von Daniel Krislaty & Mathias Haden, 20.09.2014
Nahbarer Texas-Lifestyle, der volle Aufmerksamkeit verlangt.
Okkervil Rivers zweites Studioalbum ist ein schwer zu definierendes, keine Frage. Es passt einfach nirgendwo richtig dazu. Die weite instrumentale Spannbreite legt sich variabel und meist ausreichend überlegt über die geplagten Texte und den noch geplagteren Gesang von Will Sheff. Dieser strahlt in jeder Phase unbeugsames Selbstbewusstsein aus, was die Tatsache, dass er bestimmt nicht zu den besten Sängern unter der Sonne zählt, sehr erfolgreich kaschiert. Es entsteht ein sehr erwachsenes und persönliches Statement, das Okkervil River zweifelsfrei zu einem heißen Eisen der neuformierten – Vorsicht Unwort – 'Americana'-Bewegung mit den Likes der Decemberists, Wilco oder Iron and Wine Anfang der 00er avancieren ließ.
Das kecke It Ends With a Fall spielt mit Sheffs Fähigkeiten Spannung nach Belieben auf- bzw. abzubauen und zeigt bereits früh, wie grandios die schon beinahe symphonische Begleitung in die grundsätzlich an Folk-Rock angelehnten Arrangements einfließen kann. Immer wieder – zumeist nach den eher epischen, bis auf die Zähne bewaffneten Galionsfiguren des Albums – wird auf vergleichsweise minimalistische Songs der Puls wieder heruntergefahren. Jedoch sind auch jene Lieder nicht vollends vor der beeindruckenden Instrumentalgewalt gefeit, wie der Ausbruch des traurigen For the Enemy sehr schön zelebriert. So gut sich diese stillen Wässerchen von Down the River of Golden Dreams auch in ein heterogenes Gesamtbild fügen, sind The War Criminal Rises and Speaks sowie Maine Island Lovers der Reichweite von eher mitreißenden Titeln wie Blanket and Crib oder Song About a Star nicht ganz ebenbürtig. Mag sein, dass sich das Fehlen der melodischen Refrains oder Sheffs zu dünnes Geflüster in den leiseren Gepflogenheiten zum Zünglein an der Waage entwickeln, aber vielleicht sind die ambitionierten Höhepunkte des Albums auch einfach kein fairer Maßstab für die immer noch überzeugenden Titel.
Zu den angesprochenen Peaks gehört mit Sicherheit auch Dead Faces, welches den ersten von zwei wirklich ins Gedächtnis brennenden Banjomomenten zum Besten gibt. Gleichzeitig beeindrucken die Lyrics wie so oft auf der LP und erzählen von der Vergangenheit sowie der sich darin widerspiegelnden Nostalgie, die sehr wohl auch in Kummer getränkt ist. Zumindest ist das meine Sicht der Dinge. Der zweite, weitaus prägendere Banjomoment versteckt sich im Trübsal blasenden Yellow, das sich darüber hinaus aber nicht wirklich als stilles Meisterwerk profilieren kann, wie es das rühmliche, gut 50-sekündige Fingerpicking nahelegt. The Velocity of Saul At the Time Of His Conversion beginnt als Ruhepol ziemlich genau in der Mitte des Albums und entwickelt sich kontinuierlich zu einem wilden Erlebnis, in dem sich vor Allem Sheff und die an ihn geschnallte akustische Gitarre wilden Emotionen hingeben, bevor der nahtlose Übergang zum angesprochenen Dead Faces sehr fein mit kurzer Verschnaufpause inszeniert wird.
Ein fabelhaft konstantes Album, das sich bis auf eine Handvoll kleinerer 'Hakler' wirklich wenig zu Schulden kommen lässt. Und trotzdem, Sheff und sein Gefolge können es noch aufreibender und noch schöner, wie sie es beim darauffolgenden Black Sheep Boy eindrucksvoll beweisen. Für den Moment darf Okkervil River mit Down the River of Golden Dreams aber mehr als zufrieden sein. Sie haben viel Liebe für Details einfließen lassen, welche es noch immer zu ergründen gilt und aufmerksame Hördurchgänge erfordert. 2003 wie 2014.
D-Rating: 8.5 / 10
Eine Horde zivilisierter Texaner zwischen reich instrumentiertem Folk und leichten Popanleihen.
Ach herrje, ein schwieriger Review bahnt sich an. Dabei kann man doch so viel Gutes sagen, über Will Sheff und seine sich stets im personellen Wandel befindende Gefolgschaft von Okkervil River. Trotzdem fällt es schwer, Vergleiche zu ziehen oder das übliche Schubladengestecke aufzufahren. Immerhin obliegt mir heute, die vergleichsweise einfache Aufgabe, die elaborierten Aussagen meines Kenners von Kollegen mit zustimmenden Gesten zu goutieren; wo darf ich unterschreiben? Zumindest ein bisschen Freiheit für eigene Anregungen wurde mir gelassen, so kann ich an diesem Punkt immerhin das bezaubernde Artwork noch positiv herausheben.
Ansonsten höre ich da einiges wie der Vorsprecher: Musikalisch macht die zweite LP der Amis einiges her, ist ganz anders, als man sich das von einer texanischen Institution vielleicht vorstellen würde. Die auffälligsten Elemente: der 'geplagte' Gesang vom Frontmann, der innerhalb eines Tracks gern mal mehrfach die Trendwende von der von Katerstimmung nach einer versoffenen Nacht tönenden Stimmlage, bis hin zu ekstatischen Ausbrüchen schlägt, dazu die Spannungsbögen, die diese Gefühlsschwanken mit sich ziehen und ein wahres Arsenal an Instrumenten, von Hammond Orgel und Wurlitzer zum Mellotron.
Gottseidank meldet sich hier dann auch der eigene Geschmack mal zu Wort. Denn obwohl ich mit dem meisten Gesagten ganz locker unisono gehen kann, muss ich an dieser Stelle doch relativieren. Eine Nummer wie das aufopferungsvoll vorgetragene The War Criminal Rises And Speaks im selben Atemzug mit dem einzigen wirklichen Schandfleck, der biederen Schnarchnummer Maine Island Lovers zu nennen und zu verunglimpfen, grenzt an pure Boshaftigkeit, ich möchte es jedenfalls nicht gelesen haben. Überdies lässt sich das trostlos karge For The Enemy von seinem starkem Finish nicht früh genug aus der Lethargie retten um über bleibende Schäden hinwegzutäuschen, im gleichen Maße unspektakulär bleibt das zarte Yellow, ebenfalls mit unguter Überlänge gesegnet, das trotz seiner vom Kollegen angesprochenen Meriten nicht zu überzeugen vermag.
Andernfalls bewegen wir uns bei Down The River Of Golden Dreams auf weitgehend kongruenten Bahnen. The Velocity Of Saul At The Time Of His Conversion ist eine spannungsgeladene, wilde Achterbahnfahrt durch tiefe Emotionen und die bemerkenswerte Gewandtheit der Erzählkunst, Song About A Star ist der singletaugliche Pop-Song, der trotz folkigem Arrangement den Kompromiss zwischen künstlerischem Anspruch und massenkompatibler Wertevermittlung sucht… und findet. Gut sieht es auch mit den konsensuellen Wertschätzungsbekundungen für die anderen vermeintlichen Highlights aus. It Ends With A Fall ist der nächste muntere Wellenritt durch gegensätzliche Stimmungen und wird von Sheffs fragilster Stimme mustergültig getragen, ebenfalls nicht zu verachten sind das schön aufgebaute Dead Faces und das locker fließende Blanket And Crib.
Den formidablen Schlusspunkt setzt das sträflich übergangene Seas Too Far To Reach, das eine zeitlos verträumte LP voller herbstlich vergänglicher Bilder adäquat schließt und das metaphorische Boot, auf dem man sich die letzte Dreiviertelstunde, vom Säuseln der Wellen und des Windes begleitet, seinen Weg vom Fluss der goldenen Träume hinaus aufs Meer gebahnt hat, irgendwo in der Ferne zum anlegen bringt.
M-Rating: 7.5 / 10
Anspiel-Tipps: