Naked Lunch - All Is Fever

 

All Is Fever

 

Naked Lunch

Veröffentlichungsdatum: 01.02.2013

 

Rating: 5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 26.05.2017


Zwei Hälften für ein Najallelujah.

 

Hat man als Band erst einmal 20 Jahre gemeinsam überstanden und diese nicht komplett fernab jeglicher öffentlicher Resonanz verbracht, ist man entweder eine Institution oder bereits seit geraumer Zeit obsolet. Naked Lunch haben diese Marke 2011 geknackt und es darf mit einiger Sicherheit gesagt werden, dass die Österreicher auf einem Level sind, das den Institutions-, aber auch den Obsoleszenz-Blickwinkel nicht ungerechtfertigt erscheinen lässt. Ersterer steht aber auf sichereren Beinen. Denn das Quartett um Frontmann Oliver Welter ist als Rockband, die von Klagenfurt aus internationale - nicht nur deutsche, wohlgemerkt - Aufmerksamkeit erhalten hat, eine Rarität im österreichischen Musikkosmos der 00er-Jahre. Naked Lunch haben da das Brachland beackert, zuvorderst mit Unterstützung und Inspiration durch The Notwist, irgendwann aber auch als gern gesehene Soundtrack-Interpreten. Warum sie da überhaupt irgendwie obsolet sein könnten? Na, wegen "All Is Fever" natürlich!

 

Beziehungsweise vor allem wegen dessen erster Hälfte. Die erst sechste LP der Band kennt einen relativ klaren Cut zwischen dem, was man sich als gutes Indie-Album einreden lässt, und dem unnützen Zeug, das einem bombastische Nichtigkeiten auftischt. Und das wiederum ist so quintessentiell Post-Muse-Indie, dass es schon weh tut. Ein direkter Draht von den britischen Vertretern musikalischer Überlebensgröße zu den vier Kärtnern soll damit zwar nicht gespannt werden, aber eine Idee davon, womit man es bereits mit dem Opener Keep It Hardcore zu tun hat, soll es so durchaus geben. Der ist mit seiner Percussionlast, der Orgelimitation an den Keys und dem wortlosen Choral im Hintergrund im Endeffekt wie die Donauinsel im Winter: Voluminös und doch ziemlich leer. So wie überhaupt der ganze Beginn nur den Eindruck einer Hochglanz-Indie-Schiene vermittelt, in der das Aufgeblasene zum Programm wird. Alles ein bisschen kitschig, ein bisschen oberflächlich, ein bisschen bedeutungsschwanger. Wobei wir hier auch direkt den deutlichsten Unterschied zu Muse aufgetischt bekommen. Bei denen hat das nämlich oft wichtig geklungen, wenn sie es richtig gemacht haben. Bei Naked Lunch klingt es fast nur fad.

 

Wobei man anmerken sollte, die Band hat schon auch auf dem Vorgänger "This Atom Heart Of Ours" durchaus solche anbiedernden Hymnen im Repertoire gehabt. Und die waren damals schon keine qualitative Offenbarung. Warum man darauf also mehr denn je setzt, ist schon für sich ein Rätsel. Warum es geschliffener und zudem noch hemmungslos überladen praktiziert wird, sorgt für noch ein paar weitere Fragezeichen. Shine On oder The Sun fehlen dementsprechend die nötigen Hooks, aber auch die in früheren Jahren oft so eindringliche Atmosphäre, um den Songs eine volle Daseinsberechtigung zu verschaffen. Stattdessen versinkt man in einer Mischung aus cineastischer musikalischer Auskleidung und Welters wirkungslos dagegen ansingender Stimme, die zu Beginn in jeder zweiten Songhälfte dem Untergang geweiht ist.

 

Erst mit Dreaming Hiroshima rettet sich das Quartett und findet das frühere Selbst ein bisschen wieder. Plötzlich bedeutet es wieder etwas, dass die prägendste Eigenschaft von Welters Stimme die apathische Tonlosigkeit ist, plötzlich machen auch die sanften orchestralen Schwingungen im Hintergrund wieder etwas her. Bedeutende Rolle spielt dabei auch die dezente, hauchzarte Beitrag von Duettpartnerin Gustav, die Oliver Welter besser komplimentiert als jeder Pseudo-Hollywood-Chor dieser Welt. Diese plötzlich eintretende, düstere Zurückgenommenheit ist es, die die nicht zu leugnende Stärke der Band wieder ins rechte Licht rückt. Minimalismus und drückende Melancholie sind wichtige Bausteine einiger ihrer besten Momente und ein morbider Closer wie The Funeral lässt wenig Zweifel daran, warum das so ist. Ungelenkt getextet wurde da zwar und die Ruhe überlebt leider auch nicht die vollen viereinhalb Minuten. Trotzdem weiß man schnell, wohin die Marschrichtung für die LP zeigen hätte sollen.

 

Natürlich gibt es schon noch die andere Seite von Naked Lunch. Die, die das Notwist'sche Gebot beatlastiger Niedergeschlagenheit abgestreift hat und sich stattdessen der Suche nach den nötigen Hooks macht. Nur geben die Kompositionen solcherlei viel zu selten etwas her. In einem kurzen Qualitätsschub zur Albummitte findet man 41 und damit das stimmigste musikalische Allerlei, das das Album zu bieten hat. Wo der Background-Gesang endlich Dynamik und nicht mehr nur Bombast beisteuert, wo die Rhythm Section endlich den Weg in Richtung Gedächtnis findet und wo der Paarlauf von Keyboard und lockeren Gitarrenakkorden den klanglichen Glanzpunkt einer auf dem Gebiet bestenfalls durchwachsenen LP setzt. Im Paarlauf mit dem relativ melodiearmen und doch harmonischen Lonely Boy ist dann immerhin ein Sicherheitsnetz gespannt, um das Gesamtfazit vor dem Absturz zu retten.

 

Das gelingt allerdings nur gerade so, was auch unmittelbar damit zu tun hat, dass sich vor allem die cineastische Großspurigkeit der ersten Tracks nicht mit der dafür nötigen textlichen Fülle unterfüttern lässt. Es besteht auf alle Fälle vom ersten Takt an ein emotionales und inhaltliches Vakuum, das zu bereinigen nur mehr ganz schwer machbar ist, wenn man zur Albummitte erst damit beginnt. Selbst dann sind es zaghafte Versuche, die eher isoliert stehen neben manch schmerzhaft austauschbarer Zeile. Man könnte dahingehend die Diskrepanz zwischen der latenten Unnötigkeit einiger Beiträge und den wenigen lichten Minuten kaum besser illustrieren als durch einen Blick auf Beginn und Ende des Spektakels. So beginnt's:

 

"Keep it hardcore

Keep it real

Keep it left

And please keep your will"

 

Nur, damit dann das Finale wie folgt eingeläutet wird:

 

"Three days ago when I found you in the bedroom

Your skin so cold and your eyes open wide

A love letter lying on the bedroom floor

It said 'Darling, I can't go on no more'"

 

"All Is Fever" spielt sich eigentlich immer zwischen diesen Extremen ab. Wenn da wirklich irgendwo Fieber ist, dann bestenfalls eine Temperatur von 37,8°. Woran es dem Album ganz sicher nicht mangelt, ist eine Richtung. Dass es ausgerechnet eine ist, die die Kärntner zur Quintessenz der Durchschnittlichkeit und zu einer offensichtlichen Bevorzugung netter Formen über adäquaten Inhalt treibt, hilft allerdings ganz wenig. Ihren gemeinsamen Zwanziger konnte die Band ohne Zweifel feiern in dem Wissen, dass man in Österreichs Rock einen nicht unbedeutenden Stellenwert hat. Illustriert nicht zuletzt dadurch, dass man bald einmal zu gefragten Soundtrack-Fabrikanten werden konnte. Vielleicht war das aber auch der Anfang vom Ende, von Vorbildwirkung, Gespür für ausgewogenes Songwriting und passendes Einflechten cineastischer Einflüsse ist auf alle Fälle wenig zu spüren.

 

Anspiel-Tipps:

- Dreaming Hiroshima

- Lonely Boy

- 41


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