von Mathias Haden, 12.06.2017
Stimmiges Gesamtkonzept, das die Grundtugenden seiner Künstlerin wie kein anderes Werk vereint.
Es gibt nicht viele Künstler, denen es während ihrer Karriere gelungen ist, einen eigenen Sound zu etablieren, für den sie auch über die Jahre hinweg in Erinnerung bleiben konnten. Gram Parsons, den ich hier gar nicht oft genug erwähnen kann, wird trotz kommerzieller Pleiten immer als Schutzpatron über den von ihm forcierten Country-Rock wachen, die 13th Floor Elevators gaben mit ihrem Debüt The Psychedelic Sounds of the 13th Floor Elevators immerhin einem ganzen Sub-Genre seinen Namen und Neko Case thronte anfangs des Jahrtausends als Königin des finsteren Country-Noir in einer weder vorher, noch nachher erwähnenswert okkupierten Nische. Ich habe ja in einem älteren Review behauptet, ihr 2006 veröffentlichtes Fox Confessor Brings The Flood wäre die Krönung dieser "Americana-Musik mit düsterer Färbung". 100% richtig habe ich mich bei dieser Formulierung aber nicht ausgedrückt. Zwar halte ich das vierte Studioalbum der Kanadierin weiterhin für den heiligen Gral in Case' Schaffen, doch ist der unbehagliche, undurchsichtige Noir-Faktor ihrer künstlerischen Vision am Vorgänger Blacklisted noch ein gutes Stück ausgeprägter, was das Album auch für nicht wenige zum Magnum Opus und zur letzten Großtat der Singer-Songwriterin macht.
Ganz so ist es aber, wie gesagt, doch nicht. Wobei die erfreulichen Meriten des ersten Albums ohne Begleitung ihrer Boyfriends nicht von der Hand zu weisen sind. Auf der einen Seite ist das natürlich sein exzentrisch sinisterer Charme, der, begünstigt vor allem durch geisterhafte Arrangements und Case' mit reichlich Hall versehene Stimme, die irgendwo durch den Raum schwebt, im Prinzip schon am Albumcover beginnt. Ihrem Organ verdankt die LP ohnehin einiges ihrer Eindringlichkeit und Faszination. Und last but not least natürlich die Songs selbst, die zwar von einer anderen Band und einer anderen Sängerin nicht annähernd das spannungstechnische Potenzial aufweisen würden, zumindest aber interessant anmuten würden. Wobei, ein Lady Pilot dürfte wohl in jeder anderen Interpretation nur eine Niederlage ansteuern. Wie die Band hier mit simplen Methoden und Country-Instrumenten eine unbehagliche Stimmung erzeugt, der man ein langsames Ausbreiten von kaltem Schweiß zu verdanken hat, garniert mit Case' verzweifelt suchender, sich im Echo verlierender Stimme, das hat schon etwas einzigartiges. Großes Kino auf lediglich 147 Sekunden. Deep Red Bells nimmt sich dagegen mehr Zeit, ist mit knapp vier Minuten schon der längste Track des Longplayers. Was dieser Aufnahme seine Magie verleiht, ist aber weniger undurchsichtige Exzentrik, sondern eine glasklare Stimme, wie sie das 21. Jahrhundert bis dato nicht kannte - mit seiner songdienlichen, musikalischen Untermalung ebenfalls ein einschneidendes Highlight der LP.
Tendenzen kann man auf Blacklisted dagegen kaum ausmachen. Weder wären die düster verwobenen Country-Rocker mit ihrem scharfen Gitarrensound den auf Stimmgewalt und akustische Unterstützung setzenden Balladen augenscheinlich überlegen, noch wäre das umgekehrt der Fall. Wo auch immer eine Orgel durch die Soundschwaden wabert, wo auch immer ein Jazz-Piano für kurze Auflockerung sorgt und wo auch immer eine Pedal Steel unaufdringlich daran erinnert, dass wir es hier letztlich doch noch mit Country-Music zu tun haben, sind ergiebige Minuten garantiert. Das verschrobene, natürlich nicht am Ende der LP platzierte Outro With Bees und sein noch verschrobeneres, dann tatsächlich als Hidden-Track und Schlussakt einlaufendes Reprise wuchern mit eigenwilligen Soundeffekten, tönen (im Reprise) wie aus einem Funkradio der 30er und gelangen jeweils zu einem resignativen Fazit: "So its better my sweet / That we hover like bees / 'Cause there's no sure footing / No love, I believe...". Tightly bekennt sich am ehesten zum zugrundeliegenden Country-Genre, ist aber schattig genug eingefärbt, um selbst unverbesserliche Verweigerer irrezuführen, Stinging Velvet klingt mit seiner groovenden Rock-Dynamik und der pointierten 12 String Guitar wie ein exzellentes Überbleibsel aus den Sessions der vorangegangenen LP Furnace Room Lullabye und I Wish I Was The Moon ist akustische Grazie in Liedform eingegossen, begünstigt von einer zauberhaften Dramaturgie und der schönsten Melodie weit und breit.
Leider lehnen sich Sängerin und Begleitband nicht selten zu weit aus dem Fenster, liefern zwielichtige Alt-Country-Stücke, die interessant schallen, sich einerseits aber als zu wenig memorabel herausstellen, oder generell als Songs nicht mit der Instrumentalisierung mithalten können. Wie etwa der Titeltrack, der eine unglaublich absorbierende, gespenstische Atmosphäre generiert, sich danach aber nur mehr um die eigene Achse dreht. Noch besser aber verdeutlicht durch die beiden bizarren Cover-Versionen, die dem Album zusätzliche Tiefe verleihen sollen. Sowohl Look For Me (I'll Be Around), als auch Runnin' Out Of Fools kokettieren nämlich mit Case' überwältigender, glockenklarer Stimme und fügen sich dank einer bandcharakteristischen Adaptierung passend ins Gesamtbild ein, doch reichen beide vom Songwriting nicht an die besseren Kompositionen der Künstlerin heran.
Insgesamt ergibt sich aber doch ein Album, das der mitunter mittelmäßiger Kritik zur Zeit der Veröffentlichung entgegen eine Art Klassikerstatus in Neko Case' Repertoire eingenommen hat und diesen auch redlich verdient. Zwar sind die Songs nicht alle auf dem Niveau der folgenden LP, doch ist Blacklisted als Gesamtkonzept noch einen Hauch stimmiger. Die Band gibt geisterhafte Melodien und eindringliche Rhythmen vor und die Sängerin fügt sich mit ihrem unverkennbaren, durch den Raum schwebenden Gesang wunderbar ein. Wie gesagt eine Erfahrung, die man weder vorher, noch nachher in dieser Form machen konnte.