Too Weird To Live, Too Rare To Die!
Veröffentlichungsdatum: 08.10.2013
Rating: 4.5 / 10
von Kristoffer Leitgeb, 16.05.2020
Zu fad zum leben, zu penetrant zum sterben. Eine Fehlentwicklung in Synth-Dur.
Es wird der letzte Review zu ihm, ich schwöre es an dieser Stelle hoch und heilig. Die Hater mögen einwenden, dass ich es mir damit ein bisschen gar einfach mache, weil es glücklicherweise das letzte aktuell der Welt bekannte Album ist, das von Brendon Urie federführend gestaltet und verunstaltet wurde. Sollte er uns noch eines liefern, wird es das aber trotzdem gewesen sein. Denn irgendwann reicht es, auch wenn der aktuelle Tiefpunkt seiner Karriere mit "Pray For The Wicked" immerhin schon abgehakt wurde. Aber dort, wo nicht ganz unten ist, ist es deswegen im Urie-Universum trotzdem nicht auf einmal super. Dafür ist der US-Amerikaner, der irgendwann einmal, vor ewigen Zeiten, ganz kurz an der vordersten Front der letzten, verzweifelten Erfolgswelle des Pop-Punk stand, mittlerweile zu weit davon abgedriftet und eingetaucht in dröhnender Aufdringlichkeit und Oberflächlichkeit. Die Ursprünge dessen liegen sicher in irgendjemandes Psyche begraben, auf solch dünnes Eis wird sich hier aber nicht begeben. Viel eher kann man sich dem zeitlichen Ursprung des endgültigen Abstiegs dieser zur One-Man-Show umgemodelten Band widmen, der unter dem Titel "Too Weird To Live, Too Rare To Die!" ungute Töne anschlägt.
Puh, tief durchatmen, bevor das hier zu einem einzigen Auskotzen verkommt. Um dem zu entgehen, hilft vielleicht auch eine kurze Relativierung, die jedoch lediglich dahingehend erfolgt, dass ja schon mit dem Vorgänger "Vices & Virtues" der Bandzerfall und das musikalische Abdriften in ungute Sphären eingeläutet wurde. Aber damals hielt sich einiges noch in Grenzen, allein schon die Synthetisierung des Sounds war damals nur deswegen eklatant, weil dem das barocke und auch irgendwie angestaubt klingende "Pretty. Odd." vorangegangen war und von diesem Punkt aus jeder Synthesizer-Einsatz wie eine dramatische Änderung hätte wirken können. War der Vorgänger also ein Schritt zurück zur massentauglichen Poppigkeit, ist das hier schon eher die volle Dröhnung. Miss Jackson steht als Leadsingle dahingehend stellvertretend für so manches. Wie laut Urie die ganze LP, ist auch der Platintrack vom Hip-Hop gezeichnet, trägt seinen harten, aggressiven Beat genauso stolz vor sich her wie die mal im Retro-Glitzer aufgehenden, mal schrill kreischenden Elektronik-Beigaben und Samples. Und mittendrin thront Urie, der sich selbst über einzelnen Klaviernoten und karger Rhythm Section noch theatralisch ausbreitet und in seiner gepresst-druckvollen Art Patrick Stumps Einlagen in den neueren Fall-Out-Boy-Auswüchsen nacheifert. Wichtig dabei: Es funktioniert! Einigermaßen zumindest, was damit zu tun hat, dass der Track als partytauglicher Tribut an Janet Jackson seine Aufgaben, eingängig, energiegeladen und hookfokussiert zu sein, ordentlich erledigt, ohne einen mit dem ganzen Drumherum gleich komplett zu erschlagen.
Es hilft da auch eindeutig, wenn die theatralische Melodramatik nicht alles zur Gänze dominieren darf. Sonst kommt nämlich so schmalziger Schrott wie This Is Gospel heraus, der einen mit seinen Marching Drums, den kristallin klaren Klavierakkorden und seinen dröhnenden, verunstalteten Backgroundgesängen mit einer übermäßig lauten Form des Glam-Kitschs nervt, dass es beinahe weh tut. Umso mehr, weil Uries darin eingebetteter Text nicht weniger über jegliche emotionale Stränge schlägt. Damit ist man dann qualitativ etwas eher zum Kern des Albums vorgedrungen, auch wenn dieser ehrlicherweise irgendwo zwischen den beiden Single-Polen zu finden ist. Bescheiden ist er dennoch, weil eine glitzernde Synth-Disco-Übung wie Girls / Girls / Boys oder das düstere, ganz entfernt Depeche Mode nacheifernde Girl That You Love einfach kein zu viel, zu laut, zu platt kennen. Alles ist mit Soundbits zugekleistert, mit synthetischen Klängen von vorne bis hinten vollgepackt, sodass nicht einmal mehr Uries ja eigentlich potenziell starke und prägnante Stimme wirklich in Ruhe gelassen wird. Das führt dazu, dass man irgendwo unter all dem schon noch die eine oder andere gelungene Komposition finden könnte, sie ist nur bis zur Unkenntlichkeit überdeckt wie eine Frau unter sieben Schichten Make-Up. Daraus ergibt sich eben so ziemlich nie ein positiver Eindruck. Selbst wenn sowas wie Collar Full die lockere Spielfreude und den Esprit früherer Tage vage andeutet, endet es dennoch auf eine Art, die einem Bubblegum-Teen-Pop der 80er und 90er in Erinnerung ruft. Dass dann irgendwo dazwischen ein paar vielleicht sogar kernige Gitarrenriffs zum Vorschein kommen, ändert daran nicht das Geringste.
Große Überraschung ist es da wohl keine mehr, dass man nicht grad wahnsinnig viel findet, von dem man gar nicht genug bekäme. Eigentlich gibt es davon gar nichts, immerhin aber gibt es eindeutig gute Minuten. Vegas Lights bietet ein paar davon, was hauptsächlich daran liegt, dass sich der Song wie kein anderer hier mit dem Kopf voran dem seichten Ohrwurmdasein hingibt. Klingt nicht großartig, ist es aber insofern, als dass es das ist, was man mit der gebotenen Soundmixtur machen sollte und kann. Insbesondere wenn es wie in diesem Fall abseits des grenzwertig, aber immer noch cool chaotischen Refrains sogar vergleichsweise geordnet und wenig überladen passiert. Da wird schon einmal fast locker klingender Synth-Rock daraus, der ein bissl antreibt und ganz einfach die Basics alle stark hinbekommt. Etwas basic, damit aber genauso auf der Butterseite des Albums, gerät auch Far Too Young To Die. Verglichen mit den umgebenden Songs geht das eigentlich schon als elektronischer Minimalismus durch, was Urie hier in den Strophen veranstaltet. Es tut sich anfangs wenig außer sphärischen Synths und abgehackt hellen Elektronikbits zum Kontrast, irgendwann zerrissen durch dissonant schillernde Keys. Uries ungewohnt gezügelte Performance tut ihriges zum einzigen genuin atmosphärischen Augenblick des Albums, der auch durch einsetzende Gitarrenriffs und auch einen übermäßig aufgeblähten Refrain nicht zunichte gemacht wird.
Damit war es das aber auch schon wieder, weil man sich ansonsten so weit zurückziehen muss, dass man Nicotine und dessen aufdringliche Klangkanonade aufgrund deren eindringlicher Kompromisslosigkeit schon als positives Stück der vorherrschenden Mäßigkeit ansieht. Sowas ist weit über der schleppend-lauten Fadesse des auf allen Ebenen fehlgeleiteten Casual Affair anzusiedeln, aber kein Ruhmesblatt.
Grund zum Feiern bietet einem "Too Weird To Live, Too Rare To Die!" also eher keinen. Brendon Urie schreit zwar mit dieser LP so einiges lauthals in die Welt hinaus, davon ist aber blöderweise nichts irgendwie relevant oder sonderlich gehaltvoll. Und weil das noch nicht einmal in unterhaltsamer Manier aufbereitet wird, sondern man in einer Kakophonie der klanglichen Synthetik untergeht, die selbst die Stimme des Frontmanns erfasst und damit ausgerechnet das, was immer ein positives Alleinstellungsmerkmal der Band war. Daran sollte sich auch zukünftig wenig bis nichts ändern, sodass keine Besserung mehr abseits von einzelnen Lichtblicken in Form weniger Minuten in Sicht ist. Und während dem vierten Album von Panic! At The Disco wohl kaum jemand nachsagen wird, es wäre das schlechteste unter diesem Namen veröffentlichte, ist es dennoch das, das den Weg der "Band" - die danach ohnehin nur mehr Urie plus Begleitmusiker sein sollte - in den musikalischen Abgrund geebnet hat.