von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 03.01.2014
Nevadas frischestes Pop-Punk Ensemble wandelt auf den Spuren der Beatles - mit Erfolg.
Wer hätte vermuten können, dass ausgerechnet eine Pop-Punk Band aus Las Vegas, Nevada den Sound der Beatles aufgreift und anno 2008 tief in die Sechziger eintaucht? So geschehen bei Panic! At The Disco, bei denen man eine derartige Weiterentwicklung mit einem so schwachsinnigen Bandnamen und einem sehr gewöhnungsbedürftigen Debüt eigentlich am wenigsten erwarten durfte. Weg vom Techno-beeinflussten Start mit merkwürdig betitelten Emo-Songs hin zu einer bunten, mit diversesten klassischen Instrumenten verzierten Welt von Pretty. Odd. Was eigentlich nach einem mutigen und durchaus interessanten Schritt aussieht, wirkt nüchtern betrachtet eigentlich wie ein riesiger Fehler. Nach nur einem Album die ganze Fangemeinde durcheinander zu rütteln.
Im Prinzip gleicht das Album einer Spazierfahrt durch einen Märchenpark oder einem drogenberauschten Traum, nach einem 'Wizard of Oz'-Marathon. Wo man auch hinsieht bzw. hinhört zwitschern die Vögelchen und flüstert der Wind. Auf den Spuren von Sgt. Peppers' und Rubber Soul der Beatles marschieren die Jungs rund um Brendon Urie in Richtung Baroque-Pop und lassen die Musik, die sie innerhalb kürzester Zeit berühmt gemacht hatte, komplett hinter sich.
Das Interessante hierbei ist allerdings, dass die Rechnung tatsächlich aufgeht. Gut, fast 50 Minuten und fünfzehn Tracks hätten nicht sein müssen, da hätte man sich den einen oder anderen für eine B-Side sparen oder am besten gleich vergessen können (I Have Friends In Holy Spaces).
Ansonsten überwiegt hier eigentlich Euphorie. Man weiß zwar nicht, woher das scheinbar riesige Budget für eine Riesenpalette an Instrumenten herkommt, aber im Endeffekt interessiert das auch kaum. Denn egal, ob mit dem Cembalo, an der Orgel oder mit angenehmen Percussions, die Burschen (und zahlreiche Gastmusiker) wissen damit etwas anzufangen. Egal, ob She Had The World, Northern Downpour, When The Day Met The Night, oder das zurückgelehnte Folkin' Around, allesamt klasse Kompositionen junger, unverbrauchter Talente. Besonders beim perfekt arrangierten, mit großartigen Bläsern bestückten From A Mountain In The Middle Of The Cabins kommt große Freude auf und erinnert an die Magical Mystery Tour der Fab Four.
Und wenn dann auch noch die radiofreundlichen Singles Nine In The Afternoon oder That Green Gentleman Spaß machen, kann man sich nur freudig die Hände reiben. Da verzeiht man auch gerne, dass die fleißigen Knaben mit dem seltsamen The Piano Knows Something I Don't Know, dem irgendwie unpassenden Opener We're So Starving oder dem von Gitarrist Ryan Ross vorgetragenen Behind The Sea die Substanz fehlt.
Alles in allem steht das zweite Studioalbum der Amerikaner für einen der ärgsten Stilbrüche der letzten Jahre, dem Beweis dafür, dass man sogar als Pop-Punker auch 40 Jahre nach den Beatles eine barock instrumentierte Großtat vollbringen kann, vor allem steht es aber für ein tolles Werk, das man so nicht erwarten konnte.
M-Rating: 9 / 10
Allein interessant zu sein reicht nicht immer für ein exzellentes Album.
Gut, als 2005 Panic! At The Disco daherkamen, war der Pop-Punk-Sektor bereits so voll wie eine U-Bahn zur Stoßzeit. Aber, der Zeitpunkt war der richtige. blink-182 übten die Selbstzerstörung, Fall Out Boy waren noch in trockeneren Sound-Gefilden und die 'Senioren' von Green Day und The Offspring hatten sich in andere Richtungen verabschiedet - alle übrigen vernachlässigen wir hier mal unerhörterweise. Und mit ihrer starken Kombi aus ständig mitschwingender Arroganz, Elektronik-Spielereien und dann doch wieder dem ein oder anderen klassischen Instrument waren die Amerikaner gerade neu genug, um zu gefallen.
Drei Jahre später: Der Punk ist weg, dafür kommt zum Pop in großen Buchstaben Baroque dazu. Ein mutiger Schritt, ein interessanter Schritt, aber nicht zwingend auch ein guter. Trotzdem, der erste Eindruck ist gleichsam verstörend wie imponierend. Da traut sich eine Band auf Albumlänge gut drauf zu sein, nichts als Lebensfreude zu versprühen. Gar nicht zu sprechen davon, dass die Vier - da geb' ich meinem Kollegen gerne Recht - wirklich mit all dem umgehen können, was sie einem so vorsetzen; egal, ob das jetzt Cembalo, Bläser oder dezente Streicher sind. Da gibt’s also viel Grund zur Freude.
Wenn, ja, wenn einem das Ganze in seiner Kuriosität nicht doch irgendwie ein wenig Hörvergnügen vorenthalten würde. Denn neben starke Balladen wie When The Day Met The Night und She Had The World drängeln sich eben auch verzichtbare, alles, nur nicht fesselnde Minuten wie die von Northern Downpour oder We're So Starving, einer Nummer, die so offensichtlich von den Beatles inspiriert ist, dass sie im Vergleich nur untergehen kann. Dazu gesellen sich wirklich befremdliche Experimente, wie die schräge Piraten-Nummer Behind The Sea oder das bei Zeiten lächerlich wirkende Geklimper in From A Mountain In The Middle Of The Cabins. Da muss ich leider sagen, da greifst du daneben, wenn du den Track als Album-Highlight heraushebst.
So kommt's, dass neben dem ohne Frage unheimlich sympathischen Relax-Song Do You Know What I'm Seeing und einem dezent zu pompösen, aber insgesamt strahlenden Beispiel für großartiges Songwriting, When The Day Met The Night, die Tracks die besten sind, die an das Debüt erinnern. Gerade dort, wo Brendon Urie wieder wie ein arroganter Sack klingt, macht er Spaß, dort wo die Gitarren mal Tempo machen, bleibt etwas im Ohr. She's A Handsome Woman, Mad As Rabbits und allen voran Pas De Cheval werden so zu den Top-Songs hier. Denn die aggressive Gitarren-Eröffnung von Ersterem bietet genauso wie die schnellen Keyboards im Zweiten oder die genialen Drums in Pas De Cheval - so gehört eine gelungene Beatles-Hommage gemacht - Dinge, die "Pretty. Odd." zu oft vermissen lässt: Energie und Fokus.
So, zu viel des Schlechten. Die Jungs beweisen Mut und bieten einen gern gesehenen Farbtupfer im manchmal so eintönigen Musikgeschäft. Ihr Ausflug in Richtung Baroque Pop wird zu einer Demonstration als Musiker, nicht aber als Songwriter. Denn allzu oft greifen sie in den so wichtigen Details daneben, wirken schräg statt anziehend. Und doch: "Pretty. Odd." ist zu anders, um perfekt zu sein, aber nicht zu anders, um einem zu gefallen.
K-Rating: 6.5 / 10
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