von Kristoffer Leitgeb, 13.05.2021
Brachial ohne Wenn und Aber, damit im Kampf gegen die eigenen Dämonen, aber auch gegen die Langzeitwirkung.
Grammatik, liebe Kinder, heute geht es um die Grammatik! Ich weiß, ich weiß, da kommt bei euch allen große Freude auf. Immerhin wird es aber auch wirklich spannend, es geht um die Komparation. Die Lateiner wissen, was da auf sie wartet, die übrigen, ungebildeten Dolme fangen eventuell mit dem Begriff Steigerung mehr an. Gesteigert werden bevorzugt Adjektive, auf dass man irgendwann beim Höhepunkt, dem Superlativ ankommt. Immer wieder ein schönes Gefühl, wenn man denn vom ultimativ Schlechtesten, Besten, Schönsten, Schlimmsten oder auch nur Sonnigsten sprechen darf. Nun gibt es findige Geister, die darum wissen, dass der Superlativ meinetwegen die Maximalform eines Adjektivs sein kann, es damit aber noch in Wahrheit definitiv nicht genug ist. Und die brauchen dann etwas, was es eigentlich in der Theorie gar nicht geben dürfte: Den Hyperlativ. Je nach sprachlicher Finesse spricht man dann virtuos vom "Optimalsten", obwohl ja das Optimale schon das Optimum ist, oder vertrottelt vom "Bestesten." Na, jedenfalls gibt es selbst abseits der gepflegten Umgangssprache Fälle, da kommt man einfach nicht an ihm vorbei. Beispiel gefällig? Bittesehr: Pantera waren mit "Vulgar Display Of Power" nicht nur mit das Beste, was der Metal damals zu bieten hatte, sondern auch auf einem Höchstlevel der Brutalität angelangt. Und doch, die Brutalsten, die der Masse gerade noch zuzumuten waren, wurden noch brutaler.
"Far Beyond Driven" heißt dieser im kommerziellen Mainstream ziemlich beispiellose Overkill an metallischer Wucht und klanglicher Kompromisslosigkeit, der keine Sekunde auch nur die geringsten Anstalten macht, sich irgendjemandem anzubiedern. Unabhängig davon, dass auf dem Vorgänger immer noch in höchstem Maße der Groove und vor allem Dimebag Darrells Virtuosität am Sechssaiter bedient wurden, war das schon eine eindringliche Zurschaustellung des musikalischen Vorschlaghammers, einer unerbittlichen Maximaldröhnung der Wut, der Aggression und der Härte. Eine Steigerungsmöglichkeit dessen lag also nicht wirklich nahe, beeindruckt also für sich genommen enorm. Dafür verantwortlich ist sicherlich nicht ausschließlich, dass man die Geräte tiefer denn je gestimmt hat, sondern wohl auch das zumindest zu Beginn noch einmal angezogene Tempo, die eingeflochtenen schrillen Verzerrungen und Phil Anselmos verrohtes Geschrei. All das sorgt dafür, dass Opener Strength Beyond Strength einem entgegenwummert, auf dass die Trommelfelle zerspringen könnten. Die gebotene Extremform des Metal galoppiert einem mit Höchsttempo fast davon, hinterlässt aber vor allem wegen ihrer wuchtigen, dröhnenden, krachenden Machart, der bewusst erbarmungslos unschönen Produktion einen gewaltigen Eindruck. Man fühlt sich beinahe erdrückt, jedenfalls ein bisschen in der Standhaftigkeit getestet und doch mitgerissen von der Unmenge an Energie und Kraft, die einem da begegnet.
Nun ist das an sich schon fast das angestammte Handwerk der US-Amerikaner, sodass man vermuten könnte, eine Fortsetzung der glorreichen Vorstellung, die man zwei Jahre vorher abgeliefert hat, wäre anstandslos möglich. Man muss sich von diesem Gedanken ein bisschen verabschieden. "Far Beyond Driven" ist noch kompromissloser und brachialer, macht keine Gefangenen, findet darin aber große Qualität und spürbare Schwächen gleichermaßen. Denn auch wenn man Vinnie Pauls manisches Getrommel und Dimebag Darrells beschlagene Riffkünste immer noch durchgehend gerne bestaunt, sind die Finessen und Abstufungen ein bisschen verloren gegangen. Stattdessen ist unabhängig vom einen oder anderen Tempowechseln eigentlich bis zum aus der Reihe tanzenden Closer, dem Cover von Black Sabbaths Planet Caravan, alles ein einziger greller, wutgetränkter Rot-Ton. Keine Schattierungen, keine Varianten, ein großer Block des durchdringenden Lärms. Und diesmal mutet es, anders als auf dem fast genauso hämmernden, aber trotzdem musikalisch verdammt unterhaltsamen Vorgänger, wirklich ein bisschen wie purer Lärm an.
Der Vorteil dessen ist, dass all das aufgeht, was einfach nur mehr darauf aus ist, die Skalen zu sprengen. Becoming ist ein dermaßen schwergewichtiges, alles niederwalzendes Trumm, dass man irgendwann fast darauf vergisst, wie göttlich eigentlich die schrillen, schon das Intro prägenden Einsätze von Dimebag Darrell als Kontrast zum dröhnenden Rauschen der Riffwände sind. Eine ähnliche Überdosis dieser Band bekommt man dann erst relativ spät mit einem da schon unerwartet potenten Doppelpack, bestehend aus Use My Third Arm und insbesondere dem großartigen Throes Of Rejection, seinen High-Speed-Drums und der erstklassigen Bassline geliefert. Das sind die Minuten, die im besten Sinne an vorangegangene Großtaten wie Fucking Hostile oder Shattered und deren alles durchdringende Stärke erinnern.
Jetzt ist es aber so, dass es noch andere Songs gibt. Und die versanden insbesondere in der Albummitte in einer schwierigen Mäßigkeit, weil sie das Tempo drosseln und sich zwar wuchtig, aber irgendwie doch akzentarm dahinschleppen, damit auch die Härte und definitiv keine Songlänge von sieben Minuten wie die von Hard Lines, Sunken Cheeks rechtfertigen. Da ist man dann eher ermüdet von der einbetonierten Härte der Band, von Anselmos diesmal ziemlich undefinierbarem, schwierig gepresst klingendem Geschrei und, selbst wenn es Gotteslästerung gleichkommt, sogar Dimebags Einlagen, weil sie nicht den nötigen Platz finden, um wirklich knackig und prägnant zu sein. Stattdessen ist es eine einzige Riffwand, die einem da minutenlang entgegenschallert, Drums hin, Bass her, die noch dazu von den kratzigen Vocals noch eintöniger gemacht, anstatt irgendwie durch einen anderen Klang akzentuiert wird. Natürlich ziehen die das so ohne jegliches Zucken, ohne jedes Zurückweichen durch, dass es immer noch eine imposante Vorstellung ist. Trotzdem marschiert diese feste musikalische Einheit im Fall von I'm Broken oder Slaughtered ein bisschen gar einförmig und wenn schon nicht träge, dann doch irgendwie effektarm dahin. Das Heil findet man in erstklassigen Riffs und Soli, das war es da aber ganz schnell mit der Herrlichkeit.
Und weil dann eben noch so etwas wie ein zwar durchaus passabel intoniertes Cover von Planet Caravan, diesem schon bei Black Sabbath untypisch ruhigen, trippigen, psychedelisch angehauchten Ding, daherkommt und sich so strikt an das Original hält, dass man zwar dessen immense Qualität im Hinterkopf hat, sich aber trotzdem immer nach dem Sinn fragt, ist das Gesamtbild zumindest etwas getrübt. Dem gegenüber stehen immer noch die oben erwähnten Hammerschläge, die man nicht vergessen wird, genauso wie insgesamt zwar weniger erinnerungswürdige Texte, aber immer noch ein paar dieser Sorte wie bei 25 Years. Deswegen ist "Far Beyond Driven" sicher kein Zeichen von Schwäche, allerdings sind Einbußen gegenüber den beiden vorangegangenen Klassikern spürbar. Und letztlich sollte es ja auch der kommerzielle Höhepunkt der Band, trotzdem aber auch irgendwie der Anfang von ihrem Ende sein, auf den interne Spannungen, Anselmos Drogensucht und ein schwieriger musikalischer Schwenk folgen sollten. Was dennoch bleibt, ist die Steigerung des Brutalsten, was man sich vorstellen konnte. Wie auch immer man das dann bezeichnen will.