von Mathias Haden, 30.01.2015
Die Realisierung einer Vision wird zum großen Triumphzug einer großen Sängerin.
"I was really inspired by fairy tales on this record, so I wanted to make stories that were more like fairy tales than modern-day stories. Things that were a little more fantastical, with characters like animals who talk and whatnot, 'cause I was always really attracted to those kinds of things in stories."
Meine Güte, klingt das aber kitschig, was der charismatische Rotschopf heute über sein viertes Studioalbum aus dem Jahr 2006 zu sagen hat. Aber Moment mal! Sich von der Realität zu entfernen, hat doch eigentlich häufig herzeigbare Ergebnisse geliefert. Man erinnert sich da gern an die LSD-Beatles oder an Bands wie Genesis, die überhaupt erst in ihren Fantasiewelten die ersten Schritte gesetzt haben. Und wem könnte man da eine erfolgreichere Synthese aus Fantasie, Dramatik und kreativer Lyrik zutrauen, als Neko Case. Die Kanadierin machte mit ihren vorigen beiden Alben, die sich immer weiter vom ursprünglichen Country-Sound entfernten, schon große Schritte in die anvisierte Richtung, eine selbst als 'Country Noir' beschriebene musikalische Destination zu erreichen. Diese Americana-Musik mit düsterer Tönung findet auf Fox Confessor Brings The Flood nun ihren Höhepunkt.
Dafür hat sich Case auch noch einmal ein Stück weiter von den gängigen Songstrukturen entfernt. Bereits am Vorgänger Blacklisted nahm sich die Sängerin einige künstlerische Freiheiten, hier auf der vierten LP pfeift sie über weite Strecken auf das übliche Strophe-Refrain-Strophe-Schema, zieht ihr Ding auf ihre eigenwillige Art und Weise durch. Soll allerdings nicht heißen, dass die Tracks nicht mitreißend oder zugänglich wären. Das von Case als sehr persönlich beschriebene Hold On, Hold On etwa geht in seiner Beschwingtheit wirklich gut ins Ohr, hat bis zum Ende den einzigen, richtigen einprägsamen Refrain ("That echo chorus lied to me with its 'Hold on, hold on, hold on, hold on'") und macht trotz seinem bedrückenden Text ordentlich Spaß. Auf den nächsten, wirklich eingängigen Track muss man allerdings bis zum Closer The Needle Has Landed warten. Dieser ist nicht minder trostlos, regt aber mit seinem packenden Rhythmus, dem von ihr zweistimmig eingesungenen Gesangslinien und einer dynamischen Gruppenperformance endlich auch zum Mitsingen an.
Überhaupt macht die Backingband, diesmal wieder bestehend aus einigen renommierten Musikern, die von Garth Hudson (The Band) über Mitglieder von Calexico, Giant Sand und den Sadies reichen, einiges her. Dennoch wird schnell ersichtlich, wie sehr Case eigentlich jeden einzelnen Funken der Aufmerksamkeit für sich beansprucht und mit einer grandiosen Darbietung ihren Helferlein jede Show stiehlt. Besonders kommt dies zur Geltung auf dem sehr reduzierten, himmlisch melancholischen Eineinhalbminüter A Widow’s Toast, auf dem sie mit ihrem hallenden Gesang wieder die Sterne aufgehen lässt und dazu noch einen wunderbaren Text in petto hat; man keinen einzelnen Ton der Kollegen vermisst:
"Spectres move like pilot flames
Their widows toast at St. Angel
Better times collide with now
The tears were warm, I feel them still
Their heat to vapor and disperse
And cloud our eyes with weary glaze"
Den Höhepunkt der fantasievollen Exzentrik erreicht Case am unheilvoll anmutenden Titeltrack, einer atmosphärisch schwebenden Ballade, auf der sie der Menschheit ihr Verderben ankündigt, während die Düsterheit schließlich im unbehaglichen Dirty Knife ihren gespenstischen Lauf nimmt.
Es bringt aber nichts, an dieser Stelle weitere Tracks herauszuheben, gelungen sind alle zwölf zu beachtlich großen Teilen. Das liegt an einer Protagonistin, die besser klingt als je zuvor, zudem erstmals eine beeindruckende Konstanz in ihrem Songwriting aufweist. Egal ob sie dem Pessimismus von Maybe Sparrow, in dem der kleine Spatz nicht auf ihre Warnungen vor den Greifvögeln zu hören vermag, ihren Lauf lässt, auf Opener Margaret vs. Pauline das Thema der Eifersucht anschneidet oder immer wieder von der vergeblichen Liebe singt, die strahlende Souveränität in ihrer seelenvollen, charismatischen Stimme bringt die Tracks jedes Mal aufs Neue sicher ins Ziel. Selbst das traditionelle und spirituelle John Saw That Number gerät trotz berechtigter Zweifel mit einem starken Rhythmus und dem kraftvollen Gesang insgesamt durchaus ordentlich. Trotzdem kann manbei aller Objektivität insgesamt durchaus einen leichten Qualitätsabfall auf der zweiten Seite feststellen, der sich vor allem im Kontrast zur perfekten ersten in einem heimtückischen Licht widerspiegelt.
Fox Confessor Brings The Flood ist somit nicht das perfekte Album, das ich gerne in ihm sehen würde. Zur wirklichen Perfektion fehlt den einzelnen Tracks immer wieder das eine oder andere Prozent zu viel. Was allerdings bleibt und dazu noch viel wichtiger ist: Neko Case' vierte LP ist ein grandioses Gesamtkunstwerk, das sich zwar lange sperrig und widerspenstig gibt, bei einer intensiven Befassung aber seine volle Pracht und Schönheit schließlich entfaltet. Irgendwann bettelt man nur noch um jedes einzelne Wort, das die Chanteuse ins Mikro raunt, auch wenn es nur selten positiver Natur ist. Aber wenn wir hier etwas gelernt haben, dann das hier: "Better times collide with now / and better times are coming still."