von Kristoffer Leitgeb, 25.01.2019
Begrenzte Harmonie zwischen meisterlichen Arrangements und dem Meister einsamen Musizierens.
Ich vermute, es ist eine wirklich entbehrliche und sinnfreie Frage, ob denn in der Musik auch zwei makellose Komponenten zusammen ein alles andere als makelloses Ganzes ergeben können. Das hauptsächlich deswegen, weil die Antwort ein so eindeutiges Ja ist, dass es schon fast weh tut. Manches gehört einfach nicht zusammen, so wie auch ein Schnitzel und Schokolade für sich genommen ein Genuss sind, in Kombination aber wahrscheinlich eher Brechreiz verursachen würden. In der Musik hat man den Vorteil, dass qualitativ entsprechend hochwertige Zutaten im Zusammenspiel zwar vielleicht nicht ihre vollen Stärken ausspielen können, trotzdem aber nicht ungenießbar werden. Trotzdem können sie leichtes Unwohlsein auslösen, einfach weil da Potenzial nicht voll ausgeschöpft wurde, falsche Entscheidungen hörbar sind. "Bryter Layter" ist genau so ein Album und wohl gerade deswegen nichtsdestoweniger ein Mahnmal für die Großartigkeit des Nick Drake. Denn auch das schwächste, was er zu Lebzeiten abgeliefert hat, klingt immer noch nach überzeugender Schönheit.
Die Problemstellung ist allerdings eine, der kurz vorher schon Townes Van Zandt bei seinem teilweise fremdbestimmten Debüt "For The Sake Of The Song" begegnet ist: Da ist einfach zu viel! Van Zandt wie Drake, beide Singer-Songwriter ersten Ranges und mit einem Liedgut von erhabener Poesie, können nichts besser, als in der selbstgewählten Einsamkeit ihre Kompositionen zum Besten geben. Nicht nur, dass die meisten ihrer Lieder für diese Art der Interpretation gemacht zu sein scheinen, auch die Texte und der melancholische bis drückende emotionale Kern der Songs verlangen beinahe nach einem solchen Setting. Verändert man es, sind also plötzlich mehr und mehr Protagonisten im Spiel, wird es zunehmend schwieriger. Nachdem keiner von beiden je mit einer Big Band zusammengearbeitet hat, ist einem das Schlimmste erspart geblieben. Nick Drake hat sich für seinen glattesten und im weitesten Sinne kommerziellsten Auftritt allerdings mit John Cale, Musikern von Fairport Convention oder den Beach Boys eine Reihe an Kollegen ins Studio geholt, die seine Songs auf eine Art auskleiden, die man nach seinem Debüt nie erwartet hätte. Immerhin ist er rücksichtsvoll genug, einen das mit der einleitenden Introduction noch nicht voll spüren zu lassen. Doch die eleganten Streichersätze, die hier die akustische Gitarre dominieren, werden alsbald von hellen Klavierakkorden, mitunter in ihrer verspieltesten Art, von Chorälen, Saxophon, Flöten und anderen Bläsern ergänzt.
Um es vorweg zu nehmen, das klingt nie wirklich schlecht, was auch daran liegt, dass das Album trotz allem ruhigerer Natur und weiterhin im Folk verwurzelt ist. Dieser aktivere und - um es möglichst flapsig auszudrücken - kunstvollere Anteil ist aber eine Konstante, die beinahe alle Tracks durchzieht. Und das nicht unbedingt zu Gunsten Drakes oder dessen Kompositionen, auch wenn einen gerade das Duo Hazey Jane I und Hazey Jane II etwas anderes glauben lassen könnte. Allerdings ist es auch da so, dass der dezentere zweite Part mit seinen romantischen Streichereinsätzen und der ansonsten sehr zurückgenommenen Instrumentierung weit mehr überzeugt und zu einem der Volltreffer des Albums gerät. Hazey Jane II dagegen ist der womöglich deutlichste Schritt weg vom Debüt und gibt sich mit dem hohen Tempo, eingeflochtenem Bläsersatz und einem Hauch von Orgelklängen im Hintergrund auf eine Art lebhaft und fast schon sonnig, dass man es von Nick Drake eigentlich nie erwartet hätte. Vielleicht ist es noch überraschender, dass das wirklich gut klingt, die geballte Qualität der beteiligten Musiker ist aber auch nicht zu leugnen.
Die übrigen Songs scheren nicht so weit aus, offenbaren aber zwei Problemfelder, die sich zwar nur bei wirklicher Abneigung gegenüber Nick Drake als tatsächliche Fehler bezeichnen lassen, so oder so schaden sie aber dem Gesamtbild. Das Eine sind die Instrumentals und die teilweise langgezogenen Instrumentalpassagen in den Songs, die die Tracklist durchziehen. Klarerweise klingen die ziemlich gut, sie stechen aber, abgesehen vom Flötenpart in der ersten Minute von Sunday, nie sonderlich markant heraus. Das heißt an und für sich nicht, dass man sich nicht in der musikalischen Harmonie dieser liebevoll eingespielten Melodien verlieren kann, aber es fühlt sich eher an, als würde man in diesen Phasen eingelullt werden, als dass man wirklich berührt oder beeindruckt zurückbleibt. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, warum ausgerechnet auf einer LP von Nick Drake Instrumentals gebraucht werden. Der Mann ist effektiv ein Poet mit Gitarre, dem es zwar zweifellos gut tut, wenn man ihm beispielsweise ein atmosphärisches Streicherarrangement zur Seite stellt, der aber an und für sich von seinem Gesang und seinen Texten lebt. Sich da komplett auf die Musik zu beschränken, konterkariert diese Stärken ein bisschen und lassen das Ganze auch nur mehr bedingt nach Nick Drake klingen.
Der andere Aspekt betrifft Kompositionen, die schon weit eher nach Drake klingen. Blöderweise tun sie das auf eine Art, die wiederum seine Fähigkeiten nicht ideal komplimentiert. Tatsache ist nämlich, dass diese etwas lautere Mischung aus Gitarre, Klavier und Drums zu oft den unaufgeregten, sentimentalen Gesang Drakes überlagert, während zwischendurch eingebaute Saxophon-Passagen gleich komplett die Atmosphäre bombardieren. Letzteres trifft in dem Sinne netterweise nur At The Chime Of A City Clock, doch auch bei One Of These Things First wird man das Gefühl nicht los, dass ein potenzieller Klassiker in Drakes Repertoire durch die musikalische Ausgestaltung zu einem starken Song degradiert wurde.
Allein schon daran, dass eine Einordnung als "starker Song" fast schon als Kritik zu werten ist, merkt man aber auch, wie hoch die von Nick Drake gelegte Latte ist. Geht man von "Five Leaves Left" aus, wirkt anderes schnell einmal blass, womöglich sogar enttäuschend, obwohl es immer noch großartige Musik ist. Der Vergleich zum Debüt fällt insofern vor allem deswegen eher bescheiden aus, weil es diesem Album an wirklich herausragenden Songs mangelt. Sie fehlen nicht komplett, neben Hazey Jane I, das selbst nur bedingt an ein Ausnahmelied wie Day Is Gone heranreicht, ist es deswegen vor allem das wunderschön arrangierte Northern Sky, das sich als gewichtiger Beitrag zu Drakes imposantem Werk erweist. Zwar dominiert auch hier ein dynamischer Klavierpart, der ein wenig um den Gesang herumtänzelt und zusammen mit Cales dezentem Einsatz von Orgel und Celeste die Szenerie ausfüllt. Der beinahe komplette Verzicht auf Drums und der äußerst spärliche Gitarrenpart sorgen aber dafür, dass sich trotzdem ein Gesamtbild ergibt, in dem der Singer-Songwriter selbst und seine Zeilen im Zentrum stehen. Dass die ungleich positiver klingen als noch Ende der 60er, kann natürlich auch Basis des Soundwechsels sein: