Hop; bye, bye Nu-Metal! Vollkommen nachvollziehbar, nachdem man in selbigem fast komplett austauschbar geklungen hat. Jetzt ist man irgendwo zwischen Hard Rock und Alt Metal gelandet und trotzdem, das klingt alles austauschbarer denn je. Und das mündet in diesem immerwährenden Stolperstein zwischen Shaddix und einem guten Album: Diese unpackbare repetitive Qualität beinahe aller seiner Songs. Jedes einzelnen hier. Selbst das taufrische Blood, das als Eröffnung für fast vierzigminütige Belanglosigkeit herhalten muss, endet in einer Endlosschleife eines Refrain-One-Liners, dessen Halbwertszeit nicht mit der von Plutonium zu vergleichen ist.
Sowas ist sch...ade, weil in manchen Tracks hier tatsächlich die Möglichkeit für viel mehr stecken würde. Durchaus auch, weil Shaddix als neuerdings gesanglicher Purist gar nicht einmal so schlecht klingt, verglichen mit seinem früheren rappenden Ich. Hauptverantwortlich dürfte allerdings sein, dass man die Energie von "Infest" in den Drums und vor allem der Arbeit von Gitarrist Jerry Horton durchaus konservieren konnte, gleichzeitig mit der kernig-glatten Produktion von Howard Benson aber eine vielleicht sogar bessere Umsetzung gelungen ist. Zumindest steht dieses geschliffene Metal-Gewand den meisten Riffs nicht schlecht, selbst wenn man wie in Getting Away With Murder mit leichtem Drall in Richtung Industrial einen Schritt zu weit macht. Das endet, der Monotonie sei Dank, etwas nervig, kommt aber im Vergleich zur prüden, inhaltslosen Rock-Szenerie drumherum fast noch einer Frischzellenkur gleich. Nur ein einziges Mal noch kommt der Nachdruck des Beginns wirklich effektiv durch und zwar im nach Mid-90s-Metallica klingenden Be Free, dessen straighter Hard Rock in den abgehackten, kratzigen Akkorden durchaus ein gutes Rezept für kurzweilige Minuten findet.
Gerade dieses Adjektiv verdienen sich hier sonst wenige Tracks. Das Dutzend Songs ist in einem Wort zäh. Die Vierminutengrenze ist zwar dauerhaft in weiter Ferne, bis zur finalen Note ist aber trotzdem vieles bis zum nahenden Verdruss durchgekaut. 08/15-Melodien wie die des trägen Stop Looking Start Seeing helfen da genauso wenig wie die gequält eingestreuten Rhythmuswechsel von Blanket Of Fear. Beides führt einen nicht zum Ziel eines ansehnlichen Rocksongs vermeintlich depressiver Prägung. Von Düsternis ist zwar im polierten Gewand ohnehin keine Spur mehr, den schmerzgetränkten Texten von Shaddix ist aber auch mit seinem Hang zur Wiederholung nicht geholfen. Kurz umrissen, würde es allen Beteiligten gut tun, entweder auf Punk zu machen und nie mehr als zwei Minuten für einen Song zu verbrauchen, oder aber einen Weg zu finden, wie aus den kitschigen Zupfern im Intro von Sometimes und den metallischen Klängen im Titeltrack mehr als harte Einheitlichkeit zu gewinnen ist. Ebenso kurz angebunden das Fazit, dass so etwas wie Scars nicht die Lösung ist. Vielleicht wäre die treffendste Beschreibung die, dass nicht sicher ist, ob der allzu klischeehafte Schmachter an die Ehemalige nicht doch besser klingen würde, hätten ihn Nickelback aufgenommen. Das heißt ein bisschen was. Auf alle Fälle, dass Shaddix' wenig individuelle Zeilen weder den trägen Pop-Rock mit vorgeschobener Gitarrenarbeit noch eine Extraportion Kitsch brauchen, um sich halbwegs zu entfalten.
Das Gegenteil ist der Fall, wobei seit... immer klar ist, dass man sich seinen Texten ohnehin nicht über Gebühr widmen muss. Kaum zu glauben, aber diese gepeinigte Seele bringt letztlich gelungenere Hooks heraus als Lyrics. Bei Nico war es umgekehrt, deswegen darf die auch Legende sein. Papa Roach sind indes damit beschäftigt, die Unterdurchschnittlichkeit vieler zu ausgedehnter Songs durch a) gute Gitarrenarbeit und b) Konditionierung auf die gelungensten Melodiehappen zu kompensieren. Geht auf, wenn man sich Blood anhört, ähnlich sieht es mit Done With You aus, dessen Refrain sich schnell genug einprägt, trotz der nicht ganz zu klärenden Botschaft hinter dem Geschrienen: "Help me, save me, tell me that the end is near / I am done with you."
Vielleicht will man es nicht wissen. Auf alle Fälle hat die LP eigentlich die Riffs, um nachhaltig zu überzeugen. Take Me oder Tyranny Of Normality wäre das Potenzial gegeben, zu einem der besten Songs der Band zu werden. Viel wird, auch trotz starker Drums im zweiten, nicht daraus, dazu ist die Ausdauer einfach zu bescheiden. Das wiederum könnte durchaus auch an der eingangs gelobten Produktion liegen. Die sorgt nämlich für angespannte Trommelfelle und muskelbepackten Sound, lässt aber die Konturen verschwimmen, sodass die Tracks wie ein Ei dem anderen gleichen.
Dementsprechend ist "Getting Away With Murder" eine einigermaßen spannungslose Geschichte. Einiges an Kraft steckt in beinahe der gesamten Tracklist, aber nach interessanten Einsichten oder kompositorischen Finessen sucht man mehr denn je umsonst. Stattdessen regiert dreiminütiges Recycling, das nicht einmal gewillt ist, einem wirklich auf die Nerven zu gehen. Eher noch ist die ganze Partie das, was man dem Wortsinn nach als sinnlos bezeichnen könnte, gäbe es nicht zwei, drei Tracks, die sich diesem Urteil entziehen. Auch das geht nur, weil Shaddix und Bassist Tobin Esperance beim Schreiben über ein paar starke Hooks gestolpert sind. Wie jedes Mal bei Papa Roach und wie jedes Mal bleibt man im geschlagenen Mittelfeld über. Aber das ist ja nicht Nichts.