von Kristoffer Leitgeb, 16.08.2017
Gemischte Gefühle beim bluesigen Abschied vom UK. Vor allem aber dominiert künstlerischer Mut.
Ich versuche es gar nicht erst als große Erkenntnis zu präsentieren, aber die stilistisch interessanten Facetten des Musikbusiness spielen sich zumeist nicht auf den Stadiontouren oder beim Kampf um die ersten Plätze der Charts ab. Das Interesse dort beruht einfach darauf, wissen zu wollen, warum das eine erfolgreich und verehrt ist, das andere aber nicht. Die Entdeckungstouren finden aber üblicherweise andernorts statt, nämlich in den Niederungen des Unbekannten. Dort, wo Alben noch nach Handarbeit klingen und eine gewisse Grenzenlosigkeit in der musikalischen Ausrichtung spürbar ist. Was nicht bedeutet, alles wäre erlaubt, aber dann doch viel, was nicht ginge, würde man vom Strom mitgerissen werden und mit ihm schwimmen müssen. Dann wäre auch Nick Lewis nicht dazu gekommen, ein aus der Zeit gefallenes Album wie dieses zu machen. Oder vielleicht doch, weil der Abschied von Brighton so oder so den Blues mitgebracht hätte.
Es gab nämlich Zeiten, da war Nicolas noch ohne Saints und weit elektronischer unterwegs. Dann kam der Abschied aus Brighton, der eigentlich als Kurzaufenthalt geplante Einzug in Wien und bald die Zusammenstellung einer Band, die nur mehr wenig Platz für Downbeat lässt. Zumindest nicht für synthetischen. "Goodbye To Brighton" ist trotzdem musikalisch äußerst gesetzt, dabei immer noch vom Hip-Hop durchzogen, nur um das wirkliche Fundament in jazzigem Blues zu finden, der sich dank Unterstützung von Saxophon, Kontrabass und der charakterstarken Stimme von Roxanne De Barr im Hintergrund wandlungsfähig und atmosphärisch präsentiert. Die kargen Akkorde im eröffnenden One Year sind zumindest kein generelles Leitbild für die übrigen Tracks. Wobei, die generelle Stimmung kommt relativ gut zur Geltung im Sog des verlassenen Saxophons, das überraschend wirksam das Bild der verrauchten Bar vermittelt, in die sich Lewis singt:
"Hey barkeep I'm lonesome and today's a special occasion
See it's one year to the day since my baby left me
She had grace, she had timing, oh such perfect timing
Why I'm sitting here all alone drinking bourbon on my birthday"
Die pure Lebensfreude eben. Doch die LP wird schnell lebendiger, dynamischer und facettenreicher. Als Dreh- und Angelpunkt dessen lässt sich rasch die Rhythm Section um Drummer Ryan Akehurst ausmachen. Der scheint sein Handwerk zu verstehen und gibt deswegen genauso leicht den spröden Rocker, den bluesigen Minimalisten und den im Jazz verorteten Tempospezialisten. Letzteres ist er am ehesten in So It Goes, dessen kantige Brüche und vermeintliches musikalisches Durcheinander für den klanglich interessantesten Moment des Albums sorgt. Eine nur auf den ersten Blick wirre Kombination aus Blues, Jazz und Hip-Hop, die sich in einer gleichermaßen düsteren wie angriffigen Szenerie aus Rap und geschmeidigem musikalischem Flow entfaltet. Es ist auch nicht der einzige Moment gesellschaftskritischer Anklänge, auch wenn sie gerade im sich überschlagenden Stakkato von Lewis am besten kommen. Dass er sich mit Heroes dagegen gar in Richtung Garage Rock begibt, um seine Botschaft zu untermalen, kann da nicht ganz mithalten.
Was auch darin begründet liegt, dass die ruhigeren Töne dem melancholischen, gleichermaßen ernüchtert-traurigen und poetischen Stil der Texte eher gerecht werden als die angriffigeren. Lebhaft geht trotzdem, sonst wäre das kitschige, aber eben doch verdammt locker runtergespielte Call My Own nicht so ein Lichtblick in der relativ grauen Szenerie. Die dominiert viel und das berechtigt, denn es ist das späte Too Young, das als eine Art Abschiedsbrief an einen verstorbenen Freund den bleibendsten emotionalen Eindruck hinterlässt. Möglich, dass die frühere Arbeit als Solist genau das bedingt, aber die zurückhaltenden Zupfer an der Gitarre hallen nach, liegen Lewis und seinem rauchigen Gesang eindeutig eher als die rockigen Töne. Trotzdem wird der Up-Beat-Blues von Red Wine In The Morning zum Favoriten, weil der prägnante Riff die beste Hook der LP offenbart, weil sich das Gesangsduo stimmlich da von der besten Seite präsentiert und weil die Zeilen so sehr den wenig optimistischen, nostalgischen Kern des Album einfangen wie sonst kein Song:
"We'd drink red wine in the morning
Talking 'bout the world around us
What we could do to change it
And how we were going to save it
But when a million marched to stop a war
And it was met by bombs in Baghdad
Well now we're ten years on when we drink wine
We talk TV and sit to watch that"
Dass die Band auch weniger vereinnahmend klingen kann, wird wohl Erwähnung finden müssen. Gegen Ende versanden die Tracks zunehmend in nahender Trägheit, die vor allem die melodischen Schwestersongs Got Thrown und Afraid Of Silence treffen und denen trotz aller Versuche, über die Doppelstimmigkeit zu punkten, die prägnanten und emotionalen Qualitäten anderer Tracks fehlen. Ich glaube ja, dass das stark auf Feedback lastende Goodbye To Brighton, das finale Abschiedslied an Lewis' Heimat, versucht genau das wieder auszubügeln. Gelingen will es nur nicht, weil das konstante Dröhnen der Gitarre wenig zu einem atmosphärischen Abschluss beiträgt, stattdessen die ansonsten so starke Rhythm Section und den charakterstarken Gesang übertüncht.
Ob das nachhaltig etwas an der Qualität von "Goodbye To Brighton" ändert, muss wohl jeder selbst entscheiden. Andererseits muss es etwas am Gesamtbild ändern, sonst wäre es kein Gesamtbild. Trotz nicht zu überhörender Makel ist das Album aber letztlich äußerst stark geraten. Was Nicolas & The Saints gelungen ist, ist es nicht nur ihre unorthodoxen Genrekombinationen in unterschiedlichsten Formen zu charakterstarken Songs zu machen, sondern sie auch noch mit dem einenden Gefühl wehmütiger Blicke in die Vergangenheit und auf die zerklüftete Gegenwart auszufüllen. Das Ergebnis sind zehn Tracks, die von einer imposanten Mischung aus musikalischer Abenteuerlust und Abgeklärtheit zeugen. Und von einem emotionalen Gewicht, das sich nicht mit penetrantem Kitsch aufdrängt, sondern organisch und natürlich aus den Arrangements spricht. Wenn ein Farewell Album für Brighton so klingt, muss die Stadt doch einiges zu bieten haben.