von Mathias Haden, 12.08.2014
Melancholy strikes deep, into your life it will creep – feinster Blues mit jeder Welle.
Neil Young steht am Strand, nahe beim Wasser, mit dem Rücken zur Kamera und starrt aufs Meer hinaus. Daneben seine Schuhe, hinter ihm ein Teil eines Cadillacs, der aus dem Sand ragt. Welch Schauspiel. Eines dieser mysteriösen Cover, die genug Interpretationsraum lassen, um bis heute noch für Spekulationsstoff zu sorgen. Wie auch immer, Kollege Young war zu Zeiten der Aufnahmen nicht gerade auf einem emotionalen Höhenflug, heute steht On The Beach für den finalen Akt seiner 'Ditch-Trilogy', auch wenn es (zwar später aufgenommen) vor dem Mittelstück Tonight's The Night veröffentlicht wurde.
Und irgendwie kann man einem Album wie diesem mit Worten nicht gerecht werden. Da gibt es viel gute Musik, mit sympathisch ungeschliffener Produktion zu begutachten und da gibt es die großartigen Texte, die Young gerade in dieser Phase mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit aus dem Hut zaubern konnte. Von der ersten Sekunde weg ist eine drückende Stimmung in der Luft, daran vermag auch der zynisch zweckoptimistische Opener Walk On nichts zu ändern, auf dem er zwar im lockeren Flair Durchhalteparolen ausgibt, seinen eigenen Worten wohl aber weniger Vertrauen schenkt. Das war es aber schon mit der vorsichtigen Fröhlichkeit. Auf den folgenden sieben Tracks regiert nämlich der Blues, nicht nur, weil er namensgebend für drei Nummern steht und in Form von kraftvollen Wellen ans Ufer schwappt. Der Revolution Blues kundet von der Bekanntschaft mit dem Massenmörder Charles Manson, hier singt Young in seiner unheilvollsten Art. CSNY-Kollege David Crosby spielt die Rhythmusgitarre, setzte sich aber dafür ein, diesen Song bei CSNY-Konzerten fernab der Setlist zu belassen. Gemeinsam mit den beiden The Band-Mitgliedern Levon Helm und Rick Danko geben die Musiker dem Song einen atmosphärischem Groove, der etwas Bedrohliches hat, wohl zu gefährlich für den Hippie Crosby. Vampire Blues ist Youngs Abrechnung mit der Ölindustrie, während der ersten großen Ölkrise: "I'm a vampire baby / Suckin' blood from the earth / Well I'm a vampire baby / Sell ya twenty barrels worth". Hier akkumuliert sich der ganze Zynismus und erreicht seinen Gipfel. Auch hier zieht die Band, diesmal etwa Crazy Horse-Drummer Ralph Molina und George Whitsell an der zweiten Gitarre, ihr Ding voll durch und gibt der Nummer einen ganz düsteren Ton mit. Bis zum ergiebigsten Blues und zum besten Song auf Youngs fünfter LP muss man aber bis zum Schluss warten. Der fällt mit dem perfekten Ambulance Blues dann aber auch wie ein heftiger Sturzregen auf einen hernieder. Akustisch instrumentiert, schwelgt der Protagonist hier in guten alten Zeiten, in denen Crosby, Stills, Nash & Young 1969 im Riverboat spielten:
"Back in the old folky days
The air was magic when we played.
The riverboat was rockin' in the rain
Midnight was the time for the raid."
Auf der zweiten Hälfte des über acht Minuten – und keine Sekunde zu lang – andauernden Triumphzuges holt er schließlich zum großen Rundumschlag gegen die Kritiker aus und analysiert die Lage im CSNY-Lager. Die legendären Zeile "You're all just pissin' in the wind", die Young direkt von seinem Manager bezüglich der Inaktivität der Band entnommen hat, spricht für sich.
Aber auch abseits von den Blues-betitelten Tracks gibt es wahrlich Großes zu bestaunen. Ob es nun der Titeltrack ist, auf dem Young mit einer in diesem Business nicht gekannten Ehrlichkeit zu Werke geht und Lines wie "I need a crowd of people, but I can't face them day to day / Though my problems are meaningless, that don't make them go away" dropt und dem Stück eine in karger Trostlosigkeit manifestierende Grundstimmung gibt, oder im neu aufgenommenen Überbleibsel aus Harvest-Tagen, dem berührend schönen See The Sky About To Rain, hier läuft schon verdammt viel in die richtige Richtung. Dazu gesellen sich noch die erfreuliche Abwechslung For The Turnstiles, eine Mischung aus Folk und Country, auf dem sich Young, allein mit einem Banjo bewaffnet, in einen einmalig schrägen Harmoniegesang mit Dobro-Spieler Ben Keith wirft und - last but not least – das wiederum berührende Motion Pictures, in dem er von seiner Beziehung zu Schauspielerin Carrie Snodgrass berichtet.
Alle Tracks besprochen, kein Ausfall: klarer Fall für eine Topbewertung. Die verdient sich Neil Young für sein fünftes Studioalbum On The Beach auch. Kein anderes Album liefert so eine ganz einzigartig düstere Stimmung wie das von Kritikern heißgeliebte Strandwerk. Und obwohl eigentlich alles so ziemlich passt, von besagter Stimmung über die tollen Texte bis hin zur starken Performance der Musiker, ist die LP kein makelloses Meisterwerk in meinen Augen, 'lediglich' ein großartiger Meilenstein im Schaffen des exzentrischen Meisters. Dafür ist sie mir doch etwas zu bluesig geraten und nicht jede Nummer kann über die gesamte Länge unterhalten, was sich besonders bei einem exzellenten Œuvre, wie dem, das Young in all den Jahren aufgebaut hat, etwas niederschlägt. "I went to the radio interview, but I ended up alone at the microphone"