Nick Drake - Five Leaves Left

 

Five Leaves Left

 

Nick Drake

Veröffentlichungsdatum: 03.07.1969

 

Rating: 9.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.04.2018


Ein Meilenstein für geerdeten Folk, die vertonte Melancholie und einen Poeten ersten Ranges.

 

Die Geschichte von Nick Drake, einem Menschen, dessen Name erst dann Relevanz und künstlerisches Gewicht erhalten hat, als es für ihn selbst schon zu spät war, ist ja eine von ausgeprägter Tragik und insofern eigentlich geeignet, um hier und jetzt den ganzen Review auszufüllen. Er hätte es sich auch durchaus verdient, dieser britische Schönling mit den so feinfühligen Gitarrenfingern und dem noch feinfühligeren Sinn für die richtigen Worte. Nur ist eh schon alles gesagt über die nicht enden wollende Depression, die ihn letztlich einem Tod entgegensteuern ließ, bei dem bis heute keiner weiß, ob er ihn denn jetzt selbst gewählt hat oder ob er unfreiwillige Erlösung war. Insofern sei an dieser Stelle ein Strich unter die Biografie des späten Nick Drake gesetzt und stattdessen dem frühen Nick Drake die gebührende Ehre erwiesen. Damals, noch in den 60ern, hätte man wohl sogar noch von hoffnungsfrohem Schaffen seinerseits sprechen können, als es darum ging, sein Potenzial zu einem Album zu formen. So etwas wie "Five Leaves Left" ist in dieser Hinsicht beinahe einzigartig, ein Debüt, das der Vollendung näher kommt, als man es für möglich hält.

 

Was schon auch an den verwendeten Mitteln liegt, immerhin war Drake ein unbeschriebenes Blatt und die Studiozeit dementsprechend nicht nur begrenzt, sondern auch nicht gerade vom finanziellen Überschwang geprägt. Andererseits könnte ja gerade das niemandem eher in die Hände spielen als einem Großmeister des Dezenten und Zerbrechlichen, wie Drake einer war. In Anbetracht dessen, dass seine größte musikalische Waffe sein ausgezeichneter Umgang mit der akustischen Gitarre und seine Mitstreiter zwar höchst fähig, aber relativ rar gesät waren, waren auch alle Beteiligten gut beraten, auf ein zurückhaltendes Ganzes zu setzen. Ergo sieht man sich zwar keinem akustischen Gitarrenpurismus gegenüber, wie ihn Jahre vorher Simon & Garfunkel auf ihrem Debüt zu bieten hatten, die Verstärkung durch Danny Thompsons Kontrabass und den sporadischen Einsatz von Klavier, E-Gitarre und Streichern ist allerdings überschaubar.

Wäre dem nicht so, ließe die LP allerdings auch viele ihrer Qualitäten vermissen. "Five Leaves Left" ist von der ersten Sekunde an die Verkörperung der Melancholie, pendelnd zwischen resignierend-einsamer Beobachtungen, verträumter, blumiger Romantik und gefühlvoller Dramatik.

 

Drakes Sinn für die passenden Töne ist dabei bereits so ausgeprägt, dass schon mit dem Opener Time Has Told Me kaum über Fehler zu reden ist. Zwar ist die im Country-Twang steckende E-Gitarre von Richard Thompson - seines Zeichens Frontmann von Fairport Convention - eine erdige Note, die der zarten Stimme von Drake weit weniger gut bekommt als die gemächliche Sprunghaftigkeit des Klaviers. Der Brite behauptet sich aber dennoch und liefert einen ersten Beweis dafür, dass man in ihm schon nach wenigen Minuten trotz fehlender Finessen auf diesem Gebiet eine der großartigsten Stimmen des Folk sehen muss. Die einzigartige Fähigkeit, stimmlich gleichermaßen beruhigend und ergreifend gefühlvoll zu wirken, die mitschwingende Poesie in fast jeder Zeile, das sind seltene Gaben selbst in einem Genre, das solche Songwriter geradezu magisch anzuziehen scheint. Das Debüt sticht in der kurzen Diskographie auf dieser Ebene nur noch dadurch besonders heraus, dass sich Optimismus breit macht, wo er dem Vernehmen nach kaum zu finden sein sollte. Gerade dem Opener obliegt es, einen positiven Einstieg in eine von depressiver Vereinsamung geprägten Karriere zu bieten:

 

"Time has told me

You're a rare rare find

A troubled cure

For a troubled mind

 

And time has told me

Not to ask for more

Someday our ocean

Will find its shore"

 

Während sich solcherlei in ähnlicher Güte fortsetzt, sollen bizarrerweise Text und Gesang nicht so sehr im Fokus des Briten gestanden sein. Als solches generell dem emotionalen Kern der Musik folgend, galt dieser die Hauptaufmerksamkeit Drakes, was angesichts der großartigen Zeilen, die er trotzdem gefunden hat, kurios wirkt, andererseits aber realistischer erscheint, betrachtet man die schlichtweg beeindruckenden Arrangements und Melodien, die dieses Album durchziehen. Anfangs fast bescheiden und weniger im harmonischen Einklang mit der Begleitung durch E-Gitarre und Streicher, als viel mehr in Konkurrenz zu diesen, gelingt Drake mit Three Hours alsbald einer seiner größten musikalischen Würfe. Ein unbeschreiblicher Paarlauf von Gitarre und Kontrabass, lebendig, vibrierend und angetrieben von dezenten Claps am Korpus. Dem wohnt eine grazile Zerbrechlichkeit inne, die an und für sich schon spürbar ist, durch die darin eingebettete, samtweiche Stimme aber noch verstärkt wird. Unabhängig von der instrumentalen Ausstattung ist das die Konstante der LP, eine fragile Zurückhaltung, die voll in der nachdenklichen, zwischen Traumwelt und Schwermut steckenden Atmosphäre aufgeht.

 

Der Rest ist Geschichte und Musik erster Güte. Meistens zumindest. Das dramatische Streicherarrangement von Way To Blue fällt darunter, genauso wie die in der Theorie merkwürdig anmutende, aber großartig umgesetze Kombination aus Kontrabass, Congas und dem namensgebenden Cello im Cello Song und die orchestrale Vermählung von Streichern und Oboen in Fruit Tree. Angeleitet von Produzent Joe Boyd, der sich lohnenderweise selbst zu Natürlichkeit und Minimalismus angehalten hatte, und unterstützt vom Studienkollegen Robert Kirby meistert Nick Drake so eigentlich alles, was er sich für dieses Album vornimmt. Die allem zugrunde liegende Basis ist allerdings auch sein außergewöhnliches Gitarrenspiel, den Akkordclustern verpflichtet und mit einer melodischen Stärke gesegnet, die ihresgleichen sucht.

Dass er sich trotzdem zumindest partiell verrechnen kann, beweist er nur in der zweiten Albumhälfte, wenn dem Klavier in Man In A Shed eindeutig zu viel Raum und damit die klangliche Dominanz überlassen wird oder wenn im verhältnismäßig langatmigen Abschluss Saturday Sun Drums und Xylophon einen kaum notwendigen Einstand feiern. Es sind kleine Abstriche auf einer LP, die selbst den elendiglich märchenhaften und kitschigen Flöteneinsatz in The Thoughts Of Mary Jane schadlos übersteht, ihn sogar als dezent surrealen Effekt zu nutzen weiß.

 

Trotzdem ist der tief in der Ruhe verwurzelte Nick Drake der bessere. Dem Singer-Songwriter gelingt sein größter Wurf auch mit entsprechend kleinerem Repertoire, nämlich in Day Is Done, in dem vor allem ein in der Romantik grundelnder Streichersatz mit Drakes Gitarre interagiert. Das reicht für vollen Klang und emotionale Dramatik, die so auch den in dieser Hinsicht zukunftsweisendsten Song ergibt. Day Is Done ist trist und morbid. Definitiv liebevoll inszeniert und meisterlich intoniert, aber trist:

 

"When the day is done

Hope so much your race will be all run

Then you find you jumped the gun

Have to go back where you begun

 

When the day is done, when the night is cold

Some get by but some get old

Just to show life's not made of gold

When the night is cold"

 

Genau diese Tonart sollte alsbald eigentlich zum Markenzeichen Nick Drakes werden. In den ausklingenden 60ern war von lyrischer Größe, musikalischer Finesse und gesanglicher Charakterstärke nicht weniger zu spüren, einzig atmosphärisch sind Sonnenstrahlen zu erkennen, wo bald die Dunkelheit stetig größer wurde. Ob es in irgendeiner Weise damit zu tun hat, dass ausgerechnet "Five Leaves Left" das beste der drei Alben des Singer-Songwriters ist, wird nicht ganz zu klären sein. Etwas logischer scheint die Schlussfolgerung, dass zwar nicht der leise Anflug von Hoffnung in seinen ersten Texten, dafür aber der durchaus hoffnungsvolle Weg hin zum fertigen Debüt den entscheidenden kleinen Unterschied macht. Wenn man einen Unterschied zur späteren Arbeit des Briten erkennen kann, dann eine Stimmung und Einstellung, die weder vom Wunsch nach breiter Anerkennung und daher gezwunger musikalischer Ausbreitung, noch vom zunehmenden mentalen Schwierigkeiten und daher gezwungener Reduktion auf ein fast nicht mehr förderliches Minimum beeinträchtigt wird. Befreit davon, ist Nick Drake einfach ein begnadeter Künstler bei der Arbeit und seine erste LP das daraus entstandene Meisterwerk.

 

Anspiel-Tipps:

- Three Hours

- Way To Blue

Day Is Done

- Cello Song


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