von Kristoffer Leitgeb, 26.04.2019
Der Urknall eines unliebsamen Phänomens durch komplikationsarme Etablierung des Macho-Softies.
Ich bin verdammt spät dran, mich einmal an Nickelback abzuarbeiten. Selbst auf MusicManiac kam mir da einer um Jahre zuvor und hat mir als sichere Totalausfälle vermutete Alben vor der Reviewernase weggeschnappt. So bleibt nur der Blick auf den Anfang dessen, was in eine unheilvolle Dominanz des Rock durch ein kanadisches Quartett, das keiner dort so wirklich haben wollte, mündete. Zu tun hat das damit, dass die Band eine Mischung bietet aus der gewaltbereiten, klischeebehafteten Pseudo-Männlichkeit eines Kid Rock und der Fähigkeit, den Grunge und also ein Genre, dessen Selbstverständnis auch auf einer Distanz zum Mainstream und dem locker-leicht Verdaulichen gefußt hat, thematisch und klanglich dermaßen weichzuspülen, dass selbst die feigsten Radiohosts nicht anders konnten, als die großen Hits der Band zu spielen. Je nach Positionierung zum Grunge selbst, wurde das entweder als moralisch verwerflicher Verrat an einem den Rock aus den Fängen der 80er rettenden Genre angesehen oder einfach nur als ziemlich mühsame Angelegenheit, an der man besser vorbeihört. Entkommen ist man aber so oder so nicht, denn Nickelback waren im längst vergangenen Eröffnungsjahrzehnt dieses Millenniums überall, wie es auch dereinst ein Phil Collins war. "Silver Side Up" verrät allerdings nur im Ansatz, warum das gar so schwer zu ertragen war.
Tatsache ist nämlich, dass die unheilvolle Gestalt eines Chad Kroeger und auch seine Bandkollegen vielleicht nie wirklich behaupten konnten, eine sonderlich gute Band zu sein, sie waren aber auf alle Fälle einmal weniger schwierig im Umgang als zu Zeiten von Rockstar und anderen Verbrechen gegen ihr Muttergenre. Damals, rund um die Jahrtausendwende, war Post-Grunge ja ein kommerziell dominanter musikalischer Faktor, wie es sonst nur Nu-Metal oder Boy Bands von sich behaupten konnten, weswegen allein die Omnipräsenz Schwierigkeiten bereitet hätte, wäre nicht dazugekommen, dass voranschreitende Interpreten wie Creed dermaßen langweilig und vom Pathos übermannt waren, dass man ihnen generell nur schwer zuhören konnte. Nickelback sind hier weniger schlimm unterwegs, halten sich eigentlich durchwegs sehr ordentlich. Auch wenn man nicht umhin kommt, schon im eröffnenden Never Again festzuhalten, dass diese Symbiose aus chartfreundlicher Produktion und damit glattem Auftreten einerseits, dieser dem Heavy Metal nachempfundenen, betont harten, betont männlichen, betont schwergewichtigen Attitüde andererseits kompliziert ist. Ein wenig grenzt es daran, komödiantische Züge anzunehmen, was definitiv Kroegers plakativ maskulinen Gesangseinlagen zu verdanken ist. Andererseits überhört man die mitunter ganz gut und kann damit immerhin auf das Musikalische zurückgreifen.
An den Instrumenten wird wiederum nicht revolutionär gearbeitet, was insbesondere dann spürbar wird, wenn man sich gegen Ende eines nicht wahnsinnig langen Albums bei Songs wie Where Do I Hide? oder Hangnail fragt, was eigentlich noch so kommen soll, nachdem einmal eine Minute vergangen ist. Es regiert definitiv ein gehöriges Maß an Monotonie, was allerdings kein Todesurteil ist, solange man selbige mit drückend harten Riffs zustandebringt und vielleicht noch die eine oder andere starke Hook einstreut. An letzterem hapert es allerdings ein wenig, weswegen man sich damit begnügen muss, dass die meisten Songs hier an einem vorbeitrampeln, ohne großen Eindruck zu hinterlassen. Selbst ein Song wie Too Bad, der es in den USA an die Spitze der Rockcharts gebracht hat, bleibt ohne irgendetwas, das sich als erkennbares Alleinstellungsmerkmal herausfiltern ließe.
Was jene, die zwischen den Zeilen lesen können, daran allerdings merken werden: Es stört auch ziemlich wenig. Man ist nicht wirklich genervt von dem, was hier passiert, sondern eher unbeeindruckt. Selten einmal kommt es dazu, dass man wirklich anfangen muss, klangliche Einzelheiten wie das wirklich miserabel kitschig und billig klingende, aber wenigstens kaum Platz einnehmende "Hollywood" im gleichnamigen Song, das in verzerrter Stimme zum Besten gegeben wird, zu verarbeiten. Sowas macht das Kraut nirgends fett, also auch hier nicht.
Natürlich bleibt damit allerdings ein großer, vielleicht der größte Kritikpunkt an dieser Band bisher unberührt, nämlich die Texte. Und die sind phasenweise schwierig, allerdings zu keiner Sekunde ähnlich jenseitig wie sie es sein sollten, wenn einmal If Everyone Cared auf die Charts losgelassen werden sollte. Hier und da fragt man sich, ob Chad Kroeger wirklich so weich in der Birne ist, dass ihm für musikalisch eigentlich ansehnliche Minuten wie die des stark eingespielten Just For nichts besseres als ein miserabler Plattitüdenhaufen einfällt:
"I want to take his eyes out
Just for looking at you
Yes I do
I want to take his hands off
Just for touching you
Yes I do
And I want to make him
Regret life since the day he met you
Yes I do
And I want to make him
Take back all that he took from you
Yes I do"
Schwachbrüstiger kann man nicht texten, wenn man gleichzeitig ins Mikro bellen will, um ordentlich wütend zu wirken. Der einzige nennenswerte Aussetzer auf diesem Gebiet bleibt wohl Never Again, das sich als Thema ausgerechnet häusliche Gewalt aussucht, um ein paar wirklich schmerzhaft Zeilen wie "The living room becomes a boxing ring" oder "Haven't you heard don't hit a lady" einzubauen.
Auf der anderen Seite gibt es Tracks, die einen zwar nicht von Nickelback schwärmen lassen, aber zumindest das Potenzial verdeutlichen, das durchaus in der Band stecken würde, wenn man sich mit den Geschmacksverirrungen etwas zurückhalten würde. Während Just For an diesem Status dank der Lyrics scheitert, überzeugt an der härteren Front vor allem Woke Up This Morning, wenn auch nur in Maßen. Dass der geschliffene Metal-Riff in den Strophen mehr Power vertragen hätte, versteht sich, aber er wirkt, genauso wie der Refrain dank eines stimmigen Auftritts von Kroeger klanglich rund klingt, ohne zu sehr in aufgesetzte Härte oder Weichspülromantik zu verfallen. An anderer musikalischer Front überrascht Closer Good Times Gone mit dem rundum gelungenen Gastauftritt von Ian Thornley an der Slide Guitar und einem damit verbundenen Wechsel zum bluesigen Hard Rock, der dezent in Richtung Heartland schielt. Nichtsdestoweniger ist das Herzstück des Albums How You Remind Me, das zwar völlig zurecht wegen medialer Übersättigung jedem zum Hals raushängt, das aber als einziger Song für sich beanspruchen darf, die Brücke von der kommerzielleren Seite des Grunge, wie sie in den frühen 90ern geklungen hat, und den poplastigen, süßlichen Tendenzen von Nickelback-Balladen erfolgreich zu schlagen. Das könnte auch der Grund dafür sein, warum noch jedes folgende Album eine Single gebraucht hat, die nach dem gleichen Muster aufgebaut wurde, aber mit Ausnahme von Savin' Me nie ähnlich gut geklungen hat.
Womit aber immerhin der Bereich eingegrenzt wäre, in dem die Kanadier wirklich überzeugen können. Nachteilig ist, dass dieser ziemlich eng ist und auch nicht unbedingt nach einer dauernden Wiederholung schreit, weswegen die Band auch nicht so dumm agiert, einen Zehnerpack an Power-Balladen auf die LP zu packen. Ob nun die Alternativen, die "Silver Side Up" zu bieten hat, wirklich besser sind, lässt sich nicht eindeutig sagen, kann man aber definitiv in Zweifel ziehen. Allerdings haben Nickelback hier auch nichts verbrochen, was sich nicht leicht verkraften ließe. Stattdessen sind die versammelten Songs relativ unscheinbar und das erinnerungswürdigste, schlicht verdammt lustige Detail bleibt die Tatsache, dass der Main Riff von Money Bought wohl unfreiwillig verdammt nach der Vocal Hook des Italo-Disco-Hits Vamos A La Playa klingt. Der Rest ist mäßiger Post-Grunge, dem manchmal das Potenzial, manchmal der miese Geschmack der beteiligten Musiker anzuhören ist. Und er ist das Fundament dafür, dass Nickelback ein Jahrzehnt lang Platinsammler sein durften.