von Kristoffer Leitgeb, 18.04.2020
Ein letztes, vergebliches Aufbäumen gegen Ideenarmut und Sinnsuche.
Verabschiedet sich eine erfolgreiche Band in den Ruhestand - und sei es nur ein zwischenzeitlicher -, kann das durchaus unterschiedliche Formen annehmen. Das Idealszenario eines Abgangs in Würde und auf der künstlerischen Höhe ist den wenigsten vergönnt und dann fast ausschließlich jenen, die einen personellen Zerfall erleiden, der die eine oder andere Solokarriere hervorbringt. Wer sich jedoch trotz unveränderter personeller Einheit dazu entschließt, dem Treiben als Band ein Ende zu bereiten, wird dies meist aus Altersgründen, dem realistischen Blick auf die eigene Schaffenskraft oder auch wegen künstlerischer Inspirationslosigkeit tun. Wenig davon wird so offen eingestanden und manchen gelingt das Kunststück, auch auf einem angekündigten Abschiedsalbum noch so taufrisch zu klingen, dass man noch Jahrzehnte des frischen Musizierens vermuten könnte oder aber zumindest der perfekte Endpunkt einer Karriere gesetzt ist. Andere wollen es gar nicht wahrhaben und dümpeln lange dahin oder verenden eher, als mit einem großen Knall abzutreten. Fallbeispiel hierfür: My Chemical Romance, deren vermeintlich letztes Geschenk an ihre Fangemeinde nicht mehr ist als ein loser Haufen an fallengelassenen Songs.
"Conventional Weapons" hat als solches Gebilde schon einmal einen schweren Stand, wurde noch dazu in reichlich unorthodoxer Form als Fünferpack an Double-A-Side-Singles veröffentlicht. Das würde bereits an Überheblichkeit grenzen, handelte es sich hier tatsächlich um taufrisches, dem kreativen Zenit entstammendes Material. Lasst man aber nun zehn Tracks auf die Welt los und macht daraus sogar Singles, sind aber alle diese Kompositionen lediglich ein Überbleibsel der Sessions für das vorangegangene Studioalbum, kann man nicht nicht stutzig werden. Die kompilierte Version wird ihrem Titel zumindest insofern gerecht, als dass die US-Amerikaner speziell im Vergleich mit dem schon ungesund ambitionierten "Danger Days" konventioneller klingen und sich mehr auf die Grundfeste des Rock zu konzentrieren scheinen. Rundum vorteilhaft wäre das allerdings nur dann, hätte man tatsächlich das Gefühl, vollständig durchdachte und finalisierte Songs vor sich zu haben, die auch den Stärken der Akteure entgegenspielen. Ersteres ist schon einmal der Entstehungsgeschichte wegen schwierig, weswegen man zumeist eher knochige, den nötigen Schliff entbehrende Performances bekommt. Idealerweise klingt das nach roher Kraft, etwas öfter wirkt es wie halbgares Handwerk, dem die Ideen für ein formvollendetes Ganzes abzugehen scheinen.
Ersteres ist jedoch vorhanden, speziell dank des Openers Boy Division, der sich erfolgreich einer stilistischen Direktheit bedient, die frappant an die durchdringende, rifflastige Power von "Three Cheers For Sweet Revenge" erinnert. Etwas ungesund hymnisch zwar, aber dann doch mit der nötigen Durchschlagskraft und einem zwischen Pop-Punk und Hardcore pendelnden Sound, der insbesondere Ray Toros Gitarrenkünsten gut tut. Wirklich verlassen kann man sich andernorts jedoch lediglich auf die vereinzelten Erinnerungen an die Stärke der Band, wenn es an melodramatisch-hymnisches Liedgut geht, dessen melodisch rockigem Fundament ein bisschen glamouröses Spektakel übergestülpt wird. AMBULANCE also, das ausgewogenste, stimmigste Stück, das das Album hergibt. Nicht nur der starken Hook geschuldet, sondern auch der Performance von Gerard Way geschuldet, der im Refrain zwar mit den unterstützenden Backgroundstimmen das altbekannte Faible für dramatische Klänge aufleben lässt, insgesamt aber von übertriebener Effekthascherei oder unwillkommenem Schmalz weit weg bleibt. Ähnlich gut gelingt das sonst nur mehr im atmosphärischen Closer Burn Bright, der in den Strophen zwar so ziemlich nur die galoppierenden, im Ohr bleibenden Drums anzubieten hat, daneben aber den unangefochten besten Refrain dieser Songs sein Eigen nennen darf. Der hätte in dieser Form auch auf "The Black Parade" absolut nicht fehl am Platz oder enttäuschend gewirkt.
Übrig bleiben Tracks, denen ihr verdienter Status als übriggebliebene Stücke zu deutlich anzumerken ist, als dass man irgendetwas genießen könnte. Meist spielt die Band das zwar immer noch ordentlich runter, das ändert jedoch nichts daran, dass die träge Gitarrenarbeit und das lahme Gesamtbild von Surrender The Night niemand ins Schwelgen bringen wird. Hat man es dabei mit der schwächeren Ausprägung des gewohnten MCR-Stilgebildes zu tun, werden an anderer Stelle andere, für das Gespann mitunter reichlich unvorteilhafte Geschütze aufgefahren. Make Room!!!! trägt seine vier Rufzeichen zwar stolz vor sich her, die damit verbundene dröhnende Lautstärke und das chaotische, dem Garage Rock entliehene Ganze werfen die Band jedoch in Terrain, in dem sie absolut nichts verloren hat. Das klingt von der ersten geschrienen Zeile Gerard Ways schlichtweg falsch. Am anderen Ende des Spektrums vergreift man sich mit dem kitschigen, musikalisch tödlich lethargischen The World Is Ugly noch mehr im Ton, landet in den Untiefen des gitarrentechnisch ein bisschen kaschierten Soft Rock. Und mit AMBULANCE zur Seite gestellten Gun. macht man auch im geordneteren Garage Rock einen höchst ungelenken Eindruck.
Weil eindeutig ausgereifter und ein bisschen stilsicherer zum Besten gegeben, gehören Tomorrow's Money und Kiss The Ring als lautstarke Lückenfüller genauso wie das unspektakuläre, aber gesanglich überzeugende Balladendrama The Light Behind Your Eyes zur soliden Seite der LP. Allem gemein ist jedoch der allzu deutliche Eindruck, dass die Band nicht zu wissen scheint, wie aus diesen Kompositionen etwas Gutes, Interessantes und atmosphärisch Eindringliches zu machen gewesen wäre. Für eine auf späteren Alben durchaus dem Großspurigen und musikalisch Extravaganten zugeneigte Band könnte kaum etwas tödlicher sein, als solche in ihrem rohen, unverzierten und dahindümpelnden Dasein verbliebene Songs. Nachdem man bei einer solchen Quasi-Compilation von irgendeiner inneren Einheit, einem Spannungsbogen oder inhaltlicher Tiefe ja schon a priori keine Rede sein kann, bleibt dann ultimativ einfach nicht viel, was den Songs ein wirklich gutes Durchkommen ermöglichen könnte.
Ergo ist auch das Mittelmäßige relativ programmatisch auf "Conventional Weapons". Vereinzelt wird man an die Höhepunkte des vorangegangenen Jahrzehnts erinnert, letztlich aber zu selten, um das mäßig inspirierte Werken drumherum auf ein nicht blass wirkendes Niveau zu heben. Und wenn dann einmal mehr Fillermaterial da ist als solches, das man in Erinnerung behalten will und kann, schaut tendenziell nicht allzu viel heraus. Das ist generell aber auch vorhersehbar in Anbetracht dessen, woraus sich diese LP zusammensetzt. My Chemical Romance erfüllen also quasi die niedrigen Erwartungen mit etwas, das erst im Nachhinein als letztes Stück originalen Materials ihrer gemeinsamen Karriere dastehen sollte. In dieser Position wird es der Band nicht wirklich gerecht, in Wahrheit nicht einmal annähernd. Etwas eher fängt es wohl die US-Amerikaner zu ebendieser Zeit ein, als das Ende absehbar, Ideen und Inspiration rar und die Zukunft künstlerischer zunehmend karger gewirkt haben dürfte. Genau das bekommt man mit, wenn man sich diesen zehn Songs widmet.