I Brought You My Bullets, You Brought Me Your Love
Veröffentlichungsdatum: 23.07.2002
Rating: 7.5 / 10
von Kristoffer Leitgeb, 13.12.2014
Kein perfekter, aber ein ehrlicher Beginn im Feld des Hardcore Punk.
Ein gewöhnlicher Tag im Jahre 2006. Man wandelt durch die Straßen Wiens, irgendwo begegnet einem eine Gruppe Jugendlicher, komplett schwarz gekleidet, Röhrenjeans und Frisuren, die bestenfalls merkwürdig aussehen, schlimmstenfalls wie eine schlampig hergerichtete Kopie von Adolf Hitlers Haarpracht. Man nimmt es hin, so lange, bis einem auffällt, dass ebensolche Jugendliche irgendwie plötzlich überall sind. Und plötzlich weiß man, die Emos sind da. Eine unliebsame Erscheinung, die den 'wahren' Emos zu reißerisch war und dem Rest der Menschheit ein weiteres Mal bewiesen hat, dass der Weltschmerz Heranwachsender fast unweigerlich in Lächerlichkeit enden muss. Irgendwo mittendrin, ja, vielmehr sogar an vorderster Front, waren My Chemical Romance. Denen halfen noch so viele Dementis nichts, Songs über Tod und Verderben und unerfüllte Liebe waren ein gefundenes Fressen für die Szene. Da war die Sache Jahre davor vielleicht doch noch gemütlicher. Ungekannt und unbekümmert, aber auch da schon mit der gleichen Emotion.
Vielleicht, nur vielleicht, eigentlich mit noch mehr. Irgendwo im Debüt der Band versteckt sich eine Ehrlichkeit, die großspuriger Pomp à la "The Black Parade" - wenigstens verdammt großartiger Pomp - einfach nicht zu bieten hat. Wohl deswegen, weil auch in der rohen Produktion, der manipulationsfreien Härte zwischen Hardcore Punk und Heavy Metal und Gerard Ways endlos kraftvollem Gekrächze potenziell mehr Gefühl zu finden ist als im späteren Werk. Auf diesem Weg begrüßt einen die Single Honey, This Mirror Isn't Big Enough For The Two Of Us mit röhrenden Gitarren, die sich aber mitunter zu scharfkantigen Riffs formen, hohem Tempo ohne Unterlass und einem vor sich hin schreienden Way, der sich seine Drogenprobleme von der Seele erzählt.
Dieses System dient in seiner Rohform als Vorlage für die nächsten Tracks. Sowohl Drowning Lessons, Our Lady Of Sorrows oder das zu Unrecht euphorisch betitelte This Is The Best Day Ever geben sich Wut und Härte hin, setzen dabei oft auf die starke Premierenvorstellung von Ray Toro als Leadgitarrist und die treibenden Drums. Während sich insbesondere Our Lady Of Sorrows da als geradlinige Punk-Nummer mit markantem Intro-Riff präsentiert, ist Drowning Lessons die Zurschaustellung des kleinen Mehr, das die LP zu bieten hat. Denn der einleitende helle Sound lässt nur kurz so etwas wie Pop-Punk vermuten. Der Track ist durchzogen von Tempowechseln, anfangs nur über den hohen Speed im Refrain, in der zweiten Hälfte aber vermehrt auch durch markante Strukturänderungen, die ihn gekonnt über seine viereinhalb Minuten tragen. Mehr noch, wirkt doch das harte Metal-Outro so, als hätte er sich eine Fortsetzung verdient anstatt im Fade-Out auszuklingen.
Dass die Vorliebe für eine etwas ausgefeiltere Herangehensweise auch Risiken in sich birgt, belegt dagegen Vampires Will Never Hurt You. Zwei Minuten begleitet einen eigentlich nur ein langgezogenes Intro, das Ways stimmliche Schwächen in seiner Ruhe zu stark offenlegt. In der Folge türmen sich frenetische Riffs mit einem hyperaktiven Drummer, nur um gegen Ende abgelöst zu werden von einem unvorteilhaften Kampf von Toro und Way um das Rampenlicht. Gitarre und Vocals spielen dort eher gegen- als miteinander. Da sich noch Zeilen rund um die Vampir-Affinität des Frontmanns dazugesellen, bleibt als Resultat ein respektabler, aber kein wirklich ergiebiger Versuch - Vampire waren eben schon vor 'Twilight' ziemlich daneben. Weniger bleibt einem nur vom endlosen Early Sunsets Over Monroeville, dessen poppiger Sound auf einem Album wie diesem unpassender nicht sein könnte. Spätestens bei Halbzeit wagt man beim kitschigen Setting dann ohnehin den Blick auf die Uhr.
Wirklich gefühlvoll geht aber schon auch. Skurrilerweise gelingt genau das schon im Intro beinahe. Die allerersten Töne der Band sind jene des Instrumentalstücks Romance. Faktisch inhaltsfrei, aber dank des eingespeisten Sounds des antiken Radios wird die Akustikminute zu einer Eröffnung, die zwar nicht als passender Vorbote, aber als überaus atmosphärisch gelten darf. So wirklich Gänsehautfeeling kommt aber erst spät auf. Die dank ausreichender Lautstärke nicht zu kitschig geratene Liebesnummer Cubicles wird mit ihrer Zeile "I can't help but think I'll die alone" zu einer starken und passgenauen Ankündigung für einen genialen Closer. Demolition Lovers entpuppt sich bald als solcher. Mit sechs Minuten Länge ist die Erwartungshaltung weniger spannend, schon die morbid angehauchten ersten Sekunden machen aber alle Zweifel zunichte. Es wird Ways bei weitem beste Vorstellung am Mikrofon, bei der er auf eindrucksvolle Weise den Tod eines Paares in der Wüste besingt. Musikalisch mutiert der balladesque Abschluss zum Zweiteiler, der sich zu Anfang in ruhiger Verzweiflung übt, dann zuerst in ein fanatisches Finale mündet, um sich mit einem kompletten Neustart, einem starken Gitarrensolo und kraftvollen Comeback Ways zu verabschieden.
Dieser Abschied versüßt einem "I Brought You My Bullets, You Brought Me Your Love" auf so mancher Ebene. Was nicht heißen soll, der Rest hätte enttäuscht. Die Band hält ihr qualitatives Niveau der gehobenen Mittelklasse lange Zeit ordentlich, bietet immer wieder kurz angebundene Ausreißer nach oben, der große Wurf gelingt aber eben doch noch. Das trägt dann auch zu einem äußerst positiven Gesamtbild bei, das so ungefähr lauten könnte: My Chemical Romance stellen Emotion über Perfektion, Härte über Harmonie und wütende Raserei über wohlsituierte Regelausbrüche. So chaotisch das klingt, ist das Endprodukt ein äußerst...nein, unterhaltsam wäre das falsche Wort. Ein äußerst gelungenes schlicht und einfach.