von Mathias Haden, 24.04.2014
Wannabe-Metal, Kitsch und triefender Pathos - Die fünfte LP der Kanadier stinkt zum Himmel.
Kaum eine andere musikalische Institution hat den Rock 'n' Roll der Nullerjahre so sehr am Leben gehalten wie die kanadischen Post-Grunge-Rockgötter von Nickelback. Über Nacht wurde die Band Anfang des Jahrtausends mit Silver Side Up und den Erfolgssingles How You Remind Me und Someday zur heißesten Aktie seit den Beatles, Frontmann und Sympathieträger Chad Kroeger zum charismatischsten Künstler seit Elvis Presley. Mit ihrem fünften Longplayer All The Right Reasons sollte weiter an diesem Monument gebaut werden, mit über 15 Millionen verkauften Einheiten und 110 Wochen in den Top 30 der US-Charts darf man den Versuch getrost als gelungen bezeichnen. Und nun lasst uns ein Loblied auf die größte Band unserer Generation anstimmen!
Natürlich war alles bis jetzt Geschriebene nur substanzloser Schwachsinn (für Schadensersatzforderungen bitte direkt an die Infostelle) und beim kanadischen Quartett handelt es sich nur um aufgeblasene Halbstarke, bei Chad Kroeger um eine der größten Witzfiguren der modernen Musikszene. Jedoch.. Der Teil mit den Charterfolgen stimmt zu unserem Leidwesen. Und so kommt man auch nicht drum herum, die Hälfte der Tracklist dieser fünften LP zumindest schon gehört zu haben.
Eigentlich nervt es ja, ständig auf Bands wie Nickelback oder Creed herumzuhacken. Leider machen es einem Erstgenannte mit All The Right Reasons wirklich schwer, nicht verdammt wütend zu werden. Besonders dann nicht, wenn sich die vier nicht entscheiden können, ob sie sich lieber als, von Kitsch nur so triefende, Süßholzraspler oder als rüpelhafte Möchtegern-Metaller aufspielen, kaum ein Rockklischee wird von den Jungs auf ihrem rasanten Trip ausgelassen. Far Away, das mit seinem übermäßigen Schmalzgehalt nicht mehr als Ballade sondern als TÜV-geprüftes Abführmittel durchgeht und der biedere Heavy Metal von Side Of A Bullet, auf dem Kroeger den zweifelhaften Spuren von Pantera oder Metallica hinterherjagt, aber ihm seine Stimme einen deutlichen Strich durch die Rechnung macht, dürfen hier als Extrembeispiele herhalten. Dass Letzterer mit passablem Text als Tribut für den auf der Bühne erschossenen Dimebag Darrell (eben von Pantera) zumindest eine nette Geste bereithält, hilft dem gescheiterten Versuch auch nicht auf die Sprünge.
Apropos Stimme: Die ist auf dieser LP eigentlich fast jedem Track im Weg, höchstens auf den beiden Singles Photograph und Savin' Me, die beide auch aufgrund dessen zumindest nicht gänzlich zum Vergessen sind, verschmilzt sie ganz gut mit der Musik.
Vom ersten Ton weg kristallisiert sich die Gretchenfrage heraus: Was soll man nun schrecklicher finden, amateurhaftes Metal-Gepose oder witzlose Charts-Anbiederungen? Was am ersten Blick wie eine Herkulesaufgabe aussieht, läuft in der Realität reibungsloser ab als gedacht. Da man aus den härteren Tracks - den brauchbaren Riff von Side Of A Bullet mal beiseite - nämlich kaum eine brauchbare Sequenz herausfiltern kann, ist das Ergebnis schnell ersichtlich. Opener Follow You Home verliert sich nach drei langweiligen Minuten in inhaltlosem und noch langweiligerem Gitarrengeschrammel, dem recht dynamischen Animals wird sein idiotischer Text zum Verhängnis:
"So come on baby, get in
We're just a couple of animals
Get in, just get in
Ain't nothing wrong with it
Check out the trouble we're in
We're just a couple animals
Get in, just get in"
Immerhin kann man den Kanadiern nicht vorwerfen, nicht vielseitig zu sein. Denn neben den banalen Härteeinlagen und dem fragwürdigen Kitsch von Far Away liegt noch eine meiner Lieblingsdisziplinen, der Pathos. Den betreiben die Boys auf mustergültige Art und Weise auf If Everyone Cared mit den denkwürdigsten Zeilen der LP ("If everyone cared and nobody cried / If everyone loved and nobody lied / If everyone shared and swallowed their pride / We'd see the day when nobody died"). Autsch!
Das spannendste Unterfangen dürfte wohl von Anfang an die Suche nach dem schwächsten Track, dem größten Übel unter den Spaßverderbern, gewesen sein. Bis zum Schluss wurde das auch ein umkämpftes Rennen bis - ja bis - der letzte Track alle Zweifel beseitigt. Rockstar heißt die Scheibe, dürfte jedem ein Begriff sein und begeistert seit Jahren auf so vielen Ebenen, nur nicht auf musikalischer. Nickelbacks plumper Americana-Versuch endet in einem kapitalen Fiasko und fördert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (so genau will man es auch gar nicht wissen) den langweiligsten Song im Gesamtrepertoire zutage.
Klarer Fall also für einen Punkt und einen heftigen Arschtritt für die Gebrüder Kroeger. So einfach ist das dann leider doch nicht. Die Band liefert zwar genug Argumente, sie weiterhin zu hassen, aber auch genug, sie einfach nur ignorieren zu können. Die hübsche Melodie von Savin' Me oder die Reminiszenzen an die Vergangenheit in Photograph (den man Chad aber nicht ganz abnimmt) - dieses Gefühl kennen wir doch alle - machen zwar nicht unbedingt Lust, tiefer in die Diskographie der Kanadier einzudringen, liefern aber unterhaltsame Momente. Und so unsympathisch die Band auch sein mag, so wenig schmerzt der Großteil ihrer Musik, sofern man sich nicht wirklich drauf einlässt, in den Ohren. Richtig schlecht ist All The Right Reasons aber allemal, den Arschtritt gibt's auch noch gratis drauf.