von Mathias Haden, 04.03.2017
Synthetische Euphorie als Rückbesinnung auf alte Tugenden.
Beginnen wir diese Rezension mit einer kleinen These meinerseits. Es gibt Alben, bei denen man vor jedem Hördurchgang davon ausgeht, dass sie sich einem endlich erschließen könnten. Zumindest ein bisschen mehr als zuvor. In unserer Sprache zumindest ein halbes Pünktchen mehr. Oftmals wird diese Hoffnung mit den einleitenden Tracks um eine zusätzliche Dimension erweitert, die das "this time for sure"-Gefühl mit einer frischen Ladung an Endorphinen ins Hirn katapultiert. Okay, ganz so spannend ist der Vorgang dann doch nicht. Die Enttäuschung darüber, letzten Endes am selben Punkt der Forschung angekommen zu sein, überwiegt aber praktisch immer das kleine Fünkchen Stolz, es ja bereits vorher gewusst zu haben. Das bis April noch aktuellste Album der kanadischen New Pornographers lässt in dieser Hinsicht ganz besonders herzlich grüßen.
Denn es ist wahrlich keine Schande, nein ganz im Gegenteil, sich diesen farbenfrohen, synthsprudelnden Pop-Hymnen voller Genuss hinzugeben. Dass die Inspiration, die Vorgänger Together zwischenzeitlich abhandengekommen war, hier wieder wie kochendes Wasser aufwallt und hohe Wellen schlägt, ist sicher förderlich. Auch diesmal stammen wieder alle Songs aus den Federn vom primären Songwriter A.C. Newman und Dan Bejar alias Destroyer, ist keiner von Neko Case oder Kathryn Calder am Start. Geballte Männerkraft also. Kaum verwunderlich, immerhin hatte Case, nicht gerade bekannt für Power-Pop und reißerische Hooks, seit dem Debüt von 2000 keinen Song mehr beigesteuert. Zudem die Pornographers ja ohnedies immer schon Newmans Spielwiese waren. Der behält mit zehn von dreizehn Songs erneut klar die Oberhand. Und beweist bereits mit seinem ersten Triplepack an Tracks, dass er die mehr als vier Jahre seit Together genutzt hat. Mit dem Opener und Titeltrack kommt die Freude am Zusammenspiel, die ja gerne als Motivation für die Gründung einer solchen Supergroup herhalten darf, wieder ungetrübt beim Hörer an. Noch mehr in glimmernde Keyboards gehüllt ist Champions Of Red Wine, das Case mit einer unspektakulären, aber effektiven Performance veredelt. Selten seit den frühen Eighties klangen kitschig anmutende Keys so schön. Dazu noch Newmans später, nicht minder wirkungsvoller Einsatz als Harmoniepartner - Prädikat: wertvoll! Fantasy Fools untermauert dann noch einmal die Affinität für Power-Pop und packende Refrains, lässt in den trägen Strophen ("Here come the fortune seekers / Using muscle memory dreaming fever") eine gewisse Tiefe vermissen.
Diese zeichnet erfreulicherweise die drei Kompositionen vom Kollegen Bejar aus. Zumindest mehr als beim letzten Mal. Seine nasale Stimme hat seither zwar keine Nuancen gewonnen und ist weiterhin ein Reibungspunkt, doch zeigt ihn vor allem War On The East Coast als wiedererstarkten Songwriter. Angetrieben von nimmermüden Synthspritzern, einem simplen Riff und den marschierenden Drums, gewinnt seine Geschichte mit jedem Moment an Spannung, kokettiert mit ebenbürtiger catchiness im Refrain und bringt sogar eine im dichten Soundnebel unheilvoll distanziert klingende Mundharmonika unter. Na gut, wirklich erwähnenswert sind seine anderen Beiträge Born With A Sound, das trotz starker Rhythmusabteilung und Harmoniepartnerin Amber Webber nie wirklich Fahrt aufnimmt und seinem pathetischen Titel gerecht wird, und Spidyr, das Bejar von seiner anderen Band Swan Lake mitgebracht hat und hier billig recycelt, nicht. Obwohl, die Mundharmonika am zweiten hat schon was. Und was macht Case? Die schafft es immerhin, dass ein mäßiger Song wie Marching Orders zu einem der großen Highlights der LP wird. Auch hier sind die Keyboards wieder die omnipräsente Komponente, bildet sich aber rund um diese mit einer starken Gesangsleistung und einem gelungenen Zusammenspiel von Bass und Drums eine Dynamik, die über die lyrischen Schwächen allemal hinwegtäuscht. Ansonsten ist sie einfach, was sie sein soll: ein Teil der Band. Immer zur Stelle, wenn der im Vergleich zu Case, Bejar oder Calder recht farblos singende Newman magische Momente für seine Hooks benötigt, wie am hübschen Wide Eyes.
Verhindern kann sie allerdings auch nicht, dass Brill Bruisers - wie im Übrigen Together noch weit mehr - trotz rastloser Synth-Einsätze von einer Zerfahrenheit gekennzeichnet ist, die vielleicht nur mir in dieser Form auffällt. Dass Bejar gerne seiner eigenen Wege geht, fällt auf der mittlerweile sechsten LP fast gar nicht auf, stattdessen ist es wieder eine Inkonstanz, die das Album auf einer knappen Dreiviertelstunde irgendwann wieder einholt. Dazwischen schummeln sich dann auch Ideen wie jene, den Gesang von Backstairs nach Daft Punk-Vorbild zu verzerren und in synthetischer Trägheit einzuwickeln. Dass der Band mit Ausnahme von Case, die sich banddienlich aber meistens vorbildlich zurückhält, die großen Stimmen fehlen, um den explosiven Hooks Nachdruck zu verleihen, wissen wir ja schon länger.
Auch deshalb stellt sich im Laufe jedes Durchgangs früher oder später dasselbe enttäuschte Gefühl ein wie beim vorigen und bei denen davor. Die vielköpfige Band kämpft mit allen Mitteln, an ihre besten Zeiten anzuknüpfen, sucht ihr Heil in euphorischen Keyboards und überwiegend eingängigen Hymnen und schafft es letztlich erst recht nicht, die altbekannten Schwächen über die volle Spielzeit ausblenden zu können. Einen farbenfrohen, schönen Ritt garantiert das Album indes trotzdem. Dass zwischen Together und Brill Bruisers letztlich weit mehr steht als die Lappalie von einem halben Punkt, ist dagegen zugegebenermaßen nur ein schwacher Trost.