Nina Hagen Band - Nina Hagen Band

 

Nina Hagen Band

 

Nina Hagen Band

Veröffentlichungsdatum: 11.02.1978

 

Rating: 8 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 28.11.2020


Die deutsche Godmother of Punk und eine Band, die mit viel Genie ihrem Wahnsinn Herr wird.

 

Das Leben geht so dahin. Unaufhaltsam und in steter Gleichförmigkeit, ob man das nun will oder nicht. Und so verändert es einen auch beinahe zwangsläufig, ob man das nun will oder nicht. So ist das auch bei Nina Hagen, die heute sicher nicht mehr ganz die ist, die sie vor 40 und mehr Jahren noch war, auch und vor allem nicht in den Augen ihrer Umwelt. In den letzen Jahrzehnten ist die Gute ja trotz beständiger musikalischer Tätigkeit in Wahrheit darauf reduziert, durch merkwürdige Fernsehauftritte von sich reden zu machen, mit absurder Esoterik, Sinn- und Gottsuche und latenten Schwierigkeiten, mit von ihrer eigenen abweichenden Meinungen zurechtzukommen, zu glänzen. So ist ihr weithin anerkanntestes Tätigkeitsfeld seit den 90ern in Wahrheit jenes als erstklassige und einzigartige Synchronsprecherin. Und doch schimmert hin und wieder auch eine imponierende Einzigartigkeit anderer Art durch, eine anarchistische Eigensinnigkeit und Scheiß-Drauf-Mentalität, die an ihre allerbesten Tage erinnert. Jene nämlich, als die DDR und subversive Schlager wie Du Hast Den Farbfilm Vergessen hinter ihr und der Punk vor ihr lagen, auf dass sie sich zumindest im deutschsprachigen Raum zu dessen Godmother aufschwingen konnte. Mit provokanten, Konventionen sprengenden Texten, mit einer beispiellosen Exzentrik und der dafür nötigen, unfassbar eigenwilligen Stimmakrobatik und einer Portion Wahnsinn, die fast schon zu groß war. Wären da nicht Wegbegleiter, die sie musikalisch zu bändigen wussten.

 

Womöglich ist aber auch das schon zu wenig des Lobes für das im Schatten dieser überlebensgroßen Schrägheit der Nina Hagen stehende Quartett, das in Wahrheit fast zur Gänze für die Musik der nach ihr benannten Band verantwortlich zeichnete. Wenig später sollten die vier - Herwig Mitteregger, Reinhold Heil, Bernhard Potschka und Manfred Praeker - als Spliff ohne Hagen selbst richtungsweisend für New Wave bzw. wie man in Deutschland nannte, die Neue Deutsche Welle, werden. Diese Vorreiterstellung begründete sich bereits auf dem gleichnamigen Debüt der Nina Hagen Band, das eigentlich mit dem Punk, den Hagen ideologisch bestmöglich verkörperte, gar nicht so viel zu tun hat. Dafür ist die LP zu vielseitig, ist zwar selbstverständlich vom ersten Ton an mit der für das Genre nötigen Energie ausgestattet, spielt sich aber gleichzeitig mit den Jazz-Wurzeln einiger Bandmitglieder, kreiert schon irgendwie den Terminus Prog Rock verdienende, sphärische Soundlandschaften mit diversen Tempo- und Stilbrüchen und dem reibungslosen Zusammenspiel am Keyboard und der Gitarre. Dazu streift man am klassichen Rock 'n' Roll an und lässt einen Hauch von Funk und Reggae spüren.

An Abwechslung mangelt es also einmal definitiv nicht, was noch zusätzlich dadurch begünstigt wird, dass Hagen selbst es kaum aushält, einen Song lang gesanglich in der Spur zu bleiben und dagegen auf glorreiche Art all ihren exzentrischen Allüren Raum gibt. So kommt es dann auch, dass sich zu ihrem schon an sich ausdrucksvollen, kantigen und oft kompromisslos schrillen Sprechgesang hier und da Pseudo-Operetten-Klänge dazu mischen und von ihr neben kraftvollen Schreien auch mitunter ansatzlos Oktavensprünge zu hören sind. Langweilige Minuten sind so mit absoluter Sicherheit ein Ding der Unmöglichkeit.

 

Ob man die Rastlosigkeit der LP deswegen gleich großartig findet, liegt wohl naturgemäß im Auge des Betrachters und dessen Geschmack. Imposant ist sie jedoch auf alle Fälle und zumindest hier und da erübrigen sich wohl jegliche Zweifel, ob das denn nun gelungen ist oder nicht. Unbeschreiblich Weiblich galoppiert zum Beispiel mit kratzigem Riff und sphärischem Paarlauf der Gitarre und des Keyboards wirklich großartig dahin und harmoniert musikalisch auch in den stockenden Refrains wie wenig sonst hier. Dazu kommt Hagens mit herausragendster Text und angriffiges Plädoyer für die weibliche Freiheit:

"Marlene hatte and're Pläne
Simone Beauvoir sagt: "Gott bewahr!"
Und vor dem ersten Kinderschrei'n
Muss ich mich erst mal selbst befrei'n
Und augenblicklich fühl' ich mich
Unbeschreiblich weiblich
Warum soll ich meine Pflicht als Frau erfüll'n?
Für wen?
Für die?
Für dich?
Für mich?
Ich hab' keine Lust, meine Pflicht zu erfüll'n
Für dich nicht
Für mich nicht
Ich hab' keine Pflicht"

 

Die schizophrene Wandlungsfähigkeit des Albums wird wohl bestmöglich dadurch illustriert, dass einem nur wenige Minuten später Superboy und damit eine Ode an den Typen, dem man schon mit einem Blick nur verfallen kann, nahezu genauso gefällt. Wenig überraschend ist das aber trotz  Hagens sympathischer, verhältnismäßig zurückhaltender Performance eher der Musik zu verdanken. Die landet mit lockerem Groove und erstklassigem Bass sofort im Ohr und bekommt eine starke Balance hin zwischen kleiner exzentrischer Anflüge - der genaue Grund dafür, dass urplötzlich aus dem Nichts für eine Sekunde eine Klarinette unter all den Riffs, Klavierakkorden und Drums hervorlugt, wird nie zu klären sein -  und geschmeidiger rockiger Gelassenheit. Wieder auf einer ganz anderen Ebene trifft einen die atmosphärische, mit kargen Gitarrenzupfern einsetzende Ballade Der Spinner, die sich trotz vereinzelter, vor allem vom Keyboard kommender Misstöne als eindringlich emotional erweist. Hauptverantwortlich dafür wiederum Hagen, die sich auf die Suche nach einem verschwundenen, im Wald als Aussteiger das Heil suchenden Freund macht, der von ihr - Interpretationen sind da erlaubt - wohl zum Ende des Songs nicht im lebenden Zustand gefunden wird:

 

"Du sagst, du musst zum andern Ufer
Die Fähre fährt am naechsten Tag
Ich dachte, dass du tief im Wald wohnst
Ich wusste nichts von deinen Ufern"

 

Es folgt ein stilistischer und gefühlsmäßiger Schwenk nach dem anderen, sodass man den Albumfavorit wiederum im herrlich funkigen Auf'm Bahnhof Zoo findet, dessen Riff nach dem vollkommen in die Irre führenden, proggig sphärischen Intro einfach zu großartig ist, um hier nicht an der Spitze zu stehen. Er scheint auch wie gemacht, um Hagens exaltierte Darbietung und sexuelle Anspielungen bestmöglich zu unterlegen. Wenn die Band irgendwo die musikalische Vollendung erreicht hat, dann hier.

 

Abseits davon glänzt nicht alles gülden, auch wenn so ziemlich jegliche Performance imponiert und sei es auch nur durch ihre Ausgefallenheit. Sowohl die musikalisch zähe, von Hagen zu einer ordentlich anstrengenden und hemmungslos ausufernden Opern-Parodie genutzten Nummer Naturträne, als auch das in lustiger Kürze aufgehende, am 30er-Schlager angelehnte Fisch Im Wasser kommen über diesen Status als bemerkenswerte Kuriosität nicht wirklich hinaus. Ohrenschmaus ist jedenfalls beides keiner. Das gilt in gewisser Weise auch für Heiss, dessen jazziger Rock merkwürdigerweise gleichermaßen spannungsarm und doch ziemlich knisternd wirkt. Zentrum des Songs ist aber sowieso definitiv das Höchstmaß an textlicher Provokation, das hier ein einziges sexuelles Abenteuer mit gehörigem Augenzwinkern hier und da darstellt. So wirklich mithalten will es mit den Prunkstücken des Albums aber deswegen auch nicht.

 

Will man die Godmother of Punk übrigens wirklich punkig hören, kann man sich gerne auf den Closer Pank freuen, der dem Kern des Genres musikalisch näher kommt als alles andere hier und von Hagen gemeinsam mit Slits-Frontfrau Ari Up geschrieben wurde. Dieser knackig-kurze, energiegeladene Abschluss wird dem Album trotz seiner klanglich vergleichsweise unspektakulären Art verdammt gerecht. "Nina Hagen Band" ist musikalisch und textlich rastlos, macht einem die dauernden Stil- und Themensprünge allerdings durch seine exzellente Machart äußerst schmackhaft und vergeht sich nur äußerst selten so sehr im Ton, dass nicht mehr als ein kleines Gimmick bleibt. Meistens ist es einfach verdammt starker Rock, der in der deutschen Musik und speziell für die bessere Seite der Neuen Deutschen Welle nicht umsonst als richtungsweisend angesehen wird. Die zur Schau gestellte Vielseitigkeit, Angriffigkeit und der musikalische wie inhaltliche Mut paart sich mit der schon damals grenzenlos erscheinenden Ausgefallenheit einer Frontfrau, die mit den fähigen Musikern hinter sich ihre Stärken ausnehmend gut ausspielen kann. Insofern ist die LP ein Gesamtkunstwerk, das definitiv weit weg von der Perfektion ist, dem man aber kaum begegnen kann, ohne dass es bei einem einen gewaltigen Eindruck hinterlassen würde. Und zwar einen weit weniger zwiespältigen, als er Nina Hagen in den 40 Jahren danach auf eigene Faust gelungen ist.

 


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